Aktivieren, schikanieren, eliminieren
Rüde Methoden der Arbeitsämter bereinigen die Statistik
Die Praxis der Arbeitsämter verändert sich. Jetzt schon wird die geplante Abschaffung der Arbeitslosenhilfe aktiv vorbereitet. Diese Veränderungen zeichnen auch ein erstes Bild von der radikalen Umstrukturierung der sozialpolitischen Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Umstrukturierung, der möglicherweise nicht nur die Arbeitslosenhilfe zum Opfer fallen wird, sondern die ggf. sogar die Existenz der Arbeitslosenversicherung als solche in Frage stellt. Die Arbeitlosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) hat diese Praxis am Beispiel des Arbeitsamtsbezirks Oldenburg genauer untersucht. Wir veröffentlichen im folgenden einige Ergebnisse.
Alle bürgerlichen Parteien haben die "Zusammenlegung" von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf ihre Fahnen geschrieben, und selbst die PDS hat für den Wahlkampf ihre Lieblingsidee eines "öffentlich geförderten Beschäftigungssektors" umgemünzt in die Forderung nach einer Art Massen-Arbeitsdienst auf ABM- und SAM-Basis (Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen, die allesamt mindestens 20% unter Tarif bezahlt werden müssen).
Dass sich die Praxis der Ämter gegenüber Erwerbslosen und SozialhilfebezieherInnen schon jetzt drastisch geändert hat, merken wir tagtäglich in der Sozialberatung - gerade seit der Einführung des Job-Aqtiv-Gesetzes. Um zu sehen, ob sich diese Eindrücke als allgemeiner Trend erweisen, haben wir uns die Vermittlungspraxis des Oldenburger Arbeitsamtes nach dessen eigenen Veröffentlichungen und den regionalen Arbeitsmarkt, wie ihn der SIS-Computer ausweist, einmal genauer angesehen. Zum Bezirk des Arbeitsamtes Oldenburg gehören neben der Stadt Oldenburg die Gemeinden Hatten, Hude, Rastede, Wardenburg, Bad Zwischenahn, Brake, Delmenhorst, Nordenham und Wildeshausen.
Arbeitslose verschwinden
Im April 2002 gab es 26.248 Arbeitslose im Arbeitsamtsbezirk Oldenburg. Diesen standen 4.188 offene Stellen gegenüber. In diesem April wurden dem Arbeitsamt ca. ein Drittel weniger offene Stellen gemeldet als im Vorjahr; seit Jahresanfang sind es insgesamt 28% weniger. Das Arbeitsamt wiederum vermittelt in diesem April 40% weniger Arbeitslose als im Vorjahr.
Insgesamt 4.734 Arbeitslose "verschwinden" im April 2002 aus der Arbeitslosigkeit. Sie haben sich aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. Davon
- haben sich 27,3% (1.294) abgemeldet, ohne ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen; warum und wohin sie sich abgemeldet haben - darüber werden in der Veröffentlichung des Arbeitsamtes keine Angaben gemacht.
- haben sich 51,5% (2.440) in ein neues Arbeitsverhältnis abgemeldet,
- und wurden 21,1% (1.000) vom Arbeitsamt rausgeschmissen - und gingen damit meist ihres Lebensunterhaltes verlustig.
Von den 2.440 Abmeldungen wegen Arbeitsaufnahme hat das Arbeitsamt 1.130 vermittelt, davon wiederum nur 841 in Dauer- bzw. längerfristige Beschäftigungsverhältnisse (d.h. in Beschäftigungsverhältnisse von mehr als sieben Tagen Dauer), 48 in Beschäftigungsverhältnisse unter sieben Tagen. 237 Arbeitslose suchten sich selbst einen Job über SIS (Stelleninformationssystem des Arbeitsamtes) oder AIS (Arbeitgeberinformationssystem) und vier über Dritte. Rund 1.000 Arbeitslose (300 mehr als im Vorjahr) werden "wegen fehlender Mitwirkung" aus der Statistik gedrängt, "beispielsweise wenn Einladungen ignoriert wurden oder wenn im Zuge der Vermittlungsoffensive die Beteiligung an einem Profiling-Gespräch verweigert wurde. Folglich nahmen auch die Abmeldungen auf Grund von Meldeversäumnissen oder aus sonstigen Gründen deutlich zu." (AA Oldenburg, Presseinformation Nr. 27/02, 6.5.2002)
Von den 2.440, die in ein neues Arbeitsverhältnis eingetreten sind,
- haben sich 53,7% (1.310) selbst eine Stelle gesucht,
- haben sich 9,7% (237) selbst eine Stelle gesucht, die über die elektronischen Informationssysteme der Arbeitsämter angeboten worden waren,
- hat das Arbeitsamt 2% (48) in Jobs mit einer Dauer unter sieben Tage vermittelt,
- hat das Arbeitsamt 34,4% (841) in längerfristige Beschäftigungsverhältnisse, d.h. in Beschäftigungsverhältnisse über sieben Kalendertage, vermittelt.
