Schilys große Hoffnung
Bundestagswahlkampf entscheidet über Wohl und Wehe des rot-grünen Einwanderungsgesetzes
Vor der Entscheidung der so genannten K-Frage
innerhalb der CDU/CSU schienen die Differenzen zwischen Union und
Bundesregierung bezüglich des rot-grünen Gesetzesentwurfs gering zu
sein. Mit der Kür des
bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidaten
wird es jedoch spannend. Denn bei allem bekundeten Interesse für
den flauen Arbeitsmarkt dürfte Einwanderung eines der zentralen
Wahlkampfthema werden. Jedenfalls findet der rot-grüne
Gesetzesentwurf bei der Union keine Zustimmung mehr. Stoiber selbst
erklärte, er halte nur einen Unions-Entwurf für akzeptabel.
Ende Januar lud Bundesinnenminister Otto Schily zu einem ersten fraktionsübergreifenden Spitzengespräch - ohne die PDS. Dort präsentierte der Fraktionsvize der Union, Wolfgang Bosbach, die Änderungsforderungen der CDU in einem 16-Punkte-Katalog. Bosbach zeigte sich in keinem einzigen Punkt verhandlungsbereit. Auch das Folgegespräch am 29. Januar brachte keinerlei Annäherung. Trotz der kompromissfreudigen Stimmung: schließlich sind SPD und Grüne an einer Einigung mit der Union interessiert, weil sie im Bundesrat, wo das Gesetz verabschiedet wird, auf die Zustimmung einiger CDU-(mit)regierter Länder angewiesen sind. Doch die Geduld der Grünen hat Grenzen, das zumindest signalisiert deren rechtspolitischer Sprecher, Volker Beck: "Wer uns die Richtung des Gesetzentwurfs aufdrücken will, wird unsere Stimmen verlieren."
Interessanter, weil wichtiger sind deshalb die Gespräche zwischen Schily, Brandenburgs Landesinnenminister Jörg Schönbohm und Bremens Innensenator Kuno Böse. Letztere sind gegenwärtig Schilys große Hoffnung: In beiden Ländern regiert eine Koalition aus SPD und CDU. Sollten die dortigen Unionsfraktionen dem Gesetzentwurf zustimmen, wird das die entscheidende Mehrheit zur Verabschiedung im Bundestag bringen, ganz gleich, wie sich die Bundes-Union positioniert. Dummerweise droht nun die PDS mit den Stimmen der rot-roten Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gegen den rot-grünen Entwurf zu stimmen. Damit hätte der Entwurf selbst mit den Stimmen Brandenburgs und Bremens keine Chance.
Während die Grünen eine Einbeziehung der PDS in die Gespräche begrüßen, fürchtet die SPD weitere Schwierigkeiten: Schon kam es zu informellen Gespräch zwischen PDS- und SPD-PolitikerInnen. "Die wollen uns moralisch unter Druck setzten", so das Resümee der innenpolitischen Sprecherin der PDS, Ulla Jelpke. "Schily hat bereits gesagt, dass er auf die Forderungen der PDS nicht eingehen kann, um die Stimmen der CDU nicht zu verlieren. Alles sieht danach aus, dass das Gesetz scheitern wird." Tatsächlich dürften Forderungen der PDS wie die Heraufsetzung des Nachzugsalters auf 18 Jahre oder die Lockerung der Residenzpflicht von den Vorstellungen der SPD weiter entfernt sein, als die Forderungen der CDU. Inhaltlich sei der Blockadeversuch der PDS damit hoffnungslos, so Jelpke. Ohnehin sei nicht klar, ob das Gesetz an der PDS scheitern wird oder nicht, da das Abstimmungsverhalten einiger PDS-PolitikerInnen nicht vorhersehbar sei.
Vor der Unberechenbarkeit der eigenen Leute fürchtet sich aber auch die Union: nichts könnte blamabler sein, als (ähnlich wie bei der Abstimmung über die Steuerreform) im Bundesrat wegen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen ein Veto der Bundes-CDU scheitern sehen zu müssen. Wahrscheinlich ist ein solcher Alleingang zumindest Brandenburgs nicht, seitdem Schönbohm zum innenpolitischer Berater Stoibers avancierte. Um die Spannung zu steigern, hat Schönbohm der SPD trotzdem vier Punkte vorgelegt, an dessen Erfüllung er seine Zustimmung knüpft.
Aller Voraussicht nach wird das Gesetz also scheitern und die CDU im Wahlkampf die "race card" ausspielen. Fraglich ist, ob sie sich damit einen Gefallen tut. Die 16 Forderungen der Union erscheinen alles andere als wahlkampftauglich. Kein Punkt lässt sich dort finden, bei dem Rot-Grün nicht kompromissbereit wäre, z.B. das Nachzugsalter von Kindern von 14 auf zehn Jahre herabzusetzen oder die Kosten für Integrationsmaßnahmen umzuverteilen. Selbst die Forderung, die Zuwanderungsbegrenzung als Ziel des Gesetzes festzuschreiben (womit die Behörden in allen Zweifelsfällen im Sinne der Begrenzung der Zuwanderung entscheiden müssten), könnte in einem Kompromiss auf die Formel der "Steuerung und Begrenzung" von Zuwanderung gebracht werden. Und da sich die Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgungsgründe aus der Genfer Flüchtlingskonvention ableiten lassen, ist auch damit kein Blumentopf zu gewinnen.
Die schon bestehende Rigidität des rot-grünen Gesetzesentwurfs und die moderne rot-grüne Migrationspolitik lassen der CDU kaum eine Möglichkeit, ein eigenes Profil zu entwickeln. Da bliebe allenfalls eine Rückbesinnung auf völkische Argumentationsmuster. Aber auch das ist unwahrscheinlich - dokumentiert doch Becksteins Unterscheidung in Ausländer, die uns nützen, und die, die uns ausnützen, die Ankunft der CDU/CSU im modernisierten rassistischen Diskurs. Das Thema "nützliche Ausländer" hat aber leider schon Rot-Grün besetzt. Und kann dabei mit der volle Unterstützung der Gewerkschaften und der Wirtschaftsverbände rechnen, die hinter dem rot-grünen Zuwanderungsgesetzentwurf stehen.
Will die CDU den Wahlkampf gewinnen, muss sie auf die Wechselwähler setzen, jene Menschen, die sich alle vier Jahre neu zwischen SPD und CDU entscheiden, die gesellschaftliche Mitte also. Ob diese Leute eine Partei wählen, die in dieser Frage außer der Angst vor indischen Computerexperten kein Profil hat, ist fraglich. Schon der CDU-Oppositionsführer in NRW, Jürgen Rüttgers, ist mit seiner "Kinder statt Inder"-Kampagne, mit der er den Landes-Wahlkampf zu gewinnen versuchte, gnadenlos gescheitert. Der sich langsam abzeichnende allgemeine Konsens darüber, dass Deutschland doch ein Einwanderungsland sei, zeigt: Ein Wahlkampf, der sich einfach "gegen Einwanderung" richtet, ist keine Garantie für einen Sieg.
Juliane Schmidt