Privatisierung, New-Labour und Widerstand
Zunehmende Kampfbereitschaft gegen Privatisierungsvorhaben in Großbritannien
Der britische Premier Tony Blair nutzte die diesjährige Frühlingskonferenz der Labour Party in Cardiff für eine seiner in England mittlerweile berühmt berüchtigten "Modernisierungs"reden. Es ging um die Privatisierung öffentlicher Dienste, wie der Post, der Londoner U-Bahn und des Gesundheitssystems. Seine Rede war ein weiterer Angriff auf die englischen Gewerkschaften. Diese seien "wreckers", "Einreißer", die wichtige Reformen verhindern wollten. Es gebe viele innerhalb der englischen Gewerkschaften, die in ihrer Gefährlichkeit den Anhängern von "Militant" in den 80er Jahren, einer sozialistischen Gruppierung innerhalb der Labour Party, ähnelten und betonte, dass es richtig gewesen sei diese Leute aus Labour zu entfernen.
Die Rede löste innerhalb der englischen Gewerkschaftsbewegung Empörung aus, so dass sich Blair später dafür entschuldigen musste. Heute eine Abschrift dieser Rede zu finden ist schwer. Die entsprechenden Teile wurden, bevor die Rede im Internet auf der Labour Homepage veröffentlicht wurde aus der Rede gelöscht und durch Angriffe auf die Konservativen ersetzt. Ein kleiner Erfolg immerhin. Dieser Zwischenfall steht symbolisch für das derzeitige Verhältnis von englischen Gewerkschaften und Labour. Es ist auf einen historischen Tiefpunkt abgesunken. Angesichts der "Reformen" von Blair, die nichts weiter als eine Ansammlung von Angriffen auf die englischen ArbeiterInnen sind, ist dies nicht weiter verwunderlich.
Ein Beispiel ist die Privatisierung der englischen Post, die zur Zeit stattfindet. Die Privatisierung hat massenhafte Stilllegungen von Postfilialen zur Folge. Landesweit sollen 40.000 Postangestellte entlassen werden; ein Fünftel des gesamten Personals.
Steigende Konfliktbereitschaft
Deswegen brodelt es an der Basis der CWU (Communication Workers Union), der Gewerkschaft der Beschäftigten im Kommunikationsgewerbe in der auch viele PostarbeiterInnen organisiert sind, gewaltig. Schon im letzten Jahr kam es zu einer spontanen Streikbewegung in einigen regionalen Sortierzentralen der Post. Diesesmal versucht die Gewerkschaftsführung Streiks zu verhindern. Der Gewerkschaftsvorsitzende Billy Hayes setzt auf Gespräche und Verhandlungen und erklärte in einem Interview dass Streiks noch nie etwas erreicht hätten. Ein Widerspruch, der sich derzeit durch die gesamte englische Gewerkschaftsbewegung zieht. Während die Konfliktbereitschaft von Gewerkschaftsmitgliedern steigt, bemüht sich die Führung darum, die guten Beziehungen zur Regierung nicht zu verlieren.
Dabei gibt es in England bereits eine Geschichte des Widerstandes gegen Privatisierung, beispielsweise in London. Dort versucht der britische Staat seit langem die Teilprivatisierung der U-Bahn durchzusetzen. Das Zauberwort mit dem dies verkauft wird, heißt PPP: Public Private Partnership. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, den Betrieb der Züge, die Schienenstrecken und die U-Bahnhöfe zu privatisieren, während die Instandhaltung im öffentlichen Sektor verbleibt.
Privatisierungsvorhaben im Bahnbereich sind in England mittlerweile sehr negativ besetzt. Das liegt vor allem an Erfahrungen mit der Privatisierung des englischen Schienen- und Eisenbahnsystems, die zu Entlassungen und massenhafter Einführung prekärer Arbeitsverhältnisse führte. Der Privatisierung des englischen Schienennetzes werden auch die schweren Eisenbahnunfälle der letzten Jahre, mit vielen Toten und Verletzten, angelastet. Die drohenden Privatisierungsmaßnahmen im Londoner U-Bahnsystem rufen nun Befürchtungen hervor, dass die gleichen Folgen eintreten. Aus der Luft gegriffen sind diese Befürchtungen nicht, da sich die Londoner U-Bahn ohnehin in einem arg sanierungsbedürftigen Zustand befindet. Die Privatfirmen, die sich in die Londoner U-Bahn einkaufen wollen haben jedoch keinerlei Investitionen in die Sicherheit bis zum Jahr 2014 zugesagt. Allein die Anschaffung von zwölf neuen Zügen bis 2009 ist bisher angekündigt.
