Trostlose Aussichten
Seit zehn Jahren protestieren ehemalige koreanische "Trostfrauen" in Seoul
Es gleicht einem traurigen, mitunter bizarren Ritual. Seit dem 8. Januar 1992 demonstrieren alte koreanische Frauen im Zentrum der südkoreanischen Metropole Seoul vor der japanischen Botschaft gegen vergangenes Leid und andauernde Demütigung. Und das Mittwoch für Mittwoch zur Mittagszeit. Am Mittwoch, den 13. März, war es das 500. Mal, dass sich die Frauen auf Plastikstühle vor dem Botschaftsgebäude des östlichen Nachbarn hockten und Transparente mit den Aufschriften wie "Enthüllt die Wahrheit" oder "Löst das Problem der Comfort Women" entrollten.
Traurig ist diese Inszenierung, weil die Gruppe der Demonstrantinnen stets kleiner und das ihnen widerfahrene Unrecht größer wird. Bizarr wirkt das ungewöhnliche Mittwoch-Sit-in, wenn mal wieder die Zahl der aufgebotenen Sicherheitskräfte die der Protestierenden bei weitem übersteigt. Offensichtlich befürchten die Polizisten, dass sich radikale StudentInnen der Frauendemonstration anschließen. Trostlose Aussichten für Frauen, denen man viele Namen gab - "Trostfrauen" im Deutschen, "Comfort Women" im Englischen, "jungun wianbu" im Koreanischen und "jugun ianfu" im Japanischen -, die bei so viel penetrantem Euphemismus doch endlich nur eines wollen: ein angemessenes Schuldeingeständnis der Täter und eine Entschädigung für deren Nachkommen.
Zwangs-
rekrutierung von Sexsklavinnen
Schätzungsweise 80.000-200.000 Mädchen und Frauen aus Korea, China, den Philippinen, Indonesien, Osttimor und Burma sind von den Truppen der Kaiserlich Japanischen Armee zwischen 1932 und 1945 gewaltsam in Soldatenbordelle verschleppt und millionenfach als Sexsklavinnen missbraucht worden. Vor allem waren Koreanerinnen davon betroffen, da Japan die koreanische Halbinsel von 1910 bis 1945 als Kolonie ausgeplündert hatte. In den 40er-Jahren hießen die "Comfort Women" auch "jungshindae", das eigentlich so viel heißt wie "den Körper freiwillig für die Arbeit einsetzen". Unter diesem japanisch geprägten Begriff wurde der uneingeschränkte Einsatz im Dienste des "Tenno" (Japanischer Kaiser) verstanden. Weshalb eine internationale Juristinnengruppe anlässlich eines - symbolischen - Kriegsverbrechertribunals auch den früheren japanischen Kaiser Hirohito Mitte Dezember 2000 der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig sprach. Die Sexsklavinnen der Kaiserlich Japanischen Armee wurden zwangsrekrutiert, weil man Geschlechtskrankheiten und den Verrat militärischer Geheimnisse ebenso vermeiden wollte wie Unruhen in der jeweiligen Bevölkerung, wenn es andernfalls zu unkontrollierten Vergewaltigungen gekommen wäre.
Erst Anfang der 90er-Jahre fanden einige der überlebenden "Comfort Women" den Mut, die Fesseln ihrer zutiefst scham-orientierten Kultur zu sprengen und auf ihr früheres Schicksal aufmerksam zu machen. Schon bald folgten ähnliche öffentliche Bekenntnisse von Filipinas. So groß der Schock anfänglich auch war, er blieb und bleibt unangenehm, weil die Herrschenden in den jeweiligen Ländern nicht mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit konfrontiert werden wollen. Jahre vergingen, bis dieses heikle Kapitel des japanischen Militarismus international Beachtung fand und beispielsweise 1998 die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen, Gay McDougall, die Vergewaltigungs-Camps der japanischen Armee als eklatante Menschenrechtsverletzung einstufte.
1991 entstand der sogenannte Koreanische Rat, der von den von Japan für die militärische Sexsklaverei eingezogenen Frauen gegründet wurde. Dieser machte Anfang 1992 erstmalig auf sich aufmerksam, als der damalige japanische Premierminister Kiichi Miyazawa in Südkorea auf Staatsvisite weilte. "Wir erwarten", betont Chi Eun Hee, die Vorsitzende der Organisation, "dass die japanische Regierung die Wahrheit enthüllt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht, sich offiziell für diese Verbrechen entschuldigt, die Opfer gemäß internationalen Rechtsnormen entschädigt, die Geschichtsbücher korrigiert und ein Mahnmal errichtet".
Schweigen über das Schicksal der "Comfort Women"
Der Rat will so lange die Proteste aufrechterhalten, bis die japanische Regierung die volle Verantwortung für ihre Kriegsverbrechen übernimmt. Vor allem ist es den Opfern und ihren Angehörigen ein Dorn im Auge, dass Tokio mit dem von ihm 1995 aus der Taufe gehobenen "Asia Peace National Fund for Women" selektiv Kompensationszahlungen an Überlebende gewährt, doch japanische Berufungsgerichte Entschädigungsklagen koreanischer und philippinischer Zwangsprostituierter notorisch abweisen.
So besorgt sich US-Präsident Bush heute über die Menschenrechtslage in der VR China zeigt und plötzlich eine Fürsorgepflicht für dort verfolgte Falun Gong-Anhänger verspürt, ist ihm die "Comfort Women"-Problematik im Nachbarland Korea kein Sterbenswörtchen wert. Während Washington in Nordkorea einen Teil der "Achse des Bösen" sieht und auf unerbittliche Härte gegenüber der Volksrepublik setzt, bezeichnet Pjöngjangs Propaganda die Regierung in Washington wegen ihrer neuen Atompläne als "im Weißen Haus residierende Nuklear-Irren" und droht mit der Aufkündigung des 1994 vereinbarten Agreed Framework. (Dieses sieht vor, dass ein Geberkonsortium aus den USA, Japan, Südkorea und der EU die Volksrepublik mit Brennstoffen und Leichtwasserreaktoren beliefert und Pjöngjang im Gegenzug sein Nuklearprogramm einstellt.) Vom 21. bis 23. März stattete Japans Premierminister Junichiro Koizumi Südkorea einen Staatsbesuch ab, bei dem sich erneut eine Gelegenheit geboten hätte, den "Comfort Women" entgegenzukommen. Doch die beiden Herren Koizumi und Kim bewegte eine "runde Sache": Als gemeinsame Veranstalter der in wenigen Wochen beginnenden Fußballweltmeisterschaft widmete man sich lediglich der Klärung noch offener Fragen.
Rainer Werning