Der eigentliche Skandal ist die Vertuschung
Interview mit Rolf Gössner zum NPD-Verbotsantrag und zur Rolle von V-Leuten
ak: Dem NPD-Verbotsantrag standen Sie von Anfang an skeptisch gegenüber. Welche Ihrer Vorbehalte, die Sie letztes Jahr in der "Frankfurter Rundschau" (8.10.2001) dargelegt haben, sehen Sie durch die so genannte V-Mann-Panne bestätigt?
Rolf Gössner: Zum einen zeigt die jüngste Affäre, dass der Verfassungsschutz (VS) des Bundes und der Länder über ein ganzes Netz von V-Leuten praktisch in die rechtsextremen Strukturen verstrickt ist. Davon musste man auch im Fall der NPD ausgehen, denn die Rekrutierung von V-Leuten gehört zum Standardprogramm von Geheimdiensten. Diese so genannten Vertrauensleute werden für ihre VS-Tätigkeit eigens verpflichtet. Sie stammen aus der jeweiligen Szene oder werden dort eingeschleust. Problem im NPD-Verbotsverfahren ist doch, dass solche staatlich finanzierten V-Leute, die schon lange (teils mit Wissen des NPD-Vorstands) für den VS tätig sind oder waren, als Kronzeugen die Beweise für das Parteiverbot liefern sollen - Beweise, die sie möglicherweise selber mitproduziert haben. Ob dies tatsächlich der Fall ist, sei dahingestellt - zumal auch die NPD, ganz verführte Unschuld, behauptet, dass die sie belastenden Äußerungen und Verhaltensweisen das Werk derjenigen seien, die im Auftrag des VS in der Partei tätig waren. Doch allein angesichts der Tatsache, dass es sich bei V-Leuten in aller Regel um äußerst dubiose Gestalten handelt, die aus purem Eigennutz zu Verrätern werden oder quasi als "Doppelagenten" fungieren, sind Informationswert und Wahrheitsgehalt hochgradig zweifelhaft. Und solche zweifelhaften Belastungszeugen werden ausgerechnet in einem verfassungsgerichtlichen Verbotsverfahren aufgefahren, das als Ultima-ratio-Maßnahme gilt und dessen Ziel es ist, eine Partei von der Teilnahme am demokratischen Prozess auszuschließen.
Wie bewerten Sie das Beharren von Innenminister Schily auf der Rechtmäßigkeit und Durchführbarkeit des Verbotsverfahrens ohne weitere Änderungen? Führt das nicht zu einem klassischen Geheimverfahren?
Das Verbotsverfahren birgt tatsächlich gravierende rechtsstaatliche Probleme: Es besteht die Gefahr, dass noch nicht bekannte VS-"Quellen", die Beweise gegen die NPD lieferten, aus Geheimhaltungsgründen nicht offen gelegt werden - schließlich sollen solche Zuträger aus der rechten Szene im Gerichtsverfahren nicht "verbrannt" werden, um sie vor Racheakten zu schützen oder weil sie weiterhin unerkannt in der rechten Szene arbeiten sollen. Das bedeutet: Nicht die unmittelbaren Zeugen werden dem Gericht über ihre Beobachtungen berichten, sondern so genannte Zeugen vom Hörensagen - also die geheimdienstlichen V-Mann-Führer, die dann "aus zweitem Munde" über die Aussagen ihrer Quellen berichten. Damit ist eine unmittelbare Überprüfung der Glaubwürdigkeit der ursprünglichen, aber geheim gehaltenen Zeugen durch das Gericht praktisch nicht möglich - wobei die V-Mann-Führer ihren V-Leuten in punkto Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit in aller Regel die besten Zeugnisse ausstellen. Auch gegen ein so genanntes "in-camera-Verfahren", bei dem die V-Leute-Problematik unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt würde, gibt es erhebliche verfassungsrechtliche Einwände.
In Verbotsverfahren, die sich auf Aussagen von V-Leuten stützen, hat man das juristische Problem der Zuordnung. Wem sind die Äußerungen und Handlungen der V-Leute zuzurechnen: der NPD oder dem Verfassungsschutz, letzten Endes also dem Staat? Gibt es aus dieser "Falle", in die der Rechtsstaat durch seine Arbeit mit V-Leuten gerät, einen bürgerrechtlich sauberen Ausweg?
