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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 461 / 19.4.2002

Wahlkampf um Zuwanderung

Rot-Grün geht es um Deutschland, der Union um die Deutschen

Dafür dass die WählerInnen im politischen Establishment durch die Bank als leicht manipulierbares Stimmvieh gelten, sind sie doch recht schlau. Und das anscheinend gerade bei einem Thema, mit dessen Auseinandersetzung die Regierungskoalition sie unbedingt verschonen will. Alle Umfragen der letzten Wochen bezeugen, dass die Mehrheit den Konflikt um das Zuwanderungsgesetz für reine Show hält. Da haben sie weitgehend Recht.

Angefangen hatte alles mit einem richtigen Thema, über das sich die Parteien noch vor wenigen Monaten einig gewesen waren: nämlich, dass sowohl Zuwanderung als auch ein Zuwanderungsgesetz notwendig seien. Der im August 2001 von Innenminister Otto Schily (SPD) vorgelegte Gesetzesentwurf war von der CDU wohlwollend aufgenommen worden, Differenzen schienen minimal. Die SPD wiederum machte früh deutlich, dass sie in dieser Frage eng mit den Christdemokraten zusammenarbeiten wollte. Nicht nur, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzustellen, sondern vor allem, weil die Regierungsparteien auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, den das Gesetz passieren muss, auf die Stimmen der unionsgeführten Länder angewiesen sind. Tatsächlich schien ein Kompromiss möglich. Damit war spätestens mit dem 11. September und dem beginnenden Bundestagswahlkampf Schluss.

Union erfindet "Ausländerfrage" neu

Die Auseinandersetzung um den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU war auch eine um die künftige Strategie der Partei, die allgemein als weitgehend profillos gilt. Mit der Kür Stoibers zum Kandidaten fiel auch die Entscheidung, die "Ausländerfrage" aufs Neue zu erfinden, um so der CDU/CSU ein Feld zu schaffen, auf dem sie sich gegenüber Rot-Grün inszenieren kann. So stellten sie Punktekataloge auf, von deren Berücksichtigung sie ihre Zustimmung zum Gesetz abhängig machten. Ging Schily in der Folge auf diese Forderungen ein und änderte den Entwurf, war die Union trotzdem nicht zufrieden.

"Die CDU wollte von Anfang an nicht kooperieren", sagt Memet Kilic, Vorsitzender des Bundesausländerbeirates, "eigentlich ist Schily für den Rechtsruck der CDU verantwortlich. Damit, dass er immer weiter auf sie zugegangen ist und die Grünen und alle anderen hat links liegen lassen, konnten sie sich immer weiter nach rechts bewegen." Als die Forderungen immer alberner wurden, konnte man es nicht mehr ignorieren: Die Bundes-CDU wollte dieses Gesetz einfach nicht. Sollte nicht eine Schlappe für die Regierung daraus werden, blieb nur noch die Möglichkeit, einzelne Landesregierungen zu umwerben. SPD und Grünen schwebte ein Coup wie im Jahr 2000 vor, als sie vor allem durch großzügige Finanzspritzen die unionsgeführten Länder Berlin, Bremen und Brandenburg dazu bringen konnten, gegen die Linie der Bundes-CDU und für die Steuerreform zu stimmen. Das hat jedoch dieses Mal genauso wenig geklappt, wie der Versuch der Union, mit einem Vermittlungsverfahren die Sache zu verschleppen.

Die SPD hat sich dann durchgesetzt, mit unlauteren Mitteln, wie einige sagen. Das wird ihr allerdings nicht allzu viele Sympathiepunkte kosten. Denn spätestens seit sich der Schaum vor Roland Kochs (CDU) Mund und das hasserfüllte Schweigen Jörg Schönbohms (CDU) als billige Showeffekte herausgestellt haben, hat auch die CDU nicht mehr den Part der Aufrichtigen im Spiel um die Wähler. Die erste Runde geht somit eindeutig an die SPD. Trotz der Trickserei des Bundesratspräsidenten Wowereit (SPD) und selbst, wenn das Gesetz nie in Kraft treten sollte, weil Bundespräsident Rau sich weigert, es zu unterzeichnen. Denn die Abstimmung im Bundesrat ist Teil des Pokerspiels Wahlkampf, bei dem es in erster Linie darum geht, wer sich durchsetzen kann. Und das ist in diesem Bereich die SPD.

