Von der Hetze zum Brandsatz
BürgerInnenmob und Nazis machen mobil
Seit Anfang dieses Jahres kommen aus Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg beunruhigende Nachrichten. Vor Ort mehren sich die Beispiele, wie BürgerInnen, PolitikerInnen und Neonazis gemeinsam und arbeitsteilig gegen geplante Flüchtlingsheime vorgehen. Droht zehn Jahre nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen eine erneute Zuspitzung? Das Antifaschistische Infoblatt (AIB) geht in seiner aktuellen Ausgabe dieser Frage nach.
Umgeben von den Wäldern und den Bergen des Thüringer Waldes bezaubert der Luftkurort Friedrichroda seine Besucher ... Genießen Sie die berühmte Thüringer Gastfreundlichkeit", lautet die Internet-Werbung der 5.500-Einwohnergemeinde Friedrichroda. Die gilt jedoch nur für zahlungskräftige Touristen. Flüchtlinge, die hier montags und donnerstags aus dem 500 Heimplätze umfassenden Sammellager Tambach-Dietharz per Bus zum Einkaufen in den einzigen Supermarkt weit und breit kommen, in dem ihre Gutscheine über knapp 160 EUR monatlich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einlösbar sind, müssen einen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen.
Seit Monaten bedrohen Neonazis die Flüchtlinge und verteilen Mitglieder der DVU gemeinsam mit dem "Skinheadclub 88" Friedrichroda an diesen Tagen neonazistische Flugblätter vor dem Extra-Markt. Als "Bürgerinitiative zur Wahrung der Bürgerrechte und zum Schutz der Bürger" getarnt, rufen die Neonazis zur "Unterschriftensammlung gegen den sicherheitsgefährdenden Asylantensturm im Extramarkt" auf. Und auf einem weiteren Flugblatt heißt es unter der Überschrift "Angst, Hass, Wut": "Diese Gefühle werden den Friedrichrodaer Bürger manchmal überkommen, wenn er montags und donnerstags im Extramarkt einkaufen geht ... Währenddessen ein dahergelaufener Fremder mit unserem Steuergeld in Form von Gutscheinen, sich den Korb mit Luxus und Genussmitteln füllt ... Es heißt doch deutsches Geld für Deutsche und nicht für Gott und die Welt ... Die Freien Nationalisten aus Friedrichroda wollen das nicht länger hinnehmen und hoffen auf Ihre Unterstützung." (Rechtschreibfehler im Original) Flüchtlinge jedenfalls können Hilfe und Unterstützung in Friedrichroda von niemandem erwarten. Lediglich ein geplanter Aufmarsch des im "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) organisierten "Skinheadclub 88" (als dessen führender Kopf der Bäckermeister Michael Burkert gilt) wurde bislang verboten.
Thüringen: "Gotha, wir kommen "
Den Kameraden in Friedrichroda ist man im benachbarten Gotha schon um einige Schritte voraus. Am 20. Juli hat dort das NSAW mit einem Aufmarsch und der Forderung "Stoppt den multikulturellen Wahn! - Volksbefragung statt Ignoranz deutscher Interessen" die seit dem Frühjahr laufenden Mobilisierung von BürgerInnen und Neonazis gegen Flüchtlingsheime in Gotha eskaliert. Mit der geplanten Auflösung des vom Land Thüringen betriebenen Massenlager Thambach-Dietharz zum 1. November 2002, die vom Thüringer Flüchtlingsrat auf Grund der unmenschlichen Lebensbedingungen ausdrücklich befürwortet wird (1), sucht nun das Landratsamt nach Standorten für drei neue Heime. Nachdem im Frühjahr diesen Jahres als mögliche Objekte für jeweils 135 Flüchtlinge eine alte Fliegerschule im Gothaer Gewerbegebiet sowie ein Internat in der in einem Gothaer Wohngebiet gelegenen Leinastraße und ein ehemaliges Aussiedlerheim im nahen Ohrdruf bekannt wurden, machten BürgerInnen, KommunalpolitikerInnen und Neonazis gleichermaßen gegen das SPD-geführte Landratsamt mobil.