Meines Erachtens liegt das eigentliche Problem in der Existenz von Geheimdiensten, die mit solchen verdeckten nachrichtendienstlichen Mitteln und Methoden arbeiten und sich zwangsläufig in die zu beobachtenden Strukturen verstricken. Dieser Bereich ist der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen. Das ist demokratiewidrig. Insofern gibt es eigentlich nur einen bürgerrechtlich sauberen Ausweg aus dem Dilemma: Die Geheimdienste müssten aufgelöst werden, zumindest müssten ihnen die nachrichtendienstlichen Mittel entzogen werden. Doch auch mit V-Leuten, die von der politischen Polizei, also dem Staatsschutz in politisch verdächtigen Szenen geführt werden, gibt es vergleichbare Probleme. Und solche V-Leute der Polizei könnten auch in der NPD tätig (gewesen) sein. Entscheidend ist jedenfalls der hohe Preis, den diese geheimen Aufklärungsmethoden mit sich bringen: Mit ihren Mitteln der Unterwanderung und Infiltration mischen die staatlichen "Sicherheitsorgane" in den rechtsextremen Szenen partiell mit, verstricken sich fast zwangsläufig in kriminelle Machenschaften, wobei dann auch Straftaten geduldet oder indirekt gefördert, zumindest aber nicht verhindert werden. Die V-Mann-Skandale etwa in Thüringen oder Brandenburg, früher in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen haben diesen Mechanismus der klandestinen Verstrickung in die zu beobachtenden Szenen offenbart und das waren nur die Spitzen eines Eisbergs.
Muss man bei einer solchen Infiltration nicht von einer Steuerung, zumindest von einer nicht unmaßgeblichen Einflussnahme auf die NPD über Jahre, in einigen Fällen über Jahrzehnte durch den Verfassungsschutzes ausgehen?
V-Leute geraten im Laufe der Zeit nicht selten auch in führende Positionen bis hinauf in Vorstandsetagen von Organisationen. Sie üben also mitunter tatsächlich entscheidende Funktionen aus - so auch im Fall der NPD. Zwar widerspricht dies rechtsstaatlichen Grundsätzen und soll auch angeblich durch interne Dienstanweisungen ausgeschlossen werden - aber die Praxis sieht anders aus. Über solche führenden Funktionäre nimmt bzw. nahm der VS - gewollt oder ungewollt - Einfluss auf die Politik der NPD. Im Übrigen betätigen sich V-Leute in der Praxis nicht nur als Informanten, sondern tragen als geheime Mitarbeiter dazu bei, Organisationen zu zersetzen, zu illegalisieren oder deren Arbeit zu behindern. Damit betreibt der VS selbst Politik, obwohl er als Geheimdienst durch Verfassung und Gesetz ursprünglich auf das Sammeln von Nachrichten beschränkt bleiben sollte. Darüber hinaus finanziert der VS über die Entlohnung seiner V-Leute auch noch das rechte Treiben mit nicht unerheblichen Summen. Als "Nebenwirkung" dieser geheimdienstlichen Tätigkeit fördert der VS sozusagen das Objekt, das er beobachten soll.
Sie haben davon gesprochen, dass die NPD in ihrer heutigen Funktion als tendenziell rechtsmilitantes Sammlungsbecken selbst das Resultat von früheren Organisationsverboten ist. Glauben Sie, dass durch gezielte staatliche Repression rechte Strömungen in die eine oder andere Richtung gedrängt werden, bzw. gedrängt worden sind?
So allgemein ausgedrückt, ist das grundsätzlich denkbar. Die NPD hat jedenfalls das Personal jener Organisationen, die in den 90er Jahren verboten worden sind - wie etwa FAP, Nationale Front oder Deutscher Kameradschaftsbund - weitgehend aufgefangen. So betrachtet ist die NPD heutiger Prägung auch das Resultat staatlich-repressiver Eingriffe; sie ist ein staatlich mitgeschaffenes Problem, das nun ebenfalls verboten werden soll. Da die Mitglieder der später möglicherweise verbotenen NPD ja nicht mitverboten werden können, werden sie sich andere Betätigungsfelder in anderen rechten Gruppen, Organisationen und Parteien suchen.
Es gibt auffällige Übereinstimmungen zwischen dem Wirken neonazistischer Gruppen und staatlicher Politik, das zeigt zum Beispiel die Kampagne zur Abschaffung des Asylrechts Anfang der 90er. In der FR schreiben sie, dass Rechtsextremismus ein Problem der politischen Mitte, nicht der Ränder sei. Würden Sie in diesem Zusammenhang auch so weit gehen und sagen, dass neofaschistische Organisationen zumindest punktuell Manövriermasse von interessierten Kräften in Staatsapparat und Gesellschaft sind?
