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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 461 / 19.4.2002

Operation Absturz

Lufthansas erfolglose Kriminalisierungsversuche gegen AbschiebegegnerInnen

Gegen die kreativen Aktionen von AbschiebegegnerInnen bringt die Deutsche Lufthansa AG nun die Mittel der Justiz in Anschlag. Mit Anzeigen und Strafandrohungen geht sie gegen AktivistInnen der deportation.class-Kampagne und andere AntirassistInnen vor - bislang erfolglos. Auch die Online-Demonstration gegen Lufthansa wird ein prozessuales Nachspiel haben.

Jährlich werden 10.000 Flüchtlinge mit Linienmaschinen der Deutschen Lufthansa AG abgeschoben - ein unsauberes Geschäft, das lange Zeit im Verborgenen ablief. Seit etwa zwei Jahren ist das anders, denn die Image-Verschmutzungskampagne deportation.class, die kein mensch ist illegal 1999 startete, war ungewöhnlich erfolgreich. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsgruppen, KünstlerInnen und Internet-AktivistInnen haben sich ihr angeschlossen. Auch die Pilotenvereinigung Cockpit und die ÖTV wandten sich an Lufthansa und forderten ihre MitgliederInnen auf, sich nicht an den Zwangsabschiebungen zu beteiligen.

Die Kampagnen-Logos prangen mittlerweile auf zahlreichen Flugblättern, Aufklebern, Plakaten und Plastiktüten. Die Proteste gegen das Abschiebegeschäft sind zu einem festen Bestandteil in den Berichten über die Lufthansa-Aktionärsversammlungen geworden, im Kino laufen Trailer der Kampagne, es gibt Filmdokumentationen, und immer wieder finden zahlreiche und vielfältige Aktionen in ganz Europa statt.

Der Kranich im Angriffsflug

Im März 2001 riefen Libertad! und kein mensch ist illegal dazu auf, mit einer Online-Demonstration gegen die Abschiebungen der Deutschen Lufthansa AG zu protestieren. Dabei sollte die Lufthansa-Homepage während der Aktionärsversammlung der Fluglinie für zwei Stunden blockiert werden. Mehr als 150 Gruppen, darunter auch Gewerkschaften und NGOs, schlossen sich dem Aufruf und der breiten, inzwischen internationalen Kritik an der Abschiebepraxis an. Schon vor Beginn der Online-Demonstration erreichte die deportation.class-Kampagne ein breites Medienecho. Am 20. Juni 2001 trugen dann mehr als 13.000 TeilnehmerInnen mit millionenfachen Zugriffen auf die Internetpräsenz des Konzerns zum Erfolg der Protestaktion bei. Die Lufthansa-Server waren - obwohl sie zuvor mit reichlich Zusatzkapazitäten ausgestattet worden waren - so ausgelastet, dass sie während der Internetblockade zeitweise nicht erreichbar waren und keine Flugtickets mehr gebucht werden konnten.

Die gewitzten und unkonventionellen Mittel der deportation.class-Kampagne kratzen erfolgreich am Image der Lufthansa. Die Fluggesellschaft will aber auf das lukrative Geschäft nicht verzichten und erklärte sich weiterhin an den zum Teil tödlich verlaufenden Abschiebungen zu beteiligen. Mit Anzeigen und Strafandrohungen will sie sich den Dorn in ihrem Auge, zu dem die Kampagne zweifelsohne geworden ist, entfernen - bislang erfolglos.

Stellvertretend für die AbschiebegegnerInnen wurde die Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) wegen einer deportation.class-Plakatausstellung unter Druck gesetzt, die im Internet zu sehen ist. Seit Mai 2001 versucht die Lufthansa FFM wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen per einstweiliger Verfügung den Betrieb der deportation.class-Sites zu verbieten. Bei Zuwiderhandlung drohte der Konzern mit einem Ordnungsgeld von einer viertel Million Euro. Die einstweilige Verfügung wurde im Februar 2002 auch in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main abgelehnt, weil FFM glaubhaft machen konnte, dass sie weder die inkriminierten Seiten betreibt noch Einfluss auf deren Gestaltung hat.