Gothas SPD-Oberbürgermeister erklärte, seine Stadt sei "überproportional in Anspruch genommen mit zwei Standorten". Ohrdrufs Bürgermeister ging ebenfalls auf Konfrontation: "Angesichts unserer Probleme halte ich das für keine gute Lösung". (Thüringer Landeszeitung, 9.4.02) Damit sprechen die Stadtoberen ihren BürgerInnen offenbar aus der Seele. Die drückten ihren Protest gegen den Standort Leinastraße zunächst mit einer Unterschriftensammlung an den SPD-Landrat und dann auf einer AnwohnerInnenversammlung am 17. April aus: Dort fanden sich rund 300 aufgebrachte BürgerInnen ein. "Asylbewerber und andere Anlieger könnten sich auf die Distanz weniger Meter in die Fenster schauen, Angst vor Kriminalität und Unsicherheit bei Nacht bis hin zur Sorge um das Eigenheim, das manchem Anlieger als Altersvorsorge gilt, brachten die Bürger vor", beschreibt die Thüringer Landeszeitung den Abend. (19.4.02) "Immer wieder kochte die Stimmung tumultartig auf. So mancher gab vor kein Ausländerfeind zu sein - bewies mit seinen Äußerungen aber genau das Gegenteil", lautet das Fazit der Thüringer Allgemeinen. (19.4.02) Mitten drin knapp 25 Neonazis aus Eisenach, Gotha und Friedrichroda, denen die BürgerInnen ohne Widerstand den Weg durch den Saal freimachten, sie Flugblätter verteilen und lautstark argumentieren ließen.
Dabei drohte der verurteilte Neonazi Patrick Wieschke aus Eisenach SPD-Landrat Siegfried Liebezeit ganz offen, "dass man sehen werde, ob er den politischen Sommer überleben wird." (2) Als Liebezeit dann wenige Tage nach der BürgerInnenversammlung bekannt gab, das Landratsamt werde auf den Standort Leinastraße verzichten, feierten das nicht nur die AnwohnerInnen als Erfolg. Das NSAW fühlt sich nun erst recht als Vollstrecker des Volkswillens und zu weiteren Aktionen ermutigt. "Derzeit erwägen Nationale Bürger aus Gotha eine Bürgerinitiative ins Leben zu rufen, um Gotha als Standort von Asylbewerberheimen und künftige ,Heimat` von 530 Menschen aus aller Welt gänzlich auszuschließen", verkündete das NSAW schon drei Tage nach der Bürgerversammlung. (3)
McPomm:
Der "Dschungel-
Heim-Erlass"
Unterdessen fordert der Thüringer Flüchtlingsrat für die Betroffenen das einzig halbwegs Menschwürdige in dieser Situation: Nämlich eine Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen anstatt in Heimen, und bietet SPD-Landrat Liebezeit damit gleichzeitig auch einen eleganten Ausweg aus der Konfrontation mit BürgerInnenmob, Neonazis und KommunalpolitikerInnen um weitere Heimstandorte. Viel Zeit bleibt Landrat Liebezeit jedenfalls bis zum 1. November nicht mehr.
Rund 6.000 Asylsuchende leben derzeit in Mecklenburg-Vorpommern. Zumeist sind sie in abgelegenen DDR-Wohnblöcken oder ehemaligen Kasernen irgendwo im Wald oder am Rande kleiner Ortschaften untergebracht. 58 dieser zynisch "Gemeinschaftsunterkünfte" genannten Heime gibt es momentan in dem Bundesland mit einem Ausländeranteil von knapp zwei Prozent. Seitdem die Landesregierung im letzten Jahr mit dem so genannten "Dschungel-Heim-Erlass" anordnete, dass die Heime demnächst in der Nähe von größeren Gemeinden anzusiedeln seien und pro Flüchtling nun ganze sechs anstatt wie bisher 4,5 Quadratmeter Wohnfläche vorgeschrieben sind, sollen mindestens zehn der bisherigen Heime zum Jahresanfang 2003 geschlossen werden. Doch in fast allen Kommunen, die als neue Heimstandorte im Gespräch sind, formiert sich eine unheilige Allianz aus rassistischem BürgerInnenmob, um ihre Posten und Wahlchancen fürchtenden KommunalpolitikerInnen und Neonazis.
