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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 462 / 17.5.2002

Abschied vom Katastrophenkataster

Nach Jahrzehnten blutiger Unterdrückung wird Osttimor unabhängig

Endlich einmal gibt es in Osttimor Grund zur Freude und zum Jubel. Am 20. Mai wird die frühere portugiesische Kolonie und geschundene Ex-Provinz Indonesiens unabhängig. Schwer wird's dennoch, sich mit den übermächtigen Nachbarn Australien und Indonesien zu arrangieren.

Man glaubt es ihm auf's Wort, wenn er versichert, auch als Präsident des jüngsten Staates "Auge, Ohr und Mund" seines Volkes zu sein. Xanana Gusmao ist von seinen Landsleuten mit überwältigender Mehrheit in das höchste Staatsamt gewählt worden. Er ist eine charismatische Persönlichkeit und gleichzeitig ein auf Ausgleich bedachter Politiker. Mithin am ehesten der Garant dafür, dass mit der endgültigen Unabhängigkeit eine schwere Erblast abgetragen und eine Zukunft ohne Furcht und Angst möglich wird. Schon einmal hatte Osttimor seine Unabhängigkeit ausgerufen, was ihm allerdings teuer zu stehen kam.

Gerade mal neun Tage hatte diese Unabhängigkeit gewährt, als indonesische Truppen am 7. Dezember 1975 Osttimor überrannten und Jakarta es ein Jahr später völkerrechtswidrig annektierte. Zufälliger Weise weilten im Dezember 1975 ausgerechnet der damalige US-Präsident Gerald Ford und sein Außenminister Henry Kissinger in Indonesien auf Staatsvisite. Seitdem das National Security Archive der George Washington University im Dezember 2001 Dokumente und Aufzeichnungen aus jener Zeit veröffentlichte, weiß man, mit welchem Zynismus Jakartas Politik in Washington bedacht wurde. Kissinger war einzig darauf bedacht, die indonesische Invasion sollte erst erfolgen, nachdem der Präsident und er wieder in den USA gelandet waren. Und so geschah es. "Ich weiß, was das Gesetz ist", rechtfertigte sich Kissinger vor Mitarbeitern seines Stabes im State Department, "doch kann es in unserem nationalen Interesse liegen ..., den Indonesiern die Zähne einzuschlagen?"

Mit freundlicher Unterstützung
der USA

Jahrelang war das größte und bevölkerungsreichste Land Südostasiens der engste politische, militärische und wirtschaftliche Verbündete des Westens. Da war alles, was die 32 Jahre unumschränkt herrschende Suharto-Diktatur (1966-98) im Schilde führte, von den USA, Australien und der EU abgesegnet. UN-Resolutionen, sich aus Osttimor zurückzuziehen, wurden von der indonesischen Regierung müde belächelt. Immer wieder von Organisationen wie amnesty international und Human Rights Watch angemahnte Aktionen, die grausame Besatzungspolitik Indonesiens zu stoppen, verhallten ungehört. Bis zum Frühjahr 1999 waren über 200.000 der etwa 800.000 Einwohner zählenden Bevölkerung Osttimors infolge der indonesischen Okkupation ums Leben gekommen.

Als Dr. Bacharuddin Jusuf Habibie im Mai 1998 Suharto beerbte, schien sich die Lage in Osttimor kurzfristig zu entspannen. Immerhin stellte Habibie in Aussicht, Osttimor könne binnen weniger Monate in einem Referendum eigenständig über Autonomie, Unabhängigkeit oder den Verbleib zu Indonesien abstimmen. Er begründete diesen Schritt damit, Osttimor sei eine zusätzliche ökonomische Belastung für das von der Asienkrise seit 1997/98 schwer gebeutelte Land. Auch politisch ging es Habibie darum, im Ausland das Negativimage seines Vorgängers los zu werden und sich selbst als Neuerer darzustellen. Jedenfalls war damit erstmalig die Osttimor-Frage internationalisiert worden.

Zwar opponierten die Streitkräfte nicht offen gegen Habibie. Doch gezielt störten sie hinter den Kulissen einen friedlichen Ablauf des Referendums. Makaber war, dass ausgerechnet das indonesische Militär mit dessen ordnungsgemäßer Überwachung betraut wurde, obgleich bereits internationale Beobachter der UN-Mission in East Timor (Unamet) in der Hauptstadt Dili Quartier bezogen hatten. Zehn Monate vor dem Referendum gingen dann "integrationistische" - sprich: pro-indonesische - Milizen gegen alle vor, die verdächtigt wurden, gegen die fortgesetzte Herrschaft Jakartas zu votieren. Von der BBC mitgeschnittene Funkgespräche belegten die unheilvolle Allianz zwischen den Militärs und den Milizen. Dili wurde entvölkert, Tausende von Zivilisten abgeschlachtet und über 300.000 Menschen gewaltsam in die Berge oder nach Westtimor vertrieben. Der Befehlshaber der indonesischen Truppen in Dili, Oberst Tono Suratman, schwadronierte zwei Wochen vor dem Referendum in einem Radiointerview: "Sagen wir es ganz deutlich: Wenn die Pro-Unabhängigkeitskräfte siegen, wird alles zerstört werden. Das wird schlimmer als vor 23 Jahren". (Australian Financial Review, 14.8.99)

Blutiges Referendum

Am 15. September 1999 schrieb der indonesische Historiker John Roosa in der New York Times: "Da das Pogrom vorauszusehen war, hätte man es leicht verhindern können. Aber in den Wochen vor der Abstimmung weigerte sich die Clinton-Regierung, mit Australien und anderen Ländern über eine internationale Truppe zu diskutieren. Selbst nach dem Ausbruch der Gewalt zögerte die Regierung noch mehrere Tage lang." Derweil mahnte UN-Generalsekretär Kofi Annan Indonesien seicht, seinen Pflichten nachzukommen. Das angekündigte Grauen nahm seinen Lauf, und die "westliche Wertegemeinschaft" schaute weg. Erst am 20. September 1999 landete die Vorhut der aus 15 Staaten zusammengesetzten International Force in East Timor (Interfet) in Dili, wo sie nur mehr Leichen beschauen und das Grauen vermessen konnten. Die vom Westen favorisierte "quiet diplomacy" kommentierte Anthony Lewis in der International Herald Tribune (8.9.99) als Neuauflage eines "Kissinger-Realismus".