Fazit: a) Die überwiegende Zahl der Erwerbslosen sucht sich selbst einen neuen Job. b) Von den neu zu Stande gekommenen Arbeitsverhältnissen vermittelt das Arbeitsamt gerade ein Drittel. und c) Das Arbeitsamt drängt mehr Arbeitslose aus der Statistik und damit aus dem Leistungsbezug (1.000), als es in Arbeitsverhältnisse vermittelt (841).
Je geringer die Zahl der offenen Stellen (im April 2002 ein Drittel weniger als im Vorjahr) und je geringer die Vermittlungen in Arbeit durch das Arbeitsamt (40% weniger als im Vorjahr), desto höher ist die Zahl der Arbeitslosen, die mit Druck aus der Statistik gedrängt werden (300 mehr als im Vorjahr). Je geringer also die Chancen sind, eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu finden, desto höher ist der Druck, den das Arbeitsamt auf die Arbeitslosen ausübt. Wenn die Zahl der offenen Stellen abnimmt und gleichzeitig das Arbeitsamt weniger vermittelt, dann müsste die Zahl der Arbeitslosen eigentlich steigen. Die Arbeitsämter können jedoch in den Medien einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit für den April verkünden. Sie erreichen das politische Klassenziel: Die Arbeitslosigkeit geht - statistisch - zurück - und die Ausgegrenzten fallen als "Kostenfaktor" weg.
Das Angebot
der Woche
Das Arbeitsamt bekommt nicht die Aufgabe, den Rest der Arbeitslosen, die durch den Rost der privaten Arbeitsvermittlung fallen und die selbst nichts mehr auf dem Arbeitsmarkt finden, zu qualifizieren, umzuschulen oder zu vermitteln. Vielmehr sollen diese mit Druck und Schikanen aus der Statistik gedrängt werden. Damit wandelt sich der Auftrag der Arbeitsämter radikal. Arbeitslose, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht werden, sollen auch nicht mehr als Arbeitslose gezählt werden - unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung, unabhängig von der Entwicklung der Beschäftigung und des Arbeitsmarktes, also unabhängig von der Zahl der offenen Stellen. Sie sollen gesellschaftlich nicht mehr als Arbeitslose in Erscheinung treten. Sie sollen gesellschaftlich keine Kosten verursachen. Sie sollen im Schatten der Wohlstandsgesellschaft verschwinden.
Viele Erwerbslose haben noch nie ein (adäquates) Stellenangebot vorgelegt bekommen. Gerne wird deshalb auf den Stellen-Informations-Service (SIS) der Bundesanstalt für Arbeit verwiesen. Also haben wir im März 2002 den SIS-Computer befragt und als Suchkriterien "Stellen der letzten vier Wochen" und die Postleitzahl der Oldenburger Innenstadt eingegeben.
Uns wurden sage und schreibe 257 Datensätze mit insgesamt 285 Stellenangeboten quer durch alle Berufssparten im Verfügbarkeitsbereich der Stadt Oldenburg (also bis nach Delmenhorst) angezeigt! Diese haben wir komplett nach "reiner Papierlage", also ohne deren "Wahrheitsgehalt" zu überprüfen, ausgewertet.
Die Ergebnisse: Nicht einmal zwei Drittel (62,11%) der Angebote im SIS-Computer waren unbefristete Vollzeit-Stellen. Die restlichen verteilen sich auf sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung (23,51%), geringfügige Beschäftigung bzw. Honorartätigkeiten (7,02%) und/oder befristeten Stellen (9,47%). Lediglich ein Viertel dieser befristeten Stellen soll länger als ein Jahr dauern.
Bei den Teilzeitstellen fällt auf, dass die Arbeitszeit häufig keineswegs so liegt, dass Alleinerziehende mit jüngeren schulpflichtigen Kindern sie "locker" annehmen könnten. Bei mehr als der Hälfte aller angebotenen Teilzeitbeschäftigungen ist die Arbeitszeit nach Betriebserfordernissen flexibel, liegt nachmittags oder ist mit Schicht- bzw. Wochenendarbeit verbunden.
