Harmoniestörungen
Gewerkschaften kritisieren Rot-Grün
Ein ziemlich schlechtes Zeugnis bekommt die Bundesregierung von Teilen ihrer klassischen Bündnispartner ausgestellt. Immer wieder sind in den letzten Wochen kritische Töne aus den Führungsetagen von IG Metall und ver.di zu hören und zu lesen. Verwunderlich ist das nicht, hatten doch der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Einzelgewerkschaften mit der Kampagne "Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit" zur Ablösung der Kohl-Regierung beigetragen. Da der erhoffte Politikwechsel ausblieb, fällt die Bilanz in Gewerkschaftskreisen ernüchternd aus.
Schon im Vorfeld der diesjährigen Tarifrunde knirschte es im sozialdemokratischen Gebälk. Kanzler Schröder wollte im Bündnis für Arbeit die Tarifpartner wie schon vor zwei Jahren auf eine moderate Tarifrunde einschwören. Schröder hätte mit einer "erfolgreichen" Bündnisrunde zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: sich selbst als großen Moderator widerstreitender Interessen präsentiert und sich gleichzeitig im Wahljahr Ruhe an der Tariffront verschafft. Den Arbeitgeberverbänden kam dieses Ansinnen durchaus entgegen. Den Gewerkschaften weniger, da sie mit den bisherigen Ergebnissen der Bündnisrunde nicht zufrieden sein können. Auch wenn es an der Gewerkschaftsbasis keine Aktionen gegen das Bündnis für Arbeit gibt, der Missmut über die (finanziellen) Folgen der Kooperation ist allenthalben zu spüren; auch wurde der Lohnverzicht nicht durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze "belohnt".
Hinzu kommt eine stetig ansteigende Unzufriedenheit mit der Politik der vom DGB gestützten Regierung. In seiner Bilanz der rot-grünen Regierungspolitik gelangt der "Chefdenker" der IG Metall, Klaus Lang, zu folgendem Zwischenergebnis: "Neben der nach innen und außen gerichteten Sicherheitspolitik und Terrorismusbekämpfung gibt es nur ein wirkliches ,Großprojekt`, mit dem diese Regierung in den Augen einer breiten Öffentlichkeit und damit auch der Arbeitnehmerschaft verbunden ist: die Konsolidierung der Staatsfinanzen, die rigorose Sparpolitik und die Rückführung der Neuverschuldung des Bundeshaushalts auf null bis zum Jahr 2006."
Die in die SPD gesetzte Hoffnung sieht Lang bei der Steuerreform ebenso enttäuscht ("Die Verteilungsgerechtigkeit ist durch die Steuerform nicht vergrößert, sondern verringert worden") wie bei der Rentenreform ("Absenkung des Rentenniveaus in der gesetzlichen Säule und Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ..."). Lang sieht auch die Gefahr, dass nach dem Ausstieg aus der paritätisch finanzierten Rente auch die anderen sozialen Sicherungssysteme unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung geschleift werden.
Die SPD wird auch in diesem Jahr einen Wahlkampf für die Fortsetzung der "Politik der Mitte" führen. Das Strategiepapier von SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering unterzieht Klaus Lang einer heftigen Kritik: "Das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Modell, das dem Papier zu Grunde liegt, setzt allein auf Vergrößerung wirtschaftlichen Wachstums als Grundlage für mehr Beschäftigung. Die Fortführung und Verschärfung des Konkurrenzkapitalismus wird zur entscheidenden Quelle des nationalen Wohlstands (Deutschland als exportorientierte Nation in einer globalisierten Wirtschaft)."
"Die Mitte
ist nicht rot, sondern blutleer"
Langs Schlussfolgerung lautet: "Die Mitte ist nicht rot, wie Franz Müntefering formuliert, sondern blutleer." Für radikale Linke ist das sicherlich keine neue Erkenntnis, überraschend aber, dass auf "Spitzenebene" der Gewerkschaften immer deutlichere Worte gefunden werden.
Da nützt auch das Selbstlob der sozialdemokratischen Parteiführung nichts, die auf die Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes verweist, auf Verbesserungen beim Kündigungsschutz oder auf die Wiedereinführung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in dieser Legislaturperiode. Dies wird zwar von allen GewerkschaftsfunktionärInnen gewürdigt, hebt jedoch die Kritik an der neoliberalen Sparpolitik von Rot-Grün nicht auf. IG-Metall-Vize Jürgen Peters sieht in der Politik von Gerhard Schröder eine "neoliberale Handschrift" und gelangt zu der Erkenntnis, die wohl auch Klaus Lang teilt: "Ob ich das kleinere Übel wähle oder das größere, macht keinen großen Unterschied." (Handelsblatt 15.3.)
Das sind natürlich Aussagen, die die Alarmglocken in der SPD-Führung klingeln lassen. Ob dabei die vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck gewählte Sprachregelung ("Ich weise die Vorwürfe der IG Metall als unhaltbar zurück") einer besseren Verständigung dienlich sind, darf bezweifelt werden. Gut möglich, dass sich die sozialdemokratische Parteiführung der prinzipiellen Unterstützung durch die Gewerkschaften zu sicher war. Dass es gewerkschaftsintern Widerspruch zum sozialpolitischen "Modernisierungskurs" gibt, hätte auch der SPD nicht verborgen bleiben müssen.
Atmosphärische Störungen drückten sich auch darin aus, dass der IG-Metall-Vorstand eine "Selbsteinladung von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in das Gremium brüsk zurückwies". (Frankfurter Rundschau, 18.2.) Der ver.di-Vorsitzende Bsirske drohte der Bundesregierung "großen Ärger" an, sollte sie die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in die Tat umsetzen wollen. Auch hier wieder Irritationen auf SPD-Seite: Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Poß bedauerte, "dass hier Drohungen ausgesprochen werden, bevor wir uns unterhalten haben". (FR, 25.2.)
Die Dissonanzen sollten zwar nicht überbewertet werden, denn in der Regel haben die Sozialdemokraten in Partei und Gewerkschaft immer wieder einen Weg oder Sprachregelungen gefunden, die die Widersprüche nicht zu stark werden ließen. Gerade in Wahlkampfzeiten. Andererseits wurde den Gewerkschaften in den letzten dreieinhalb Jahren deutlich gemacht, dass sie keineswegs auf Erbhöfe setzen können. Die Hoffnungen auf einen Politikwechsel durch die Sozialdemokratie an der Regierung wurden allenthalben enttäuscht. Der neoliberale Umbau ging ungebremst weiter. Die SPD sieht Teile der Gewerkschaftbewegung bei ihrem "Modernisierungskurs", wie aktuell bei der Neudefinition der Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit, nur noch als Bremsklotz. Gut möglich, dass die Risse tiefer werden. Eine an den Kapitalinteressen orientierte Regierungspolitik den Gewerkschaftsmitgliedern als erfolgreich zu vermitteln, das fällt auch gewerkschaftlichen SpitzenfunktionärInnen schwer.
Die gewerkschaftlichen Signale an die SPD sind deutlich. Dass sie dort Kurskorrekturen bewirken, darf bezweifelt werden. Wie hoch die gewerkschaftliche Bereitschaft zum Konflikt ist, wird unter anderem die bevorstehende Tarifrunde zeigen.
Georg Wißmeier