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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 459 / 22.2.2002

Österreichischer Heimatschutz

Temelin-Volksbegehren lässt die Herzen der "Sudetendeutschen" höher schlagen

Seit jeher braucht es zum nationalen Schulterschluss innere und äußere Feinde, in deren Angesicht Mob und Eliten zusammenrücken. Besondere Wirksamkeit entfalten dabei jene Feindbilder, die eine starke historische Tradition aufweisen. In Österreich waren und sind das einerseits die Juden und Jüdinnen, andererseits die vormaligen Helotenvölker der Monarchie. Insbesondere die TschechInnen, deren Beitrag zum Untergang der bis heute als "Vielvölkerstaat" verklärten Despotie nie vergessen wurde, eignen sich als Abladefläche nationalistischer Ressentiments. Aktualisiert wurde das Bild vom tschechischen Erzfeind nach der Aufnahme der rechtsradikalen FPÖ in die Regierung. Wagte es die Tschechische Republik doch, sich den "Sanktionen" der EU-Staaten gegen die FPÖ/VP-Koalition anzuschließen. Den jüngsten Schulterschluss gegen die "Feinde Österreichs" (Jörg Haider) sollten die verhassten NachbarInnen im Norden dann auch umgehend zu spüren bekommen, nämlich in Form der Drohung, deren Aufnahme in die EU zu verhindern.

Zunächst preschte die FPÖ vor: Als Grund für das Veto dienten ihr zunächst die Benes-Dekrete (1), deren anhaltende Gültigkeit mit "europäischen Menschenrechtsstandards" nicht vereinbar wäre. Tatsächlich stehen diese Verordnungen, mit welchen die Enteignung und Aussiedlung der fünften Kolonne des Pangermanismus und später des Nationalsozialismus geregelt wurde, einer Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und der Durchsetzung materieller und wohl bald auch territorialer Ansprüche der "Volksdeutschen" im Wege. Die FPÖ sah sich seit jeher als Anwalt der "Vertriebenen", mit denen sie den Primat des Völkischen teilt. Zudem konnten mit dem Verweis auf den "Vertreibungs-Holocaust" der tatsächliche Holocaust relativiert und die Entschädigungsforderungen der NS-Opfer abgewehrt werden.

Da sich aber der konservative Koalitionspartner vorerst dem freiheitlichen Ansinnen versperrte, den EU-Beitritt Tschechiens an die Aufhebung der Benes-Dekrete zu knüpfen, musste ein anderes Thema gesucht werden. Im grenznahen Atomkraftwerk Temelin wurde dann rasch ein vordergründig unverdächtiger und massenwirksamer Vorwand gefunden. Nun wurde der nationale Schulterschluss Wirklichkeit: Sämtliche Parteien, Medien - allen voran das Zentralorgan des österreichischen Ressentiments, die Neue Kronen Zeitung - und gesellschaftlich relevanten Gruppen (außer der Industrie) sammelten sich unter dem rot-weiß-roten Banner vermeintlicher und tatsächlicher AtomkraftgegnerInnen.

Temelin heißt Benes-Dekrete

Im mit ökologischen Argumenten medial aufbereiteten antitschechischen Klima begannen im Sommer 2000 die Grenzblockaden der zur Oberösterreichischen Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr zusammengeschlossenen BürgerInneninitiativen. Mit überparteilich ist jedoch nicht etwa gemeint, dass sich diese Plattform gegen oder unabhängig von Parteien organisieren will, sondern, dass sie eine alle Parteien umfassende - eben über den Parteien stehende - Plattform zu sein beabsichtigt. Das ganze grenznahe Volk sollte sich gemeinsam gegen die atomare Bedrohung von jenseits der Grenzen wehren. Unterstützung aller Art nimmt die Überparteiliche Plattform deshalb auch von allen Parteien an, komme sie von den Grünen, der ÖVP, der SPÖ oder eben der FPÖ.

Da sich in Österreich seit der Ablehnung des AKW-Zwentendorf in einer Volksabstimmung (1978) alle Parteien gegen Atomkraftwerke wenden, ist es auch und gerade im Falle Temelin kein Problem, eine Einheitsfront herzustellen, die eben von ganz links bis ganz rechts reicht. Die Gemeinschaft der Umweltbewegten hat auch jenseits der nationalen Aufwallung Tradition. Die bereits erwähnte Volksabstimmung über das einzige österreichische AKW wurde von einer Allianz aus völkischen HeimatschützerInnen, lebensschützerischen KatholikInnen, TrotzkistInnen, MaoistInnen, FPÖ und ÖVP gewonnen. Einzig die regierende SPÖ setzte damals auf das falsche Pferd.

