Konfrontation abgeschwächt
Kritische Anmerkungen zur Wehrmachtsausstellung
Die neu konzipierte Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht" bleibt in der Linken umstritten. Während Alexander Neumann in ak 459 zu einer weitgehend positiven Bewertung kam, bemängelt die Bielefelder Initiative gegen Ausgrenzung, deren Diskussionspapier wir dokumentieren, die mit der alten Ausstellung angelegte fruchtbare Konfrontation sei durch die Überarbeitung verloren gegangen.
Die linke Kritik macht sich vor allem an drei Punkten fest, die im Wesentlichen für beide Ausstellungen gelten:
Erstens: Ist Krieg kein Verbrechen? Können Kriegsrechtskonventionen als Kriterium für einen verbrecherischen Vernichtungskrieg gelten?
Auf der Grundlage der zur damaligen Zeit international anerkannten Kriegsrechtskonventionen, der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konventionen, wird in der Ausstellung der fundamentale Unterschied zwischen dem Ostfeldzug der Wehrmacht 1941-44 und allen anderen Kriegen des 20. Jahrhunderts einschließlich der Westfeldzüge der Wehrmacht herausgearbeitet. Dies hat zum Ziel, deutlich zu machen, dass dieser Feldzug "kein Krieg im herkömmlichen Sinn" (Zitat einer zentralen Überschrift in der Ausstellung) war, sondern ein Krieg, der auf die Zerstörung einer Gesellschaft und die Vernichtung ganzer Bevölkerungsteile ausgelegt war und entsprechend durchgeführt wurde - eben ein Vernichtungskrieg.
Wählt man allerdings die Kriegsrechtskonventionen zum Maßstab dessen, was im Krieg nach internationaler Übereinstimmung zulässig ist und was nicht, so suggeriert dies eine Unterscheidung zwischen korrekter und verbrecherischer Kriegsführung, völlig unabhängig davon, zu welchem Zweck gekämpft wird. Generell entsteht der Eindruck, Krieg sei unter der Bedingung der Einhaltung dieser Spielregeln legitimes Mittel der Politik.
Die Bilder
haben die Täter sichtbar gemacht
Dies kann aus linker Sicht nicht akzeptabel sein, gerade auch vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um die Führung des "Krieges gegen den Terror". Die historische Erfahrung hat gezeigt, dass Kriege in aller Regel nur der blutigen Durchsetzung der Machtinteressen eines Teils der herrschenden Eliten im Sinne eines Rechts des Stärkeren dienen. Selten haben Kriege die umkämpften Probleme gelöst, geschweige denn den betroffenen Bevölkerungen zusätzliche Freiheiten gebracht. Ganz im Gegenteil werden unter den Bedingungen des Krieges und im Rahmen militärischer Notwendigkeiten Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt und hierarchisch-rassistische und patriarchale Strukturen forciert. Ob die Konventionen zu einer Humanisierung der sogenannten "ganz normalen" Kriege geführt haben, sei in Frage gestellt. Zudem zeigt das aktuelle Beispiel Afghanistan, wie sehr die kriegsführenden Parteien das Kriegsrecht in ihrem Sinne uminterpretieren bzw. sich darüber hinwegsetzen. Eine Problematisierung der Kriegsrechtskonventionen innerhalb der Ausstellung wäre deshalb unserer Ansicht nach notwendig gewesen; dies geschieht nicht einmal ansatzweise.
Allerdings muss diese linke Kritik aufpassen, die einmaligen Verbrechen der Wehrmacht und ihre Beteiligung am Holocaust unter der Perspektive eines radikalen Antimilitarismus nicht zu relativieren. Krieg ist nicht gleich Krieg - und der Vernichtungskrieg der Wehrmacht 1941-44 nimmt historisch eine Sonderstellung ein.
Zweitens wird in der Linken die fehlende historische Einbettung der Ausstellung kritisiert.
Die Ausstellung beschränkt sich darauf, die verbrecherischen Dimensionen dieses Krieges isoliert darzustellen, ohne sie aus den gesellschaftlichen Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland und aus dessen Vorgeschichte herzuleiten. Die Darstellung der Verbrechen beginnt mit der Planung des Krieges durch das Oberkommando der Wehrmacht und anderer beteiligter nationalsozialistischer Institutionen 1940. So entsteht der Eindruck, als wäre eine bis dahin saubere und anständige Armee plötzlich auf Befehl eines "wahnsinnigen" Führers und unter Mitwirkung teils nationalsozialistisch überzeugter, teils korrumpierter Generäle ausgezogen, um Verbrechen zu begehen. Die Beteiligung unzähliger Soldaten aller Dienstränge an den Verbrechen kann aber erst auf dem Hintergrund der rassistischen und antisemitischen Traditionen innerhalb der deutschen Bevölkerung und ihrer rapiden Radikalisierung im Nationalsozialismus verstanden werden. So arbeitet die Ausstellung positiv, im Gegensatz zur gängigen Legende des Befehlsnotstandes, den Charakter von Befehlen als Handlungsoptionen heraus - gerade auf diesem Hintergrund stellt sich aber die Frage, warum die Option des rassistischen und antisemitischen Mordens so bereitwillig aufgegriffen wurde.