Auch sonst gibt es "Tugenden", die nicht jede/r Erwerbslose erfüllen kann: Knapp 17% der Angebote benennen zum Teil sehr genaue Vorstellungen vom Alter der künftigen MitarbeiterInnen, in über 10% der Fälle werden nur Menschen eingestellt, die jünger als 40 Jahre sind.
Auffällig ist, wie viel Mobilität verlangt wird. In fast der Hälfte aller Arbeitsangebote wird der Führerschein zur Einstellungsvoraussetzung gemacht; in mehr als 12% der Fälle soll neben der Arbeitskraft auch gleich das eigene Auto mit ins Arbeitsverhältnis eingebracht werden. Und bei ca. 18% der Angebote ging es nicht um einen "stationären" Arbeitsplatz, sondern um Montage im Umland/Bundesland (13%) bzw. bundesweit/auch im Ausland (5%).
Jedes fünfte Arbeitsangebot (18,95%) kommt von einer Zeitarbeitsfirma. Hier wird für schlechtere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen viel an Mobilität und Einsatz erwartet: 76% der Stellen beim Sklavenhändler haben den Führerschein (46%) oder gar das eigene Auto als Voraussetzung (30%).
Bliebe noch der zu erwartende Lohn - fast die einzige Rubrik in den Angeboten des SIS-Computers, die eine "Gegenleistung" für die genannten Ansprüche an die Arbeitsuchenden benennt. Man ahnt es schon: Fehlanzeige. Denn 87,02% der Arbeitsangebote benennen eine Bezahlung "nach Vereinbarung", nur ca. 8,5% geben an, nach Tarif bzw. nach Haustarif zu entlohnen. Dies ist in zweierlei Hinsicht problematisch: zum einen in Bezug auf die Zumutbarkeitskriterien, die ja u.a. durch den Vergleich der eigenen Arbeitslosenhilfe mit dem zu erwartenden Lohn festgestellt werden; zum anderen auch deshalb, weil das Arbeitsamt sich damit vor der Verpflichtung drückt, nicht in untertarifliche Bezahlung zu vermitteln. Als Scherz am Rande seien die seltenen Arbeitsangebote bei der öffentlichen Hand erwähnt. Auch dort wurde oft ein "Lohn nach Vereinbarung" in Aussicht gestellt und nicht etwa nach BAT. Eigentlich müssten die Personalräte des öffentlichen Dienstes im eigenen Interesse auf die Art solcher Ausschreibungen achten, wollen sie nicht ihren eigenen Tarif diskreditieren.
In einer Stichprobe haben wir 10% = 29 dieser Stellenangebote zufällig ausgewählt und uns als potenzielle InteressentInnen telefonisch mit den Arbeitgebern in Verbindung gesetzt. Auch damit erlebten wir einige Überraschungen. Ein großer Teil der Stellen war bereits besetzt, in einem Fall wurde uns vom Arbeitgeber sogar versichert, es handele sich um eine Stelle, die er dem Arbeitsamt vor einem Jahr gemeldet habe und die entsprechend schon längst vergeben sei.
Bei den Leiharbeitsfirmen konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren - teilweise wurde es uns auf genaue Nachfrage auch genau so bestätigt -, dass es sich häufig nicht um tatsächliche Stellenangebote handelte. Es ging eher darum, die eigenen Karteien mit potenziellen ArbeitnehmerInnen zu füllen - für den Fall, dass die Zeitarbeitsfirma einmal einen Auftrag bekommen sollte, in der die entsprechende Qualifikation gefragt ist. Auch einige Zumutungen kamen ans Licht. So wurde ein Fleischereihelfer gesucht, der aber erst ein oder zwei Monate Praktikum im Betrieb machen sollte - am besten unbezahlt.
Höchst unangenehm wurden fast alle Arbeitgeber bei unseren höflichen Versuchen, etwas über die Lohnhöhe herauszufinden. Die selben Leute, die ausgiebig Zeit hatten, uns ihre Anforderungen an unsere Qualifikationen zu erklären, verweigerten unter Hinweis auf ihr knappes Zeitbudget die Auskunft über die Löhne.
Dass Erwerbslose durch Maßnahmen des Arbeitsamtes aus der Statistik gedrängt werden, wird in den Pressemitteilungen des Oldenburger Arbeitsamtes deutlich erwähnt. Das zeugt von ungetrübter Sicherheit, dass solche Maßnahmen von der Öffentlichkeit gebilligt werden. Die "Sozialschmarotzer"- und "Drückeberger"-Kampagne zeigt hier Wirkung. Wer aus der Arbeitslosenstatistik rausgeschmissen wird, weil er die Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme oder einem Profiling ablehnt - oder beides nicht zur Zufriedenheit des Amtes mitmacht, der war eben nicht richtig arbeitslos. Durch konsequentes "Fordern statt Fördern" werden diejenigen Arbeitslosen ausgesteuert, die dem Arbeitsmarkt "nicht wirklich" zur Verfügung stehen.