Einige Beispiele machen dies deutlich. In der 2.400-Einwohnergemeinde Ducherow im Landkreis Ost-Vorpommern beispielsweise, einem der potenziell neuen Standorte, endete im April diesen Jahres eine BürgerInnenversammlung mit 400 DorfbewohnerInnen in wüsten rassistischen Tiraden und der Drohung an die anwesenden Gemeinderats- und KreistagsvertreterInnen von PDS, CDU und SPD, man werde sie "komplett abwählen", wenn sie den Plänen des PDS-regierten Landratsamtes zustimmen und für die Ansiedlung des Heimes votieren würden. Das Landratsamt hatte ursprünglich vorgesehen, in dem leer stehenden "Domitel"-Hotelneubau am Stadtrand 150 Flüchtlinge unterzubringen. Der Standort Ducherow soll als Ersatz für ein Heim in Garz auf Usedom dienen, das zum einen keinerlei Anbindung an eine Kommune hat und zum anderen den Bauplänen einer großen Ferienanlage im Weg ist. Dessen Investor will offenbar doppelt verdienen. Um den Bau des TouristInnenobjekts in Garz voranzutreiben, bot er an, das "Domitel"-Hotel in Ducherow zu kaufen und dann zur Flüchtlingsunterbringung an den Landkreis zu vermieten. (Nordkurier, Usedom, 16.4.02)
In der Gemeinde, in der die Kameradschaft Ducherow seit Jahren ungestört agieren kann, kursierte bereits im Vorfeld der BürgerInnenversammlung ein rechtes Flugblatt "gegen die Einführung von 150 Asylanten". (Nordkurier, Anklam, 25.4.02) Diesem Tenor schloss sich die Mehrheit der RednerInnen während der Versammlung uneingeschränkt an und fantasierte von "Afrikanern, die unsere Behinderten mit Messern angreifen".
"Volksverhetzung" in Potsdam
Mit dabei in der "Volks"-Front: Ducherows CDU-Bürgermeister und Landtagskandidat Bernd Schubert sowie der ehemalige Anklamer Vize-Landrat Karl-Heinz Krüger. Der erinnerte die Kreisverwaltung an ein altes Versprechen, dass man Ducherow als Gegenleistung für die Vergrößerung eines Behinderten-Heims zugesichert habe, das Dorf von "Asylanten frei zu halten". (Nordkurier, Anklam, 7.5.02) Bürgermeister Schubert erhielt für seine Ablehnung der "Fremden" im eigenen Dorf nicht nur die Rückendeckung der Landes-CDU, sondern auch Schützenhilfe von PDS-Abgeordneten. Auch VertreterInnen von Ducherows dünn gesäter Zivilgesellschaft argumentieren eher seltsam. Die Ortspfarrerin ließ eine Sonntagspredigt mit der Überschrift "Jedem zu seinem Recht verhelfen" unters Volk bringen, in der von "Ausländern, die unsere Kriminalitätsrate drastisch ansteigen lassen und die wenig anpassungswillig sind" und "neben den Fremden steht genauso auch den anderen Bürgern ein Recht auf ein sicheres und ruhiges Leben zu" (Nordkurier, Anklam, 20.4.02) die Rede ist. Der Nordkurier kommentiert den Auftritt des amtierenden Vize-Landrats bei der Bürgerversammlung mit den Worten: "Vize-Landrat Gerwald Meesmann stellte sich praktisch mit leeren Händen vor die Ducherower. Hätte er sozusagen nicht nur 150 Flüchtlinge im Angebot gehabt, sondern trotz der miserablen Kassenlage die eine oder andere Zusatzförderung für die Gemeinde und ihre Einwohner, wäre die Ablehnung möglicherweise weniger massiv gewesen." (Nordkurier, Anklam,26.4.02)
In der Beurteilung der Situation bringt der Nordkurier das Dilemma dann auf den Punkt: "Nun aber steckt der Kreis in einem kaum zu lösenden Konflikt: Sollten die Abgeordneten trotz Abwahl-Drohungen dem Heim zustimmen, wird wohl nur polizeiliche Staatsgewalt dessen Einrichtung durchsetzen können. Fügt sich der Kreis hingegen dem Votum der Ducherower, entsteht ein gefährlicher Präzedenzfall."
