Kriegerin ohne Schatten?
Monika Treuts Film "Kriegerin des Lichts"
Wer Monika Treuts bisherigen Filme wie "Gendernauts" und "Die Jungfrauenmaschine" kennt, wird sicherlich von ihrem neuesten Film "Kriegerin des Lichts" überrascht sein. In ihrem jüngsten Werk beschäftigt sich die Filmemacherin nicht mit Gender, Sexualität und der schwul-lesbischen Subkultur, sondern mit Straßenkindern in den Slums von Rio de Janeiro. Treut porträtiert die brasilianische Menschenrechtlerin Yvonne Bezarra de Mello, die sich seit Jahren in verschiedenen Projekten in den Favelas engagiert.
Darauf angesprochen, ob Treut einen Film über de Mello machen wollte, war ihre erste Reaktion zunächst ablehnend: "Was habe ich mit armen Kindern in Brasilien zu tun? Das ist nicht mein Thema", so Treut. Nachdem sie de Mello und ihre Projekte in Rio kennen gelernt hat, war Treut jedoch so beeindruckt, dass sie "den Film einfach machen [musste]" Dabei waren die Bedingungen, diesen Film zu machen, alles andere als einfach: Die Gelder für den 90-minütigen Dokumentarfilm flossen mehr als spärlich - nur die Filmförderung Hamburg und NRW haben Gelder bereitgestellt -, so dass Monika Treut einen Großteil selbst finanzierte; es fand sich auch kein Vertrieb oder Sender, der den Film ins Programm nehmen wollte. Dabei wurde "Kriegerin des Lichts" auf der Berlinale von KritikerInnen als "Kunstwerk" und "berührender Dokumentarfilm" gelobt.
Im Zentrum des Films steht das Porträt einer vielseitigen Frau: Yvonne Bezarra de Mello. De Mello ist Künstlerin, gebildet, und gehört zur brasilianischen Oberschicht. Sie ist mit einem reichen Hotelkettenbesitzer verheiratet. Gleichzeitig engagiert sie sich für die ärmsten Außenseiter der brasilianischen Gesellschaft in einem Ausmaß, das weit über die üblichen Benefiz-Gesten der Oberschicht hinausgeht. Seit Anfang der 90er-Jahre besucht de Mello die Straßenkinder, die am Strand der Copa Cábána leben, um ihnen Essen zu bringen und ihre Verletzungen zu behandeln. Bekannt wurde de Mellos Arbeit durch das so genannte Candelaria-Massaker im Juli 1993. Damals lebten etwa 70 Straßenkinder um die Candelaria-Kirche herum. In der Nacht des 23.7. erschoss die Polizei - von Geschäfts- und Hausbesitzern gerufen - acht Kinder auf offener Straße. De Mello wurde von den überlebenden Kindern alarmiert; sie leistete erste Hilfe, bis Stunden später der Rettungsdienst eintraf. Der Fall ging damals durch die Medien; de Mello avancierte zum Sprachrohr der Straßenkinder. Seit 1998 gibt es das von ihr initiierte Projekt Uerê (Kinder des Lichts), das in den illegalen Hüttenviertel auf den Hügeln von Rio angesiedelt ist. In Maré hat die Organisation ein Haus, in dem u.a. Essen gekocht wird, Alphabetisierungskurse, medizinische Verpflegung und Englisch-Unterricht angeboten werden. Das Konzept von Uerê ist denkbar einfach: Die Kinder werden durch Bildung und Information gestärkt, damit sie aus dem Teufelskreis von Armut, Krankheit und Drogen ausbrechen können. In einer Szene des Films betteln von Klebstoff benebelte Jungen de Mello um Geld an. Ihre lapidare Antwort: "Ihr müsst euch schon selbst helfen" spiegelt ihr Konzept wider, das nicht missionarisch, sondern pädagogisch im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe angelegt ist.