Die österreichische Umweltbewegung war zwar nie durchgehend rechts, Berührungsängste mit rechten HeimatschützerInnen kannten aber nur wenige. So ist es auch kein Wunder, dass es sich Jörg Haider nicht nehmen ließ, den blockierenden Temelin-GegnerInnen seine Solidarität durch einen medial begleiteten Besuch zu versichern. Der Freiheitliche Pressedienst meldete am 10. Oktober 2000: "Mit vereinten Kräften und im wahrsten Sinne an der Front ,Wullowitz` zeigten sich gestern Abend bis in die späten Nachtstunden die Freiheitlichen Oberösterreichs im Kampf gegen die für Montag geplante Inbetriebnahme des AKW Temelin." Die dermaßen Beglückten wehrten sich weder gegen den Besuch Haiders noch gegen andere FPÖ-PolitikerInnen und FPÖ-Transparente vor Ort. Umgekehrt kann sich die FPÖ rühmen, bereits 1997 den EU-Beitritt Tschechiens auch von der Inbetriebnahme Temelins abhängig gemacht zu haben.

Die Kritik einiger linksradikaler Anti-Atom- und Ökogruppen an der Politik der Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahr richtete sich aber nicht nur gegen den Besuch Haiders und die unkritische Annahme jeder Unterstützung, komme sie auch aus noch so rechtem Eck. Die Aktionsform der Grenzblockade an sich ist es, die PolitikerInnen wie Haider geradezu einlädt, sich daran zu beteiligen. Wenn sich Protest gegen eine Technologie, deren Folgen im Ernstfall keine Staatsgrenzen kennen, ausgerechnet in der Blockade nationalstaatlicher Grenzen äußert, zeigt dies nicht nur die Stupidität dieser Art von Protest, sondern insbesondere den positiven Bezug zu einem auf die Nation und ihre Grenzen fixierten Heimatbegriff, der sich auch in den auf den Blockaden verwendeten Transparenten äußerte. Immer wieder ging es hier um den Schutz "unserer Dörfer", "unserer Kinder", "unserer Heimat". Dass sich die blockierenden Bauern wechselseitig als "Kameraden" bezeichneten, rundet dieses Bild ab. Anstatt sich gegen eine zerstörerische Technologie an sich zu wenden, soll der eigene Heimatboden vor einer aus dem Ausland kommenden Gefahr geschützt werden. Kaum wer kommt auf die Idee, die Menschen hinter der Grenze zu fragen, was sie von Aktionsformen halten, die erstmals seit der Öffnung des eisernen Vorhangs 1989 zur Schließung der Grenzen zwischen Österreich und Tschechien führten.

Auch Oliver Korschil, Umweltreferent im Grünen Parlamentsclub, erklärte sich in einem mail an die Ökologische Linke Wien mit den Blockaden solidarisch: "Erst durch das persönliche Engagement tausender österreichischer BürgerInnen, die in einer Art ,Notwehraktion` wochenlang die Grenzübergänge zu Tschechien blockierten, ist die Bundesregierung praktisch ,fünf vor zwölf` aufgewacht." Welche Umkehrung der Verhältnisse: Die zunächst obrigkeitsstaatlich geduldeten, ja sogar geförderten Blockaden werden zum Akt zivilgesellschaftlichen Aufbegehrens gegen die Obrigkeit umgelogen. Dass etwa der oberösterreichische Landesschulrat im Herbst 2000 einen Tag schulfrei gab und die Kinder in Bussen zu den Blockaden karren ließ, wird da geflissentlich übersehen.

Weiter kritisierte Korschil die Bundesregierung nicht etwa für eine nationalistische Einschüchterungspolitik gegenüber Tschechien, sondern dafür, dass sie den Trumpf des EU-Vetos aus der Hand gegeben hätte. Korschil: "Schüssel hat für ein schwaches Verhandlungsergebnis auch einen guten Verhandlungstrumpf aus der Hand gegeben und die Aufhebung der Blockade des Energiekapitels in den Erweiterungsverhandlungen mit Tschechien zugesagt."

Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmungen von Teilen der Grünen und Ökologiebewegung mit der FPÖ-Forderung nach einem Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens blieb die FPÖ schließlich allein, als sie im Herbst 2001 ankündigte, wegen Temelin ein "überparteiliches" Volksbegehren für ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens zu starten. SPÖ, Grüne und vor allem aber der Koalitionspartner ÖVP lehnten das Volksbegehren strikt ab. Lediglich die Neue Kronen Zeitung, die sich bereits 1997 von einem Gericht "systematische Ausländerhetze" attestieren lassen musste, mobilisierte wochenlang mit Schlagzeilen auf der Titelseite für das Begehren der FPÖ. Bekannte Persönlichkeiten wie Niki Lauda, Dagmar Koller oder der Musikantenmoderator Karl Moik warben seit Mitte Dezember in der Krone für eine Unterschrift.