Folgende Veränderungen der Arbeitsamtspraxis haben wir in der Sozialberatung festgestellt:
Allenthalben wird vom Königsweg der privaten Arbeitsvermittlung gesprochen. Der eine oder andere Arbeitslose möchte den Gutschein nun in Anspruch nehmen und sich zum "Privaten" begeben. Doch dafür gibt es keinerlei Unterstützung durch das Arbeitsamt. Arbeitslosen wird die Auskunft verweigert, welche Vermittlungsagenturen vor Ort beauftragt werden können.
Arbeitslosen, die bereits vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit das Arbeitsamt um Unterstützung aufsuchen (so wie es das Job-Aqtiv-Gesetz als Idealfall präventiven Handelns anpreist), werden dort empfangen, als wären sie nicht mehr ganz dicht: "Was wollen Sie denn hier? Sie sind doch gar nicht arbeitslos!"
Schikane
statt Vermittlung
Für sinnvolle und von Betroffenen gewünschte Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen fehlen Gelder, während der Topf für Trainingsmaßnahmen ständig aufgefüllt wird. Die Qualität der wenigen geförderten Qualifizierungsmaßnahmen vor allem im Bereich der neuen Technologien ist katastrophal.
Im Prinzip soll jeder Arbeitslose in eine Trainingsmaßnahme gesteckt werden. Diese Maßnahmen helfen aber nur in den seltensten Fällen weiter. Stattdessen dürfen dort zweifelhafte DozentInnen bei teilweise dubiosen und verrufenen Bildungsträgern Inhalte und Methoden anwenden, die teilweise stark an Gehirnwäsche erinnern. So wird z.B. ganz offen "Persönlichkeitsveränderung" gefordert und entsprechend "trainiert".
Nach der Maßnahme werden Beurteilungen über die TeilnehmerInnen geschrieben, die ihren weiteren Lebensweg "via Aktenlage" vermasseln können. Trotz Nachfragens erfahren die meisten nicht, was genau mit ihren persönlichen Daten und Beurteilungen passiert. Kritisches Verhalten in der Maßnahme führt zum Eintrag "notorischer Querulant". Und offene Kritik wird mit Sperrzeiten geahndet.
Trainingsmaßnahmen werden zuerst und gezielt denjenigen Langzeit-Arbeitslosen "verpasst", die bis dahin zwar nicht eine einzige vernünftige Stelle angeboten bekommen haben, die aber ihr Überleben durch einen kleinen, dem Arbeitsamt gemeldeten Nebenjob einigermaßen gesichert haben und damit halbwegs über die Runden kommen. Nehmen sie an der Trainingsmaßnahme teil, sind sie hinterher wieder arbeitslos - und ihr Nebenjob ist weg. Nehmen sie an der Maßnahme nicht teil, fliegen sie aus den Bezügen und aus der Statistik.
Beliebte "Zielgruppe" für Trainingsmaßnahmen sind auch allein erziehenden Frauen. Diese Trainingsmaßnahmen beginnen, anders als alle anderen, morgens eine halbe Stunde, bevor irgendein Kindergarten öffnet, oder werden genau in die Schulferien gelegt. Erklären die betroffenen Frauen, dass sie wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht an dieser Maßnahme teilnehmen können, fliegen sie aus den Bezügen und aus der Statistik.
Wenn die Arbeitslosenhilfe zu Gunsten der Sozialhilfe abgeschafft wird, die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld auf maximal zwölf Monate gekürzt ist und die Erwerbslosen auf den Arbeitsämtern das erwartet, was oben beschrieben wurde, dann wird es für ArbeitnehmerInnen immer unattraktiver, in ein solches Versicherungssystem einzuzahlen. Es wird sturmreif geschossen wie die Renten- und Krankenversicherung. An ihre Stelle treten private Versicherungen und private Vorsorge. Wer nicht auf die mangelhaften Leistungen der immer bruchreiferen solidarischen Versicherungssysteme angewiesen sein will, der muss die privatwirtschaftliche Alternative wählen. Und wer ein gutes Einkommen hat, für den sind die privaten Angebote attraktiv. Entsolidarisierung ist vorprogrammiert.
b., m.