In "Kriegerin des Lichts" wird zwar eindringlich die verheerende Lebenssituation in den Slums mit der Kamera eingefangen. Andererseits bleibt die Erzählung dicht an der Hauptfigur des Films: Neben dem Leben für die Favelas wird auch Yvonne Bezarra de Mellos "anderes Lebens" gezeigt: de Mello bei einem Empfang in ihrer Ferienhaus, in ihrem Atelier, beim Reiten. Der enorme Reichtum und das Leben als Privilegierte stehen im direkten Kontrast zu den Bildern der schmutzigen, ärmlichen Slums. Die Hauptperson bewegt sich in beiden Welten mit großer Selbstverständlichkeit: "Ich habe keine Schuldkomplexe" sagt de Mello selbstbewusst, "sonst könnte ich diese Arbeit gar nicht machen." De Mello passt weder in das linksliberale Klischee einer selbstlosen Helferin, die ihr letztes Hemd für die Armen gibt, noch bedient sie das Hannelore-Kohl-Image einer gutbürgerlichen Wohltäterin. Für ihr Engagement zahlt die Künstlerin einen hohen persönlichen Preis: den der Einsamkeit. Sie wird sowohl von den Linken kritisiert, die ihr vorwerfen, sie würde ihre Arbeit in den Favelas für Selbstpublicity nützen, und von der brasilianischen Oberschicht wird sie regelrecht angefeindet. Für viele Etablierte sind die SlumbewohnerInnen Kriminelle und Drogenabhängige, die ihren Wohlstand bedrohen.
Das Bild, das Treut von de Mello zeichnet, ist ein durchweg Positives - so wirkt die "Kriegerin des Lichts" makellos und ohne Schatten. An keiner Stelle des Films werden die Ursachen für die katastrophalen Verhältnisse in den Slums thematisiert. Etwa ein Drittel der Menschen in Rio Stadt lebt in extremer Armut, die meisten von ihnen sind schwarz. In Treuts Film wird auf die Verwobenheit von Armut mit einer bestimmten Hautfarbe nicht weiter eingegangen. Auch KritikerInnen von de Mello kommen nicht zu Wort, was den Film insgesamt schwächt. Auch wenn de Mellos im Kontakt mit den Kindern authentisch und ehrlich wirkt, gibt es auch problematische Äußerungen von ihr. So erklärt sie beispielsweise, dass man den Menschen erst mal zeigen müsse, dass sie ihre Wohnung sauber halten müssen, denn "das haben sie nirgendwo gelernt". Sie läuft damit Gefahr, die Vorurteile zu reproduzieren, die in der Gesellschaft gegenüber AfrobrasilianerInnen bestehen. Insgesamt wäre mehr Distanz zur porträtierten "Kriegerin des Lichts" angebracht gewesen. So wird die politische Seite des Problems ausgeblendet: Es fehlt die Reflexion über Ein- und Ausschlussmechanismen einer Gesellschaft, in der der Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und sozialem Aufstieg, einem Großteil der Bevölkerung von vornherein verweigert wird.
Die rassistische Segregation der brasilianischen Gesellschaft ist allseits präsent, ohne thematisiert zu werden: Je dunkler die Hautfarbe, desto weiter unten befindet sich die Person in der sozialen Hierarchie. Darin liegt auch gleichzeitig das Dilemma sozialarbeiterischer Projekte in den Slums: sicherlich können die Bedingungen in den Elendsvierteln verbessert werden; der Weg aus den Slums heraus bleibt jedoch den AfrobrasilianerInnen auf Grund ihrer Hautfarbe versperrt. So bleibt für viele der Straßenkinder der Traum von einem besseren Leben außerhalb des Slums Fiktion. Einer der in "Kriegerin des Lichts" interviewten Straßenjungen bringt die Realität auf den Punkt: "Ich werde irgendwie überleben."
Nicole Vrenegor
Informationen zum Film unter
www.hyenafilms.com,
Informationen über das Projekt "Uerê" unter
www.projetouere.org.br