Sämtliche bedeutenden Umweltschutzorganisationen Österreichs hatten sich, trotz des Drucks der Neuen Kronen Zeitung und kontroverser interner Debatten, öffentlich gegen das Volksbegehren ausgesprochen. "Die FPÖ missbraucht mit ihrem Temelin-Volksbegehren das einzige Mittel der direkten Demokratie, das den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich zur Verfügung steht, für ihre parteipolitischen Zwecke", erklärte etwa Alexander Egit, der Kampagnenleiter von Greenpeace in Wien. Die größte österreichische Umweltschutzorganisation, Global 2000, distanzierte sich ebenso vom Volksbegehren wie der WWF.

RevanchistInnen wittern ihre Chance

Nicht ganz so ablehnend äußerte sich die Plattform gegen Atomgefahren, welche "keine Empfehlung zur Abstimmungsentscheidung (...) für die Bevölkerung" abgeben wollte. Die ÖsterreicherInnen seien mündig genug, um "selbst zu entscheiden, was sie wollen und für richtig halten". In ihrer Erklärung kritisiert die Plattform ausschließlich die mangelnde Entschlossenheit der Freiheitlichen in der Antiatompolitik, nicht aber den antitschechischen Charakter des Volksbegehrens. "Die österreichische Bevölkerung sieht das Veto-Volksbegehren scheinbar als eine der letzten Chancen eines demokratischen deutlichen Bürgervotums gegen Temelin. (...) Die Bürgerstimmen für dieses Volksbegehren und gegen Temelin können daher nicht als Stimme für die FPÖ demontiert werden", hieß es in der Erklärung. Der Geschäftsführer der Plattform, Josef Pühringer, hat entgegen seiner ursprünglichen Weigerung das Volksbegehren dann doch unterschrieben. Dass er das vor der Linse eines Krone-Fotografen tat, versteht sich da fast schon von selbst.

Gegen das Referendum mobilisierten hingegen radikale Linke. Die Ökologische Linke, die Rosa Antifa Wien, die Grünalternative Jugend, Mayday 2000, der Kulturverein Sägefisch und Infoläden aus Wien, Innsbruck und Wels machten in landesweit verbreiteten Plakaten und Flugblättern deutlich, dass bei diesem Volksbegehren "nicht über Temelin entschieden wird, sondern die FPÖ damit von ihrer mehr als fragwürdigen Bilanz als Regierungspartei" ablenken möchte. Das "Kind hat in Wirklichkeit einen ganz anderen Namen. Es heißt nicht Temelin, sondern Benes-Dekrete", heißt es in dem Aufruf weiter.

Nachdem das Volksbegehren im Januar 2002 beinahe eine Million Unterschriften erreicht und die FPÖ/VP-Koalition an den Rand der Auflösung getrieben hatte, tritt der Revanchismus wieder ganz offen zu Tage. Während die FPÖ aus Rücksicht auf den Koalitionspartner vorsichtig vom eigenen Volksbegehren und dem dort geforderten Veto abrückte, stellte sie nun wiederum die Benes-Dekrete als ein Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens in den Vordergrund. Diesmal reagierte auch die ÖVP weitaus positiver. Die konservative Außenministerin Benita Ferrero-Waldner verknüpfte nun selbst die Aufnahme Tschechiens in die EU mit der vorherzugehenden Abschaffung der Dekrete. Da packte auch die hauptamtlichen Revanchisten der Bekennermut: Anfang Februar preschte die Sudetendeutsche Landsmannschaft mit einer Sammelklage gegen die Tschechische Republik vor, um Entschädigung für "geraubtes Vermögen" zu erhalten und erklärte zugleich, eine Unterstützung von Seiten der Bundesregierung für ihr Anliegen zu erwarten. Und die Neue Kronen Zeitung, die sich übrigens mehrheitlich im Besitz des deutschen WAZ-Konzern befindet, ist wieder an vorderster Front mit dabei. Schon beim Start der Serie "Verdrängter Völkermord" (an den "Sudetendeutschen") am 3. Februar wartete das Blatt dabei mit einer Lüge auf: Das Massaker von Lidice wird dort "30 tschechische(n) Gendarmen der Prager Ordnungspolizei" in die Schuhe geschoben.

Thomas Schmidinger

Heribert Schiedel

Anmerkung

1) Eduard Benes trat nach dem Münchener Abkommen (30.9.1938), in dem Nazi-Deutschland den "Anschluß" des "Sudentenlandes" durchsetzte, als tschechoslowakischer Präsident zurück. Kurz darauf ging er nach England, wo er ab 1940 die Exilregierung anführte. In dieser entstand rasch Einigkeit darüber, dass die für die Zerschlagung der Republik maßgeblich verantwortlichen "Sudetendeutschen" nach Kriegsende enteignet und ausgewiesen werden müssen. Nach der Befreiung wurde er wieder Staatspräsident, was er bis zur KP-Machtübernahme 1948 blieb. In den 1945 erlassenen Benes-Dekreten wurde u.a. die Enteignung und Aussiedlung "staatlich unverlässlicher Personen" (Deutsche, Ungarn) geregelt.