Die Privatisierungspläne riefen Londoner U-Bahn Beschäftigte auf den Plan. Im letzten Jahr gab es verschiedene Streikaktionen um gegen den drohenden Arbeitsplatzabbau und die Sicherheitsrisiken zu protestieren.
Anti-Privatisierungskämpfe finden jedoch nicht nur auf gewerkschaftlicher Ebene statt. Oft sind es Stadtteilgemeinden, die durch die Ereignisse gezwungen werden gegen Privatisierungsmaßnahmen zu kämpfen. Dies ist beispielsweise bei der Privatisierung von Sozialwohnungen der Fall. In England lebt ein großer Anteil der Bevölkerung in Sozialwohnungen. Die Privatisierung derselben hat oft weit reichende Folgen auf den ohnehin nicht sonderlich hohen Lebensstandard der BewohnerInnen.
In vielen Städten, beispielsweise in Birmingham und Glasgow, gibt es Kampagnen gegen die Privatisierung von Sozialwohnungen. Privatisierung würde bedeuten, dass die Wohnungen in die Hände von demokratisch nicht kontrollierbaren Banken fallen, für die Wohnraum nichts anderes als Spekulationsmasse darstellt. Um die Privatisierungen durchführen zu können, versuchen die lokalen Stadtregierungen MieterInnen zu erpressen, indem dringend erforderlich Reparaturen nicht mehr durchgeführt werden. Die Erfahrung aus anderen Städten zeigt jedoch, dass die Banken in der Regel kein Interesse an Sanierungsmaßnahmen oder an Neubau von Wohnraum haben.
Die Kampagnen gegen Privatisierung fallen zusammen mit einer
gestiegenen Kampfbereitschaft innerhalb der englischen
Gewerkschaften.
Für viele Menschen sind die sozialen Missstände unhaltbar geworden.
Im nord-englischen Oldham beispielsweise arbeiten 60% aller
Berufstätigen in Jobs des unterbezahlten Service-Sektor. In der
Region um Manchester, in der Oldham liegt, sind in den letzten
Monaten viele Kampagnen gegen diverse Privatisierungsvorhaben
entstanden. Allein in Manchester finden derzeit vier Arbeitskämpfe
statt. Sicherheitsbeschäftigte im Flughafen Manchester diskutieren
die Möglichkeit des unbefristeten Vollstreiks; eine Serie von
eintägigen Streikaktionen fand bereits statt. Weiterhin gab es eine
Reihe von Eisenbahnarbeiterstreiks. Geplant sind weiterhin
Streikaktionen von Auszubildenden in fast allen lokalen und
regionalen Zeitungen in und um Manchester, sowie von
Busfahrern.
Proteste auf kommunaler Ebene
Ähnliche Tendenzen gibt es in vielen Regionen und Städten in ganz England. Was dabei auffällt ist die extreme Zersplitterung und Regionalisierung aller Arbeits- und Anti-Privatisierungskämpfe. Alle Kämpfe dieser Art sind lokale Themen und finden auf lokaler Ebene statt, obwohl es um zwei Themen von nationaler Bedeutung geht: Privatisierung und Unterbezahlung.
Eine Vernetzung oder eine gemeinsame Strategie gibt es nicht. Ein Grund liegt im Wegfall des traditionellen Pfeilers der britischen Arbeiterbewegung, der Labour Party. Die Labour Party, ursprünglich von den Gewerkschaften als politischer Arm der Arbeiterbewegung gegründet, war bis zum Regierungsantritt Blairs das kulturelle und organisatorische Zentrum englischer Arbeiterinnen und Arbeiter. Innerhalb der Labour Party organisierte sich alles, von sozialistischen Gruppen, über Arbeitermusikgruppen, bis hin zu Redskins die sich als "Labour-Skins" formierten. Alle Kampagnen, die die Interessen von ArbeiterInnen oder von lokalen Gemeinden betrafen wurden in und durch die Labour Party organisiert.
Den Labour-Führern war dieser Radikalismus schon seit langem ein Dorn im Auge. Deshalb wurden schon in den 80er Jahren massive Kampagnen zum Ausschluss von linken und sozialistischen Aktivisten und Gruppen durchgeführt. Aus dem selben Grund wurde, unter Tony Blairs Führung, der Sozialisierungsparagraf aus der Parteiverfassung gestrichen, der vorsah die wichtigsten Teile der britischen Industrie zu verstaatlichen. Heute ist Labour zur zweiten großen Partei Englands geworden, deren Ziel es ist die Interessen englischer Unternehmerverbände zu vertreten. Eine Entwicklung, die die Unternehmen durchaus honorieren. Wurde Labour noch vor 10 Jahren zum größten Teil durch Gewerkschaftsgelder finanziert, machen heute Spenden von Großkonzernen über 50% aus.