Erst seit Mitte März laufen in Indonesiens Hauptstadt Jakarta die ersten Prozesse, in denen Milizionäre und Soldaten im Zusammenhang mit den Massakern im Sommer 1999 strafrechtlich belangt werden sollen. Vor den Kadi zitiert sind neben Abilio Soares, dem letzten Gouverneur Osttimors, und dessen ehemaliger Polizeichef, Brigadegeneral Timbul Silaen, allesamt nur "kleine Fische". General Wiranto, Ex-Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Ex-Verteidigungsminister, sowie der einstige Generalmajor und zeitweilige Chef des Osttimor-Kommandos Kiki Syahnakri (heute stellvertretender Generalstabschef der Armee) sind nicht einmal angeklagt. Und die Angeklagten befinden sich auf freien Fuß und genießen unbehelligt ein luxuriöses Leben.

Durch diese Prozesse wurde vermieden, dass - ähnlich wie in den Fällen Ruanda und Ex-Jugoslawien - auch für Osttimor ein Kriegsverbrechertribunal eingesetzt wurde. Dem Darling des Westens in Südostasien ist kulant eingeräumt worden, ein dunkles Kapitel seiner Geschichte selbst aufzuarbeiten. So wird denn mit großer Show ein kleines Häuflein relativ unbedeutender Figuren vorgeführt und eventuell verurteilt, um die ganz großen Schandtaten rasch zu vergessen. Schließlich werden die früheren Architekten des Staatsterrors dringend für neue Aufgaben gebraucht. Südostasien gilt Washington erklärtermaßen als "neue Zufluchtstätte für Terroristen". Um das zu vereiteln, bedarf es von der Schuld befreite Sicherheitskräfte.

Zweifelhafte Schutzmächte

Seit der Annexion Osttimors haben sämtliche australischen Regierungen Jakarta gehätschelt und wegen Osttimor ihre engen Geschäftsverbindungen mit dem Suharto-Clan nie trüben lassen. Vor allem die gemeinsame Erschließung von Öl- und Gasquellen im so genannten Timor Gap, der Wasserscheide, die Osttimor von Australiens Northern Territory trennt, erwies sich für beide Seiten als lukrativ. Doch spätestens mit der Unabhängigkeit Osttimors verlieren die zuvor bilateral ausgehandelten Verträge zwischen Indonesien und Australien ihre Gültigkeit.

Bereits Anfang Juli 2001 unterzeichneten für die australische Regierung Außenminister Alexander Downer und der Minister für Bodenschätze, Nick Minchin, gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister Osttimors, Mari Alkatiri, und dem amerikanischen UN-Gesandten Peter Galbraith einen Vertrag zur Aufteilung der Offshore-Öl- und Gasvorkommen im Timor Gap. Bis heute aber schwelt ein komplizierter Rechtsstreit über die endgültige Zuordnung der Greater Sunrise Fields, ein Konflikt, der dadurch erschwert wird, dass Canberra einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht akzeptieren will. So ist nicht nur die zwischen Canberra und Dili ursprünglich für den 20. Mai vorgesehene Vertragsunterzeichnung über die künftige Nutzung und Gewinnaufteilung aus den Erlösen der geförderten Öl- und Gasquellen gefährdet. Das vorwiegend agrarisch ausgerichtete Osttimor, dessen Bevölkerung hauptsächlich Subsistenzbauern sind, wäre von den wenigen Cash Crops wie Kaffee, Kakao, Cashewnüssen und Sandalhölzern kaum überlebensfähig. Für den avisierten Aufbau einer Bekleidungs-, Zement- und Tourismusindustrie bedarf es jener Finanzmittel, die sich Dili von eben dem neuen Timor Gap-Vertrag verspricht - im besten Fall eine Jahreseinnahme von umgerechnet etwas über 80 Millionen US-Dollar.

Das Geld wird dringend benötigt, da ab dem 20. Mai automatisch das Mandat der UN-Verwaltung für Osttimor (Untaet) endet, die seit Herbst 1999 die Geschicke des Landes lenkte. Eine Aufgabe, die sich der Untaet-Chef, der Brasilianer Sergio Vieira de Mello, leichter vorgestellt hatte. Er war selbstkritisch genug zuzugeben, dass mit zu viel Improvisation zu viel Zeit verloren ging und beträchtliche Summen an Hilfsgeldern für den Unterhalt des eigenen - häufig inkompetenten - Stabs aufgesogen wurden. "Wir hatten nie gedacht", so de Mello, "dass alles vorher Existierende am Boden zerstört und keine öffentliche Verwaltung mehr vorhanden ist". Zoll, Grenzschutz, ein Finanzministerium, eine Zentralbank, eine zivile Luftfahrtbehörde, ein Hafenamt sowie eine Justizverwaltung galt es aufzubauen. Häufig zum Leidwesen der Bevölkerung. Immer wieder beklagten Osttimoresen, dass sie selbst zu wenig oder zu spät in diesen Prozess eingebunden wurden. Das wird sich zwangsläufig ab dem 20. Mai ändern.

Rainer Werning