Klage gegen KünstlerInnen

Ein mit Abstürzender-Kranich-Logo und gelben "Lufttransa-Deportation-Class"-Schriftzug verzierter weißer Kleinbus war ein weiteres juristisches Ziel der Lufthansa. Der Bus war Teil eines Künstlerprojektes und wurde bei zahlreichen antirassistischen Aktionen im Rhein-Main-Gebiet und am Frankfurter Flughafen eingesetzt. Lufthansa sah dadurch "in nicht hinzunehmender Weise" ihr Image angegriffen, ihren geschützten Markennamen verunglimpft und gar ihre Sicherheit in Gefahr. Sie erwirkte eine einstweilige Verfügung, gegen die die Betroffenen Widerspruch einlegten.

Während der öffentlichen Verhandlung im Januar 2002 vor dem Frankfurter Landgericht gaben der auf seinen Doktortitel Wert legende Lufthansa-Rechtsanwalt und die dazugehörige Justiziarin kein gutes Bild ab. Verzweifelt versuchten sie geltend zu machen, dass der englischsprachige Begriff "deportation" eine Assoziation mit der Deportationspolitik in der NS-Zeit beabsichtige und deshalb als besonders rufschädigend einzuschätzen und deshalb zu untersagen sei. Auf Nachfrage mussten sie allerdings einräumen, dass Lufthansa bei Abschiebungen als Bezeichnung für die Betroffenen selbst den Begriff des "deportee" verwende. Weil "deportation.class" an die business- und economy-class angelehnt ist und es sich schließlich um eine internationale Kampagne mit durchgehend englischsprachigen Begriffen handelt, war schon in der Verhandlung absehbar, dass das Gericht der Lufthansa-Argumentation nicht folgen würde.

Die Lufthansa-Justiziarin trug zudem mit Einwürfen und Zwischenbemerkungen, die offenbar aus dem Gefühl der nahenden Niederlage resultierten, zum Amüsement der MedienvertreterInnen und BesucherInnen bei, die in dem kleinen Gerichtssaal zum Teil auf dem Boden sitzen mussten. Nach ihrem Verweis auf den 11. September und die Gefahr einer möglichen Einschleichung auf das Flughafengelände mit Hilfe dieses Busses, versuchte einer der Richter mit einem groben "Jetzt ist's aber genug!" die Justiziarin auf den Boden der Realität zurückzuholen.

Auch in diesem Fall hat das Landgericht alle Teile der Verfügung aufgehoben, mit der Lufthansa die Nutzung des Busses im öffentlichen Raum hat untersagen lassen. Es sah in der Aufmachung des Busses weder eine Verunglimpfung noch eine andere massive Herabsetzung. Auch der Einsatz des Busses bei künstlerischen Aktivitäten sei vom Grundrecht der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Der Deportation-Class-Bus wurde in den letzten Monaten in einem Museum und einer Ausstellung über zeitgenössische Kunst und Kritik ausgestellt und ist zur Zeit bundesweit als Teil von politisch-künstlerischen Performances unterwegs. Er wird auch einen Beitrag zu den Protesten während der Lufthansa-Aktionärsversammlung am 19. Juni in Köln zusteuern.

Auch gegen die von der Medienöffentlichkeit mit großem Interesse verfolgte Online-Demo erstattete Lufthansa Anzeige. Darin sprach sie von einem großen erlittenen Schaden, den sie allerdings in ersten Pressemitteilungen nach der Demonstration ausdrücklich verneint und auch bis heute noch nicht beziffert hat. Die Staatsanwaltschaft wertete den Aufruf zum Internetprotest als Nötigung. Sie leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Domain-Inhaber der Initiative Libertad! und gegen den für die deportation.class-Zeitung presserechtlich verantwortlichen Aktivisten von kein mensch ist illegal ein. Sowohl auf der Internetpräsenz als auch in der Zeitung wurde über die Online-Demo informiert und dafür mobilisiert.

Die Staatsanwaltschaft ließ im Oktober 2001 die Tür des Frankfurter Dritte-Welt-Hauses einschlagen, das Büro von Libertad! und von weiteren dort ansässigen Initiativen sowie die Wohnung des eingetragenen Domain-Inhabers vom Staatsschutz aufbrechen und sämtliche Rechner, Festplatten und andere Speichermedien beschlagnahmen. Da unstrittig ist, dass Libertad! auf Papier und elektronisch zu der Protestaktion aufgerufen hatte, kann hinter der Beschlagnahme nur die Absicht stecken, einen umfassenden Einblick in die Arbeit von Libertad! zu gewinnen, dem Verein wirtschaftlich zu schaden und ihm die technische Arbeitsgrundlage zu entziehen.