Ähnliches droht auch in Bad Doberan, wo ein neues Flüchtlingsheim für 160 Asylsuchende in Form von Containerbauten in einem Gewerbegebiet namens Walkenhagen angesiedelt werden soll. Schon bei Bekanntwerden des neuen Standorts sammelten Gewerbetreibende und AnwohnerInnen rund 100 Unterschriften gegen das geplante Heim. Über die Stimmung auf einer Bürgerversammlung schreibt die Schweriner Volkszeitung: "Mütter artikulierten Angst um ihre Töchter und ein Supermarktsleiter sah Ladendiebstähle rapide ansteigen und kündigte an, Ausländer nicht in seinen Markt zu lassen." (7.3.02) Auch die Neonazis mischen mit: Die bis dahin kaum aktive Kameradschaft Bad Doberan brachte ein Flugblatt unter der Überschrift "Bürgerinnen und Bürger von Bad Doberan, setzt Euch zur Wehr" in Umlauf.
In Neustrelitz, wo im Stadtteil Altstrelitz in einer ehemaligen Landesfinanzschule rund 250 Flüchtlinge untergebracht werden sollen, wurden die EinwohnerInnen durch ein anonymes Flugblatt schon vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Pläne des Landkreises "informiert " und dazu aufgefordert: "Schreiben Sie ihre Meinung dem Landrat!" Nach einer BürgerInnenversammlung, bei der immerhin einige NeustrelitzerInnen die rassistischen Argumentationen ihrer MitbürgerInnen öffentlich kritisierten, zog der CDU-Landtagsabgeordnete Lorenz Caffier dann unverhohlen die Pogrom-Karte für den Fall, dass die Meinung der BürgerInnen nicht berücksichtigt würde. ",Die Bürger haben ein Recht sich zu äußern`, so Caffier. Lichtenhagen solle Warnung genug sein." (Schweriner Volkszeitung, 7.3.02)
Noch ist nicht absehbar, wie die Städte und Dörfer letztendlich mit den neuen Heimstandorten umgehen werden und ob die Landräte diese dann entweder durch Finanzspritzen schmackhaft machen oder mit der Polizei durchsetzen werden. Eine lobenswerte Ausnahme bilden derzeit lediglich die SPD-regierte Hansestadt Rostock und die ebenfalls von einem SPD-Bürgermeister regierte Stadt Wolgast. Dort sollen die Flüchtlinge dezentral in leer stehenden Wohnungen untergebracht werden. Unabhängig davon, ob der Ausgang der Landtagswahl im Falle eines Regierungswechsels die Umsetzung des "Dschungel-Heim-Erlasses" beendet, sehen sich Flüchtlinge und AntifaschistInnen in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls einer verstärkten rassistischen Mobilisierung gegenüber.
10 Jahre nach Rostock-Lichten-
hagen: Was tun?