Man kann sicherlich ungestraft behaupten, dass die Politik der früheren rechtsliberalen Regierungskoalition unter Mitwirkung der damals noch oppositionellen SPD - gerade in der Debatte um das Asyl- und Ausländerrecht - rechte Propaganda und Gewalt zum Anlass genommen hat, gegen MigrantInnen diesen restriktiven Kurs zu fahren, wie wir ihn seit Beginn der 90er Jahre kennen. Diese Politik richtete sich also weniger gegen fremdenfeindliche Gewalt als vielmehr gegen deren Opfer, die Fremden.
Nun, ich gehe davon aus, dass die rot-grüne Bundesregierung tatsächlich mit lauterer Absicht Politik gegen rechte Organisationen und rechte Gewalt betreiben will. Dabei gerät sie aber im Fall des umstrittenen NPD-Verbots in ein Dilemma: Denn Parteiverbote werfen mehr grundsätzliche Probleme auf, als sie zu lösen im Stande sind. Abgesehen von einer gewissen Verunsicherung der rechten Szene drängt eine solche hoheitliche Verbotspolitik zwar die Betroffenen ins Abseits, doch ihr unseliger Geist wirkt weiter. Weit gefährlicher noch dürfte aber die mögliche Folge dieser "entlastenden" Delegation des Problems an den Staat sein: die gesellschaftliche Verdrängung der Ursachen und Bedingungen von Rechtsextremismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Sie behindert womöglich nicht nur eine offensive politische Auseinandersetzung und eine engagierte Gegenwehr durch gesellschaftliche Instanzen und die Bürger selbst; sondern sie befördert auch eine Sicherheitskonzeption, die der Bevölkerung vorgaukelt, verhängnisvolle politische Entwicklungen könnten geheimdienstlich, polizeilich, strafrechtlich oder schließlich per Verbotsdekret eliminiert werden. Das dürfte tatsächlich schon deshalb unmöglich sein, weil Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus keineswegs ausschließlich ein Problem der gesellschaftlichen Ränder sind, sondern ein Problem, das weit in die Mitte der Gesellschaft reicht.
Die Grünen sprechen immer noch davon, dass die Antragsschrift sorgfältig begründet sei, und kritisieren die FDP, die eine Rücknahme fordert. Die PDS hat schon im Frühjahr 2001 auf das V-Leute-Problem hingewiesen. Was würden Sie der PDS jetzt empfehlen? Ausstieg? Weitermachen?
Der PDS muss ich ja in dieser Angelegenheit nichts empfehlen - aber die Regierungen in Bund und Ländern wären gut beraten, wenn sie das von ihnen durch Nachlässigkeit oder aus klammheimlicher Berechnung ausgelöste V-Leute-Problem ernsthafter angehen und entsprechende Konsequenzen ziehen würden. Es ist zwar kein Skandal, dass V-Leute in der NPD tätig waren und sind - weil es sich, unter relativ vagen Voraussetzungen, wie gesagt, um eine rechtlich zulässige Maßnahme handelt. Die Tatsache aber, dass solche V-Leute in führende Ämter und Funktionen der NPD gelangt sind und trotzdem weiter für den VS arbeiteten, ist ein Skandal. Der eigentliche Skandal des Verbotsverfahrens liegt aber darin, dass die Verstrickung von V-Leuten in die NPD von der Exekutive gegenüber dem Bundesverfassungsgericht vertuscht, jedenfalls nicht offen gelegt wurde, obwohl wesentliche Teile des Verbotsantrags gerade auf Aussagen solcher dubiosen "Zeugen" beruhen. Jedenfalls ist die Grenzlinie zwischen VS und VS-unterwanderter NPD nur noch schwer auszumachen. Nach einer solchen Täuschung eines Verfassungsorgans noch darauf zu bauen, man könne das Verbotsverfahren mit derartigen "Zeugen" fortführen, ja man könne sie sogar aus Gründen des "Staatswohls" oder zu ihrem Schutz im Verbotsverfahren geheim halten oder in einem "in-camera-Verfahren" vernehmen, halte ich für dreist und rechtsstaatswidrig.
Rolf Gössner
Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater und Mitherausgeber von "Ossietzky". Zuletzt erschienen: "Erste Rechts-Hilfe - Rechts- und Verhaltenstipps im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten", Göttingen 1999 sowie ",Big Brother`& Co. - Der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft", Hamburg 2000. Sein Beitrag zu den rechtspolitischen Kontroversen um das NPD-Verbot ist erschienen in: FR, 8.10.2001