Die dritte Kritik bezieht sich auf die Kontinuitäten nach 1945.
Die Ausstellung thematisiert durchaus die zum Teil sehr mangelhafte juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Wehrmacht in der BRD und der DDR und erwähnt auch personelle Kontinuitäten in der Anfangszeit der Bundeswehr. Die Ausstellung suggeriert aber einen Bruch mit diesen Kontinuitäten durch die Ansätze einer militärhistorischen Aufarbeitung innerhalb der Bundeswehr in den 1970er Jahren. Durch die Einführung des Konzepts der inneren Führung, einer moralischen Kontrollinstanz auf allen Hierarchieebenen, habe die Bundeswehr nun den Charakter einer demokratisch orientierten Armee. Das Schlagwort des Bürgers in Uniform macht die Runde. Eine generelle Kritik der Traditionsbildung auch der heutigen Bundeswehr auf der Basis der nationalsozialistischen Wehrmacht und ihrer Vorgängerarmeen in der Weimarer Republik und im Kaiserreich bleibt in der Ausstellung aus.
Die Bundeswehr distanziert sich zwar von den nicht mehr zu leugnenden Verbrechen der Wehrmacht und benennt auch mal eine Kaserne um, wenn der bisherige Namensträger öffentlich als maßgeblich Beteiligter an den Verbrechen geoutet wird - die Wehrmacht als Institution, ihre Strukturen und Rituale werden aber nicht in Frage gestellt. Es gibt eine ungebrochene Militärtradition von der kaiserlichen Armee über die Wehrmacht bis zur heutigen Bundeswehr, wobei weitgehend unterschlagen wird, dass die in der Weimarer Republik gegründete Reichswehr ab 1933 unter Einbeziehung der Freikorps als Wehrmacht neustrukturiert und, wie die ganze Gesellschaft, systematisch vom Nationalsozialismus durchdrungen wurde; dabei konnte auf vorhandene rassistisch/antisemitische Strukturen zurückgegriffen werden. Der positive Bezug auf die Vorgängerarmee und ihre herausragenden Repräsentanten dient in der Bundeswehr auch heute noch der Bildung einer national orientierten, soldatischen Identität. Die in diesen Militärtraditionen mitüberlieferten rassistischen und antisemitischen Denkmuster werden in der Bundeswehr kaum thematisiert und treiben munter ihr Unwesen, wie z.B. die von Zeit zu Zeit an die Öffentlichkeit dringenden rassistischen Vorfälle zeigen. Diese Thematik wird in der Wehrmachtsausstellung nicht aufgegriffen, geschweige denn das weiterhin extrem patriarchale Bild des soldatischen Mannes.
Übrigens, wie steht es eigentlich mit dem sexistischen Aspekt des Vernichtungskrieges? Es gab eine enge Verzahnung von Rassismus und Sexismus. Massenvergewaltigungen gab es nicht erst in Bosnien. Die totale Ausbeutung, Kolonialisierung und Vernichtung der besetzten Gebiete 1941-44 drückte sich auch in einer Kolonialisierung und Zerstörung weiblicher Körper aus, in Fragmenten überliefert in den Berichten Überlebender. Eine systematische Aufarbeitung dieses Themas hat es in der Geschichtswissenschaft nie gegeben, geschweige denn eine öffentliche Thematisierung. In der Ausstellung wird dies mit keinem Wort erwähnt.
Die Mängel der Ausstellung machen sie in den Augen linker KritikerInnen instrumentalisierbar. So könne der Eindruck einer nach Aufarbeitung der Wehrmachtsverbrechen geläuterten Bundeswehr entstehen, die international wieder einsetzbar ist. Eine Distanzierung von den Verbrechen der Wehrmacht im Vernichtungskrieg 1941-44 bei gleichzeitigem Verschweigen der rassistischen und antisemitischen Traditionen vor und nach diesem Krieg erlaube scheinbar "saubere" Kriegseinsätze der Bundeswehr im Sinne der Kriegsrechtskonventionen ohne die Notwendigkeit, sich von den lieb gewonnenen Traditionen zu verabschieden. Ja, man könne der Bundeswehr sogar ein besonderes Gütesiegel aufkleben, sie sei durch die Aufarbeitung der Verbrechen der Wehrmacht in Deutschland in ganz besonderer Weise geeignet, humanitäre Grundrechte weltweit militärisch durchzusetzen.