Nun geht es in die zweite Runde, und die heißt Wahlkampf. Einen Wahlkampf kann man nicht mit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes bestreiten, also müssen sich die Parteien jetzt wieder auf ihre Inhalte besinnen, und damit Profil beweisen. Denn trotz des Versuchs der Regierungsparteien, alle von der CDU/CSU vorgeschlagenen Restriktionen zu berücksichtigen, blieben doch Unterschiede bestehen. Die Erklärungen der einzelnen Ministerpräsidenten im Vorfeld der Abstimmung im Bundesrat haben es noch einmal deutlich gemacht: Der SPD geht es um Deutschland, der CDU/CSU um die Deutschen. Die SPD möchte mit Hilfe ausgewählter MigrantInnen den Standort Deutschland retten, die CDU/CSU möchte das Gebärverhalten deutscher Frauen verändern, um das Volk vor außereuropäischen Kultureinflüssen zu bewahren. Während die Unionsparteien den reaktionären Albtraum der ethnisch homogenen Nation heraufbeschwören, bramarbasiert die SPD über den nutzbringenden und ganz unbedenklichen Edelmigranten. Beides läuft darauf hinaus, dass wieder darüber diskutiert wird, ob die MigrantInnen gut sind oder schlecht für Deutschland.

Trotz Trickserei Punktsieg für Rot-Grün

Mit diesen monatelangen Auseinandersetzungen um die Themen "Ausländer" und "Zuwanderung" sind diese längst Teil des Wahlkampfes geworden. Trotzdem besteht ständig die Angst davor, dass Stoiber eben diese Themen im Wahlkampf besetzen könnte. Und tatsächlich hat er das jetzt angekündigt: Zuwanderung wird zum Thema im sachsen-anhaltinischen Landtagswahlkampf. Die vielfache Aufforderung der Regierungsparteien und der Zivilgesellschaft, Zuwanderung nicht zum Wahlkampfthema zu machen, ermöglicht Stoiber, sich auf die imaginäre Seite "des Volkes" zu stellen, dem der Mund verboten werden soll. Diese populistische Haltung suggeriert, "das Volk" und seine Stimme würden nicht gehört, woraus sich der Vorwurf stricken lässt, Rot-Grün betreibe undemokratische Politik. Das ist natürlich Quatsch, denn schon immer hat es parteiübergreifende Konsense gegeben, was Wahlkampfthema sein darf und was nicht, und viele Entscheidungen werden ohne Meinungshebung der Bevölkerung gefällt. Weder zur EU noch zum Euro noch zur NATO sind je Volksbefragungen durchgeführt worden. Interessant ist an dieser Stelle wiederum die von der CDU/CSU vorgenommene Definition des "Volkes", dass da entscheiden soll, denn die in Deutschland lebenden MigrantInnen und ihre Meinungen zum Thema Zuwanderung sind hier bestimmt nicht gefragt. In der Mühe um die Volksdeutschen bleiben die Unionsparteien hartnäckig.

Auf in die zweite Rund: Wahlkampf

Die Strategie Stoibers, Profil durch Populismus zu gewinnen, ist in den eigenen Reihen allerdings auf Ablehnung gestoßen. Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bemerkte, wer im Wahlkampf eine Kampagne gegen Ausländer fahre, sei reif für die Psychiatrie, und die CDU-Chefin Angela Merkel versicherte sofort nach Stoibers Vorstoß, dass Wirtschaftspolitik und nicht Zuwanderung zentrales Thema der CDU in Sachsen-Anhalt sei. Der CDU/CSU ist also bewusst, dass eine Partei, die wie sie Partei der Mitte sein will, nicht als einzigen Verbündeten den rassistischen Mob mobilisieren kann.

Das Thema Zuwanderung wird derweil stetig auf kleiner Flamme weiter geköchelt. Der rassistische Wahlkampf läuft also - so oder so. Das sieht auch Kilic so: "Der Wahlkampf wird auf dem Rücken zum Teil nicht einmal stimmberechtigter Migranten ausgetragen." Für seinen Verband kündigt er an: "Die Ausländerbeiräte werden sich nicht mehr auf interkulturellen Festen als volkstanzende Dönerverkäufer präsentieren, sondern Gegenposition beziehen. Wir werden uns gegen die rassistische Stimmung im Land wehren. Die Verteidigungslinie stinkt mir. Wir sind keine braven Gastarbeiter mehr, die ihre Bitten an die Obrigkeit stellen. Wir sind Teil der Gesellschaft und wir werden unsere Rechte verteidigen. Ich kann nur davor warnen, Migranten für einen Wahlkampf zu instrumentalisieren, aber wenn das geschieht, dann werden wir dagegen aufstehen."

Juliane Schmidt