Wegen angeblicher Arbeitsüberlastung seit dem 11. September lehnten sowohl das BKA als auch das hessische LKA den Beginn der Sichtung der insgesamt zehn beschlagnahmten Computer vor Dezember 2002 zunächst ab. Erst die rechtsanwaltliche Androhung einer einstweiligen Verfügung und einer gerichtlichen Klärung der Verhältnismäßigkeit bewirkte, dass das LKA nun doch die Prüfung vorzieht.

Lufthansa hatte den Ermittlungsbehörden die IP-Adressen der Rechner, die zur Zeit der Demonstration die Lufthansa-Webseiten besuchten, und die jeweilige Anzahl der Zugriffe mitgeteilt. Der Staatschutz stufte diejenigen als potenzielle DemonstrantInnen ein, die im fraglichen Zeitraum mehr als 2.000-mal die Seiten aufriefen, und bat Provider, die IP-Adressen in reale BenutzerInnen aufzulösen. Ob das geschah, ist aus den bisherigen Ermittlungsakten nicht ersichtlich. Eine mögliche Ausweitung der Kriminalisierung auf andere AufruferInnen und potenzielle TeilnehmerInnen ist jedoch fraglich. Die vor der Online-Demo und unmittelbar nach den Durchsuchungen öffentlich geäußerte Solidarität zahlreicher Gruppen und Einzelpersonen erschwert ein solches Vorhaben. Nicht ohne Grund lautet der Vorwurf nur auf Nötigung, womit die schwierige Bewertung von Protest im Internet vermieden wird. Ein bereits vor der Online-Demo verfasstes Gutachten des BKA bringt die Verunsicherung der Ermittler zum Ausdruck. Auf Grund fehlender Gesetze fällt ihnen eine juristische Beurteilung schwer. Sie sahen von einem Eingreifen vor der Demo am 20. Juni 2001 ab, weil sie diese offenbar nicht als Straftat werteten.

Die Online-Demo wird mit Sicherheit ein prozessuales Nachspiel haben. Großes Interesse daran bekunden sowohl die InitiatorInnen AnwältInnen und Anwaltsvereinigungen, die ihre Unterstützung zusagten, als auch die Ermittlungsbehörden, die durch eine dann erfolgte Rechtsprechung erstmalig juristisch Handhabbares erhalten werden. Der noch nicht terminierte Prozess wird erneut das schmutzige Geschäft der Lufthansa in die Öffentlichkeit bringen. Auf Grund der neuen Aktionsform und des Präzedenzcharakters des Prozesses wird er große Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ebenso öffentlichkeitswirksam sein wie die Online-Demo selbst. Die deportation.class-Kampagne kann - egal, wie der Richterspruch ausfallen wird - nur gewinnen. Im Prozess wird es aber um mehr gehen als um die Kampagne gegen Abschiebungen. Es geht um die mit der Online-Demo zum ersten Mal in der BRD praktizierte Aktionsform eines virtuellen Sit-ins, um Netzaktivismus, die Zukunft von Protest im Netz und um die Demonstrationsfreiheit im Internet als öffentlichen Raum, dem Ort, an den viele Konzerne in Zukunft ihre Geschäfte mehr und mehr verlagern werden.

Ermittlungen und bevorstehender Prozess

Auf der Homepage der Online-DemonstrantInnen http://go.to/online-demo wurde inzwischen ein Software-Bausatz für Online-Demonstrationen ins Netz gestellt. "Wir hoffen, dass eProtest im Zeitalter von eCommerce Schule macht", erklärte eine der OrganisatorInnen, "und wir rufen alle DemokratInnen und AbschiebegegnerInnen dazu auf, online und offline gegen diese kleingeistige Polizeistaatsmentalität zu protestieren." Wer seine Unterstützung erklären möchte, setze sich mit Libertad! in Verbindung (kampagne@libertad.de) und/oder spende für die neu angeschafften Computer und für anstehende Prozess- und Anwaltskosten auf das Konto: Förderverein Libertad! e.V., Ökobank BLZ 500 90 100, Konto-Nr. 202 158 10, Stichwort: "Online-Demo". Dokumentationen und Informationen zur Online-Demo und der anschließenden Repression sowie die Möglichkeit elektronischen Protests unter http://www.libertad.de

N., Libertad!, Frankfurt am Main

http://www.deportation-alliance.com

http://go.to/online-demo

http://www.libertad.de