Seit ungefähr zwei Jahren gibt es deshalb Aktivitäten innerhalb der Gewerkschaften, den politischen Fund zu befreien. Mit Hilfe des politischen Funds finanzieren die Gewerkschaften politische Organisationen, derzeit die Labour Party. Linke GewerkschaftsaktivistInnen, die sich in "Vereinigten Linken" Gruppen zusammengeschlossen haben, wollen, dass Labour keine Gewerkschaftsgelder mehr erhält. Mit am vehementesten in dieser Kampagne tritt bisher die Socialist Party auf, die Nachfolgeorganisation der Militant Gruppe, die aus Labour ausgeschlossen wurde. Mitglieder dieser Organisation setzten auf Kongressen diverser Gewerkschaften, unter anderem auf dem von UNISON, Englands größter Gewerkschaft, Beschlüsse durch, den politischen Fund von Labour zu lösen. Sie tritt auch für die Gründung einer neuen kämpferischen Arbeiterpartei ein, die, basierend auf einem föderalen und demokratischen Modell ein neues Zentrum sowohl für Gewerkschaftsaktivisten als auch für lokale Anti-Privatisierungsinitiativen bilden könnte.
Die herrschende Klasse Englands betrachtet all dies mit Argwohn. In der Financial Times finden sich vermehrt Warnungen vor zukünftigen Kämpfen. Befürchtet wird vor allem eine Wiederkehr großer Streikbewegungen wie in den 70er und 80er Jahren, die zu teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten.
Der englische Polizei- und Repressionsapparat wird dementsprechend ausgebaut. Schon Monate vor dem 11. September trat eine neue Terrorismusgesetzgebung in Kraft, die es ohne weiteres ermöglicht Streiks zu einer terroristischen Handlung zu erklären. Die Erfahrungen aus der Zeit der Streikbewegung der Minenarbeiter in den 80er Jahren, als die Polizei ganze Stadtteile mit Gewaltorgien überzog, zeigen, dass solcherlei Gesetze im Notfall gegen streikende Arbeiter eingesetzt werden.
Repression gegen shop stewards
Bereits jetzt gibt es Repression gegen kämpferische Gewerkschafter, insbesondere gegen Shop Stewards. Shop Stewards sind im englischen Gewerkschaftssystem von der Belegschaft eines Betriebes direkt gewählte Aktivisten, die eine zentrale Rolle bei der Organisierung von gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen spielen. Die Shop Stewards eines Betriebes bilden ein Shop Steward Komitee. In den 80er Jahren existierte ein landesweites Netzwerk dieser Shop Steward Komitees, mit dessen Hilfe es gelang, die rechten Führungsspitzen der Gewerkschaften zu umgehen. Nun, da die gewerkschaftliche Kampfbereitschaft wieder ansteigt, werden die Shop Stewards wieder verstärkt angegriffen.
Erst Anfang April wurde ein Shop Steward, der in der Firma Pinnacle in London arbeitet, entlassen. Der Betroffene unterstützte das Anliegen mit Labour zu brechen und eine neue Arbeiterpartei aufzubauen. Dies war ein vorläufiger Höhepunkt einer Antigewerkschaftskampagne der Firma, in der weitere Disziplinarverfahren gegen Gewerkschaftsmitglieder eingeleitet wurden. Pinnacle versuchte dadurch die Gewerkschaft aus dem Betrieb zu drängen. Der Plan schlug fehl, die Gewerkschaft verzeichnet stattdessen steigende Mitgliederzahlen. Einen anderen Fall gab es in Cardiff, Wales. Die örtliche Stadtregierung feuerte den Shop Steward Charles Faber, nachdem dieser im Fernsehen die unzureichende Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen kritisiert hatte. Es entwickelte sich eine starke Protestbewegung gegen die Entlassung. Am 27. März fand ein eintägiger Streik statt, der Teile des öffentlichen Lebens in Cardiff lahm legte. Bestreikt wurden unter anderem Büchereien, städtische Büros und Freizeiteinrichtungen.
Hinter den Aktionen gegen die Shop Stewards verbirgt sich die wahre Botschaft von Blairs "wreckers" Rede. Die englischen Herrschenden wollen einer tendenziell sozialistischen Antiprivatisierungsbewegung keine Zugeständnisse machen. In einer Zeit in der sich die englische Industrie in der Rezession befindet, wollen die Herrschenden selbst die reformistischen Teile der Bewegung nicht integrieren und schalten auf Konfrontationskurs. Auf der anderen Seite sehen sich immer mehr Menschen gezwungen zu kämpfen, sei es für höhere Löhne, gegen Massenentlassungen, für ausreichende Gesundheitsversorgung oder gegen die Privatisierung des Bildungssystem. Durchaus möglich, dass Tony Blair heftigen Gegenwind bekommt.
Christian Bunke