Sterne sehen Irres Licht
Neue CD aus der Hamburger Schule
Globalisierungskritik ist Pop denkt sich die Promoterin von Virgin-Records und preist die neue Scheibe der Sterne folgendermaßen an: "Ein Song zur kontrovers diskutierten Globalisierung findet sich mit ,Du hast die Welt in deiner Hand` auf ,Irres Licht` selbstverständlich auch." Was soll uns damit gesagt werden? Jedenfalls veröffentlichen die Sterne im April ihr neues, mittlerweile sechstes Album und gehen damit ab März auf Vorstellungstour.
Leadsänger und Komponist Frank Spilker ist Frank Spilker. Es gibt vermutlich keine Situationen in seinem Leben und damit auch keine Songs, in denen er nicht reflexartig zwischen sich und der Welt eine bohrende Distanz erzeugt. Und damit entblättert er die schöne glänzende Fassadenwelt politisch-gesellschaftlicher Heils- und Glücksversprechungen oder demontiert die Popklischees von Liebe, Verlust und Schmerz zu den einfachen Banalitäten, die am Ende bleiben.
Diese gelangweilte, abgeklärte und manchmal fast apathische Lässigkeit, diese irgendwie unbeteiligt wirkende und doch sehr emotionale Art macht es schwer, das Ganze auf den Punkt zu bringen: "Wenn ich nur vorbei flieg, muss ich da nicht landen, bleib ich in der Luft und lass mich nicht drauf ein" heißt es im Opener "Nur Flug".
Und schon mit den ersten vier Takten wird außerdem klar: Die Sterne klauen wieder, wo und wie es ihnen gefällt. Bei "Nur Flug" treiben die Disco-Soul-Rythmen des uralt Klassiker "Black is Black" von den Los Bravos die Maschine an und immer wieder fühlt man sich an Gloria Gaynor erinnert. Von Queen leihen sie sich den Titel für "Schier Herzattacke" und das bereits eingangs erwähnte "Du hast die Welt in deiner Hand" ist den meisten sicher als amerikanischer Gospel einigermaßen geläufig. Im deutschen kann man bei Conny Froboess andocken, die das Ganze als Schlager mit dem Titel "Du hast dein Schicksal in der Hand" vertonte.
Damit nicht genug, durchzieht den Song der alte Kindergarten-Klassiker "Fuchs du hast die Gans gestohlen", von dem die Sterne die zweite Zeile covern: "Gib sie wieder her" und feststellen: "Ich brauche sie so sehr." Vermutlich nicht eben zufällig kleiden die Sterne den "Song zur kontrovers diskutierten Globalisierung" in ein biblisches, christliches Bild: "Du bist der Anfang und du bist das Ende" heißt es da einigermaßen rat- und hilflos. Doch der eben noch zum göttlichen gemachte Globalisierer wird mit dem diabolischen in eins gesetzt: "Was zum Teufel fängst du damit an?"
"Du hast
dein Schicksal
in der Hand"
Gegen diese mächtige Phalanx gibt es in der zweiten Strophe keinen Ausweg mehr: "Du hast die Welt in deiner Hand, und ich hab nichts, was ich dagegen tun kann. Ich habe es ausprobiert, das wird nichts mehr. Du hast die Welt, jetzt gib sie her!"
Die aufrecht kämpfende Linke dürfte an dieser Stelle aufschreien, ist aber angesichts der eigenen Schwäche im Grunde zur Leidensfähigkeit und -bereitschaft verdammt. Ganz sicher kann einem die derzeitige Weltlage nach Kosovo-Krieg, 11. September, Anti-Terror-Koalitionen nach innen und außen inkl. Afghanistan-Krieg, deutschen Bundeswehr-Einsätzen in, jetzt wieder, aller Welt nicht nur Angst und Bange sondern auch mutlos machen.
Trotz Seattle, dem Aufschwung der Gegenkräfte in Nizza und Göteborg bis hin zum Erschrecken und Entsetzen von Genua gelangt man zeitweise doch bei der Stimmung der Sterne an: "Ich habe es ausprobiert, das wird nichts mehr." Na klar hat das nichts mit historischen Materialismus zu tun und der Kapitalismus ist weder der Anfang (das wissen wir sicher) noch das Ende der Geschichte (hoffen wir). Die Sterne geben einfach mal ihre Meinung zur gefühlten Welt-Ich-Temperatur bekannt. Das dass nichts mit aufgeben zu tun hat, muss vermutlich dennoch gesagt werden und die Sterne machen das dann auch: "Gib sie her, ich brauche sie so sehr." Da die Sterne scheinbar nicht genau wissen, wer die Welt von denen zu uns bringen soll, appellieren sie an diejenigen, die die Welt in den Händen halten: "Gib sie wieder her. Bring sie doch zurück zu mir".
Das klingt sicher hilflos, ist aber keineswegs hoffnungslos. Denn in dem Kinderlied "Fuchs du hast die Gans gestohlen" wird ja konsequent mit bewaffneten Strafaktionen für den Fall gedroht, dass der Fuchs dieser Aufforderung nicht nachkommt. Für die, die sich nicht mehr erinnern können: "Sonst kommt dich der Jäger holen mit dem Schießgewehr!" Ist dieser nicht gesungene Satz von den Sternen still und leise gedacht?
"Normalerweise spricht Licht nicht"
Das weiß man nicht und vielleicht ist damit dieser scheinbar recht banale Song überinterpretiert und man ist einfach nur auf die Kunst der Sterne-Songs reingefallen, die angebotenen Interpretationsräume voll auszuschöpfen, obwohl die Band was ganz anderes meinte.
Neben Tiefsinnigem enthält die CD mit "Wenn dir St-Pauli auf den Geist fällt" auch einen Einweg-Feuerzeug-Schwenker-Titel für die bevorstehende Tour, der vermutlich am selben Tag geschrieben wurde, als Blumfeld-Kollege Distelmeyer vor lauter "Grauen Wolken" ganz verzweifelt war. Möglicherweise war er gar mit Spilker gemeinsam in St.Pauli unterwegs und die beiden haben dann neben dem Text nur den Rhythmus variiert.
In Sachen Liebe und Kummer bietet sich "Ich will nichts mehr von dir hören an" an, in dem so wunderbare Sätze gesungen werden wie "So bleiben sie denn vorläufig geschlossen, meine Ohren für die Verflossene" oder "Ich freue mich wenn jemand anruft. Ich frag mich nur warum ausgerechnet du?" Und für all diejenigen, die in dem ganzen Wahnsinn drohen unterzugehen, sei noch auf den Titel gebenden Song "Irrlicht" hingewiesen, der in jedem Fall die Bodenhaftung wieder herstellt: "Ein irres Licht schimmert durch die Wände, Gruselig wie ich finde, Gruselig, weil es zu mir spricht." Und dann kommt es: "Normalerweise spricht Licht nicht." Und Sterne singen nicht.
DSe
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Die Sterne - Irres Licht, Virgin, erscheint am 22.4.02. Eine EP mit vier Songs soll bereits am 18.3. veröffentlicht werden.
Die Sterne sind im März auf Tour:
14-03-02 Berlin - ColumbiaFritz
15-03-02 Dresden - Star Club
16-03-02 A Wien - Wuk
17-03-02 München - Feierwerk
18-03-02 CH tba
19-03-02 Schorndorf - Manufaktur
20-03-02 Frankfurt - Gallus Theater
21-03-02 Köln - Prime Club
22-03-02 Essen - KKC
23-03-02 Hannover - Faust
24-03-02 Hamburg Markthalle