Tatsächlich hat es Instrumentalisierungen in diesem Sinne gegeben. Jedes Aufbrechen eines Tabus, jedes Entlarven eines Mythos ruft schnell diejenigen auf den Plan, die dann behaupten, jetzt sei die Arbeit ja getan, man könne das Thema zu den Akten legen, einen Schlussstrich ziehen. Dies gilt natürlich auch für den angeblich letzten großen Mythos der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Frage, inwieweit die AusstellungsmacherInnen für diese Instrumentalisierbarkeit verantwortlich zu machen sind, ist schwer zu entscheiden, aber für die Beurteilung ihrer gesellschaftlichen Wirkung eher zweitrangig. Von dieser Wirkung hängt es aber maßgeblich ab, ob die Ausstellung unterstützenswert ist oder nicht.
Kein Bruch mit militärischen Traditionen
Die öffentliche Diskussion um die erste Ausstellung wurde nicht von den Instrumentalisierern dominiert. Ganz im Gegenteil wirkte die Ausstellung hochgradig polarisierend. Statt einer Integration ihrer Aussage in herrschende Intentionen rüttelte sie an einer Grundfeste der bundesrepublikanischen Gesellschaft der letzten 57 Jahre. Diese basierte auf der Überzeugung, die große Bevölkerungsmehrheit trage keine Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Der Mythos der sauber gebliebenen Wehrmacht - der Massenorganisation dieser Zeit mit über 11 Millionen Angehörigen - war wesentlicher Bestandteil dieser Überzeugung, die sich in der breiten Öffentlichkeit bis 1995 weitgehend ungebrochen hielt, obwohl in der historischen Fachwelt das Gegenteil längst als erwiesen galt. Erst die bildliche Konfrontation mit den Verbrechen und den unzähligen daran beteiligten Tätern hat die lange überfällige Auseinandersetzung in Gang gebracht. Wo bis dahin meist nur anonyme Taten geschildert wurden, bekamen hier die Verbrechen ein Gesicht, oft genug eins, das einzelne Besucher erkannten.
Die daraus resultierende Heftigkeit und Emotionalität der Auseinandersetzung hat nicht nur die Hartnäckigkeit des Mythos Wehrmacht offenbart, sondern auch gezeigt, wie wichtig eine an nationalen Traditionen orientierte Identitätsbildung für weite Teile der Gesellschaft immer noch ist. Zur Verteidigung dieser Traditionen fand sich eine Koalition neofaschistischer Kräfte und nationalkonservativer Kreise bis weit ins bürgerliche Lager zusammen. Die in der Fachwelt seit Jahrzehnten belegten Grundaussagen der Ausstellung erschienen im Medienecho daraufhin als höchst strittig, die Ausstellung galt als zu tendenziös, um in öffentlichen Räumen wie Parlamentsgebäuden gezeigt oder aus Steuergeldern unterstützt zu werden (Beispiel Bielefeld). Auf der anderen Seite hat gerade dies wiederum einerseits die Verteidiger der Inhalte dieser Ausstellung auf den Plan gerufen, andererseits AntifaschistInnen mobilisiert. Kaum ein Aufarbeitungsprojekt der letzten Jahrzehnte ist mit einem bundesweit von vielen lokalen Initiativen organisierten breiten, vielschichtigen und stark beachteten Begleitprogramm versehen worden wie die Wehrmachtsausstellung.
Die durch das massive Bildmaterial erzeugte Konfrontation wird in der zweiten Ausstellung zu Gunsten einer fundierteren Untermauerung durch andere Dokumente aufgegeben. Wir sehen dies als Manko, lag doch in der Wirkung der schockierenden Bilder viel mehr Sprengkraft als in der nüchterneren Darstellung der historischen Ereignisse. Die Grundaussage des verbrecherischen Krieges und der Täterschaft unzähliger Soldaten aller Dienstränge bleibt aber bestehen. Deshalb bietet die zweite Ausstellung, auch wenn sie in ihrer Darstellung bei weitem nicht mehr so provokativ ist wie die erste, immer noch die Chance, uns einerseits an einer wichtigen Aufarbeitungsarbeit zu beteiligen und andererseits rassistische, antisemitische und patriarchale Traditionen und Strukturen der heutigen Gesellschaft offen zu legen und zu bekämpfen.
Initiative gegen Ausgrenzung
Bielefeld