Auch in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam spielen sich derzeit im Stadtteil Bornstedt angesichts eines geplanten Flüchtlingsheims für ursprünglich 150 Flüchtlinge ähnliche Szenen ab. Hier wird eine AnwohnerInneninitiative aus FriseurInnen und BlumenhändlerInnen nur knapp rechts von einer NPD-eigenen Bürgerinitiative des NPD-Kreisverbands Havel-Nuthe überholt. (Märkische Allgemeine Zeitung, 16.4.02) Nach einer stürmischen BürgerInnenversammlung und rund 1.000 AnwohnerInnen-Unterschriften gegen das neue Heim will die Stadt jetzt zum einen den Einzug der Flüchtlinge aufs Frühjahr 2003 verschieben und zum anderen ein Drittel der Asylsuchenden von vornherein in Wohnungen unterbringen. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 18.4.02)
Als besonders eifrige Wahrer der AnwohnerInnen-Interessen hat sich in Potsdam die Polizeisondereinheit MEGA erwiesen. Nachdem anonyme AntirassistInnen ein satirisches Flugblatt mit "Anstands- und Verhaltensregeln für den wahren Bornstedter" verteilten mit Sätzen wie "Arbeitsplätze schaffen! Lassen Sie sich ausbilden zum Fachpogromverwalter! Steine schmeißen, Brandsätze bauen. Wir bilden Ihre politische Meinung aus!", schloss die MEGA messerscharf, dahinter könne nur die Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär stecken. Die Sondereinheit, die angeblich gegen rechte Gewalt vorgehen soll, riet der Staatsanwaltschaft daraufhin offenbar zu einem Verfahren wegen "Volksverhetzung " gegen die Kampagne. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 27.4.02)
Zehn Jahre nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und zwei Jahre nach dem "Aufstand der Anständigen" lässt sich - nicht nur in den neuen Bundesländern - in der Mehrheit der Bevölkerung eine Stimmung gegen Flüchtlinge und MigrantInnen feststellen, die sich nicht nur offen rassistisch artikuliert, sondern auch mit allen Versatzstücken rechtsextremer Ideologie gegen das Zusammenleben mit Flüchtlingen und MigrantInnen vorgeht. Im Windschatten der lokalen Mobilisierungen gegen neue Flüchtlingsheime oder gegen einzelne MigrantInnenfamilien in den Dorfgemeinschaften häufen sich rassistische Pöbeleien, schwere Angriffe und Brandanschläge. Die Täter machen - wen wundert es - keinen Unterschied, welchen Aufenthaltsstatus ihre Opfer haben. Ein kurzer Blick auf die Agenturmeldungen der letzten Wochen macht das deutlich: "Rechtsradikale Übergriffe in Sachsen-Anhalt" (dpa, 1.4.02; Reuters, 30.3.02) oder "Bremen: Brandstiftung auf zwei von Türken bewohnte Häuser - Polizei schließt fremdenfeindlichen Hintergrund nicht aus". (dpa, 29.4.02) "In der Nähe von Lößnitz in Sachsen sind zwei iranische Asylbewerber angegriffen und verletzt worden" (AFP, 7.2.02) und "Attacken gegen ausländische Studenten in Köthen häufen sich". (dpa, 16.4.02) Oder "Wittenberge: Döner-Imbiss durch Brand beschädigt - Fremdenfeindlichkeit möglich" (dpa, 22.4.02) und "Junge Männer griffen in Sachsen türkische Familie an". (dpa, 5.4.02)
Antirassistisches und antifaschistisches Engagement sind untrennbar miteinander verbunden - und nicht erst dann, wenn organisierte Neonazis gegen Flüchtlingsheime mobil machen. Für AntifaschistInnen in den betroffenen Regionen muss dies bedeuten, frühzeitig Kontakt mit direkt Betroffenen - vor allem den Flüchtlingen - aufzunehmen, sie nach ihren Forderungen zu befragen und gemeinsam Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren. Das kann neben einer engen Zusammenarbeit mit einzelnen Flüchtlingen oder den wenigen vorhandenen Ansätzen von Flüchtlingsselbstorganisierung auch bedeuten, offensiv zu agieren und nicht erst abzuwarten, bis sich die Zweckgemeinschaften von BürgerInnen und Neonazis weiter verfestigen können. Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft, und dementsprechend sollte antifaschistisches Handeln auch ausgerichtet sein. Doch wer als Minderheit einer Mehrheit aus BürgerInnenmob und "ihren glatzköpfigen Jungs" gegenübersteht, sollte sich nach einer genauen Analyse der Handelnden vor Ort überlegen, ob es nicht manchmal hilfreich sein kann, die Neonazikarte zu ziehen und damit zumindest bürgerlichere VertreterInnen des scheinbar monolithischen Blocks aus der unheiligen Allianz abzuspalten.
