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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 462 / 17.5.2002

Scharfmacher

Mainstream-Antisemitismus in Wahlkampfzeiten

Auf dem Berliner Kurfürstendamm werden zwei orthodoxe Juden angegriffen. In Neukölln wird eine Frau, die einen Davidstern trägt, ins Gesicht geschlagen. Ihre Mutter, die ihr helfen will, wird ebenfalls geschlagen. Die beiden Täter entkommen. Dem Rohrbomben-Attentat auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Berlin-Charlottenburg von Mitte März folgt am 29. April ein Anschlag auf das Gelände der Synagoge in Berlin-Kreuzberg. Die Flasche mit brennender Flüssigkeit zerschellt "in großer Entfernung" vom Gebäude, wie die Behörden eiligst mitteilen. Auch wenn die Tat keinen materiellen Schaden angerichtet hat - ihre symbolische Wirkung ist groß. Das wissen natürlich auch die Täter, die man in ganz unterschiedlichen Gruppen vermuten darf: Sind es Nazis, radikale Islamisten oder deutsche "Anti-Imperialisten"?

Ob sich die Anschläge gegen jüdische Institutionen häufen und die Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden (oder Menschen, die dafür gehalten werden) zunehmen, ist derzeit noch nicht absehbar. Natürlich müssen die Warnungen vor einer Eskalation ernst genommen werden. Vorbeugung gibt es allerdings fast ausschließlich auf polizeilicher Ebene. Der Schutz jüdischer Einrichtungen, so wichtig er ist, wird allein nicht ausreichen, wenn nicht politische Prävention hinzukommt. Bekanntlich wurden die schlimmsten Ausbrüche rassistischer Gewalt in Deutschland vorbereitet und begleitet von einer Radikalisierung der politischen Rhetorik. Wie 1992/93, als die Rede vom angeblich massenhaften "Asylmissbrauch" den rassistischen Anschlägen Legitimation verlieh, kommt auch heute die Gefahr aus der "Mitte" der Gesellschaft. Wieder sind es PolitikerInnen der staatstragenden Parteien, die mit ihren maßlosen Tiraden über Israels "hemmungslosen Vernichtungskrieg" (Norbert Blüm, CDU) Gewalttäter ermuntern.

Namentlich die FDP versucht den israelisch-palästinensischen Konflikt für ihre Profilierung als rechte "Protestpartei" zu nutzen. Fallschirmjäger Möllemann rechtfertigt mit seinem Bekenntnis zum Widerstand "auch im Land des Aggressors" de facto Selbstmordattentate in Israel. Sein jüngst von den Grünen zur FDP übergetretener Bewunderer Jamal Karsli macht mit Hetzreden gegen Israels "Nazi-Methoden" ebenfalls Stimmung am rechten Rand. So könnte das bislang belächelte "Projekt 18" tatsächlich gelingen - auf 18 bis 25 Prozent wird das offen rechtsextreme und antisemitische Potenzial in Deutschland geschätzt. FDP-Chef Guido Westerwelle gibt offen zu, das ehrgeizige Ziel erfordere "ungewöhnliche Mittel". Gleichzeitig nimmt er seine beiden Parteifreunde pauschal in Schutz und verteidigt ihre "moralische Integrität". "Unanständig" und "unerträglich" dagegen, so Westerwelle, sei die Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland. (Frankfurter Rundschau, 30.4.)

Für die deutsche Gesellschaft ist der Nahostkonflikt auch oder gerade in Wahlkampfzeiten kein randständiges Thema. Es ist vielmehr in hohem Maße emotional aufgeladen - weil es Entlastung von den eigenen Verbrechen verspricht: Nicht die Deutschen, "die Juden" sind die Täter. Dass manche Israel-Kritik das antisemitische Ressentiment aufgreift und verstärkt, erklärt Michael Brocke vom Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte. Die Frankfurter Rundschau (5.4.) fasst Brockes Befund so zusammen: "Die hiesigen Christen verspüren seiner Ansicht nach eine gewisse Erleichterung darüber, dass es sich im Nahen Osten nicht um einen christlich-muslimischen Konflikt handele. Zwischen diesen beiden Konfessionen ständen quasi die Juden: Das führe bei Christen zu ,der Bequemlichkeit zu sagen`, die jüngste Eskalation berge ,ja nichts Neues`. Diese Sicht auf die Dinge könnte Brocke zufolge dazu führen, ,dass die negative Ambivalenz den Juden gegenüber wieder zunimmt` - und eine rationale Auseinandersetzung mit dem Islam wieder aus dem Blickfeld gerät."

Wie sehr der christliche Antijudaismus die deutsche Gesellschaft durchdringt, zeigt einmal mehr der "unchristliche" Spiegel. In seiner Titelstory vom 8. April wird der israelisch-palästinensische Konflikt als "der biblische Krieg" verkauft. "Auge um Auge" lautet die in fetten Lettern gesetzte Überschrift, die am Kiosk auch Bild-LeserInnen erreicht. Dass die jüdische Religion auf dem "Racheprinzip" beruhe, kann der mehrfach des Antisemitismus überführte Spiegel-Herausgeber seinem Publikum gar nicht oft genug mitteilen. Was bei Augstein auch mit Altersstarrsinn erklärt werden könnte, ist beim deutschen Bundeskanzler kühle Berechnung. Nichtchrist Schröder, der Mann ohne Eigenschaften, für den allein die Demoskopie zählt, trifft sich mit Martin Walser, dem wackeren Kämpfer gegen die "Meinungssoldaten", die die Deutschen mit der "Moralkeule" Auschwitz traktieren. Um der größtmöglichen Wirkung willen wählt Schröder für das gesellige Beisammensein den 8. Mai, den Jahrestag der Kapitulation Nazi-Deutschlands.

Offensichtlich findet Schröder es voll "normal", in Zeiten wachsenden Antisemitismus' auch bräunlich verfärbtes Wasser auf seine Mühlen zu leiten. In seiner Paulskirchen-Rede (vgl. ak 421 und 422) hatte Walser nicht nur gegen die "Dauerpräsentation unserer Schande" gewettert, sondern auch angedeutet, wer seiner Ansicht nach die deutsche Vergangenheit "zu gegenwärtigen Zwecken" missbrauche: geldgierige Juden nämlich. Was Ignatz Bubis im Spiegel-Interview (30.11.1998) mit der gebotenen Klarheit zurückwies: Die von Walser und seinem Adjutanten Klaus von Dohnanyi (SPD) vertretene "Vorstellung, die Juden denken immer zuerst ans Geld und machen aus allem Geld, gehört zum klassischen antisemitischen Repertoire."

Das weiß natürlich auch Schröder. Sein "Dialog" mit Walser ist ein Signal an die politische Rechte: Auch die SPD hat "patriotische" Gefühle im Angebot, und - so Schröder am 8. Mai - "natürlich ist Deutschland ein normales Land". Wo es aber um Deutschland geht, kann auf das ewige Genörgel der Juden keine Rücksicht genommen werden.

Js.