Ein offensiver Umgang mit derartigen Entwicklungen bedeutet auch, die Möglichkeiten von regionalen und überregionalen antifaschistischen Zusammenhängen zu nutzen sowie nach lokalen und regionalen BündnispartnerInnen zu suchen. Wenn das Heim erst einmal abgebrannt ist oder die MigrantInnenfamilie das Dorf wieder verlassen hat, ist es zu spät. Dann kann man das Dorf zwar als rassistisch an den Pranger stellen, doch die Rechten und die Bevölkerung werden da längst ihren "Sieg" gefeiert haben.
Dem rassistischen Mob rechtzeitig entgegentreten!
Wir plädieren an dieser Stelle weder für eine StellvertreterInnenpolitik, noch dafür, auf dem Rücken von Flüchtlingen und MigrantInnen den rassistischen Konsens zu brechen und die Betroffenen zu zwingen, in einer rassistischen Umgebung zu leben. Vielmehr möchten wir an die Forderung der antirassistischen Bewegung für die Abschaffung der Residenzpflicht, des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Massenunterkünfte und das Recht auf eine freie Wahl des Aufenthaltsortes für Asylsuchende erinnern. Auf einer pragmatischen Ebene kann das bedeuten, dass gemeinsam mit Flüchtlingen und den regionalen Flüchtlingsräten für die dezentrale Unterbringung in Wohnungen anstelle von Heimen gesorgt wird. Das Recht der Flüchtlinge auf ein menschenwürdiges Leben sollte oberste Prämisse antifaschistischen Handelns sein.
Wir halten derzeit mehrere Varianten für denkbar: Brandanschläge gegen zukünftige Flüchtlingsheime à la Dolgenbrodt (4), wo DorfbewohnerInnen Neonazis Geld gaben, um eine geplante Flüchtlingsunterkunft im Vorfeld abzubrennen. Oder die von einer breiteren Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommene Durchsetzung immer größerer "no-go-areas " für Flüchtlinge und MigrantInnen durch eine Mischung aus "BürgerInnenprotesten", nachgiebigen KommunalpolitikerInnen, unfähigen Sicherheitsbehörden und die Mobilisierung von Neonazis. Ob das Worst-case-Szenario - Pogrome à la Rostock-Lichtenhagen - eintritt, wird dagegen sehr vom Verlauf des Bundestagswahlkampfs abhängen. Wer die rassistische Karte zieht, weiß jedenfalls spätestens seit 1992 um die Folgen.
Während der Recherche für diesen Artikel sind wir immer wieder von Menschen vor Ort gebeten worden, den Stand der Dinge öffentlich zu machen, weil sie selbst dies aus Angst nicht tun können oder wollen. Wir sind dieser Bitte gefolgt. Weil wir erwarten, dass eine antifaschistische Bewegung - aber auch die vielbeschworene Zivilgesellschaft und ihre Institutionen - ihre Verantwortung wahrnehmen und eingreifen: Gegen institutionellen Rassismus, gegen alltägliche Ausgrenzung und gegen rechten Terror.
Antifaschistisches Infoblatt
Anmerkungen:
1) Informationen zu den Lebensbedingungen gibt es unter www.fluechtlingsrat-thr.de
2) http://www.anyci-ties/nsaw vom 18.4.2002
3) Pressemitteilung des Aktionsbüro des NSAW vom 22.4.2002. Rechtschreibfehler im Original.
4) Im November 1992 wurde in dem brandenburgischen Dorf Dolgenbrodt ein leer stehendes Gebäude, in das 60 Asylsuchende einziehen sollten, von einem Neonazi abgebrannt. Vier Jahre später erhob die Staatsanwaltschaft auch Anklage gegen eine Reihe von DorfbewohnerInnen, die dem Neonazi Geld für den Brandanschlag gegeben hatten. vgl. Der Tagesspiegel, 16. Januar 1997.
Redaktionell leicht bearbeiteter Nachdruck aus AIB 56, 2/2002