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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 464 / 16.8.2002

Kamelmilch statt Cognac

Oriana Fallacis Manifest zur Rettung des Okzidents

"Ob die Invasoren mit Kanonen oder mit Schlauchbooten kommen, das ist ganz egal" - so endet Oriana Fallacis neues Buch, von dem in Italien bereits über eine Million Exemplare verkauft wurden. "La rabbia et l'orgoglio" ("Die Wut und der Stolz") lautet der Originaltitel des Buches, das zum Manifest des europäischen Rechtspopulismus werden könnte. Nach dem Erscheinen der französischen Übersetzung ("La rage et l'orgeuil") wird es demnächst auch auf Deutsch zu haben sein. Ein Massenpublikum scheint dem Buch in allen europäischen Ländern sicher.

In der Welt der Oriana Fallaci herrscht Krieg. Das kann nicht überraschen, denn die 71-Jährige hat lange Zeit als Kriegsreporterin gearbeitet, zunächst vor allem im Vietnamkrieg. Während der Unruhen von 1968 in Mexiko-Stadt wurde sie durch Schüsse verletzt und, für tot gehalten, in die Leichenhalle befördert. Dort erwachte sie inmitten von 800 Toten.

Später war La Fallaci, wie sie in Italien genannt wird, bevorzugt an Krisenschauplätzen im Nahen und Mittleren Osten unterwegs. Dort hat sie sich 1980 durch ihr Interview mit dem iranischen Islamistenführer Ayatollah Khomeney ein bleibendes Verdienst erworben: Damals hatte Fallaci den starken Mann der Islamischen Republik nach der Hinrichtung einer 18-jährigen Schwangeren wegen Ehebruchs befragt. Khomeney hatte geantwortet: "Hören wir auf damit, das ermüdet mich." Am Ende des Interviews zog die Reporterin demonstrativ den Tschador aus, den man damals den iranischen Frauen aufzuzwingen begann. Es kam zum Eklat, und wäre sie keine westliche Ausländerin gewesen, wäre es ihr übel ergangen.

Am Ende ihres Lebens hat die krebskranke Fallaci sich nach New York zurückgezogen. Hier lebt sie seit zehn Jahren "im Exil", wie sie es in ihrem neuen Buch beständig nennt, um sich mit berühmten Italienern zu vergleichen, die vor dem Faschismus hatten fliehen müssen. Bei der Lektüre wird allmählich deutlich, dass ihr abgrundtiefer Hass auf die Kommunisten ein zentraler Anstoß war, es zu schreiben: "... diese ehemaligen Kommunisten, die 40 Jahre lang meine Seele mit blauen Flecken bedeckt haben. Mit ihrer Arroganz, ihrer Selbstherrlichkeitkeit, ihrem intellektuellen Terrorismus. Der gleiche intellektuelle Terrorismus, den sie gegen jedermann ausübten, der nicht dachte wie sie. So dass, wer sich nicht zu ihrer Religion bekannte, als ein Reaktionär betrachtet wurde, als ein Idiot, als ein Steinzeitmensch, als ein willfähriger Diener der Amerikaner. Diese Mullahs von gestern, diese roten Priester, die mich als eine Untreue gegenüber ihrem Mekka behandelten", das die UdSSR gewesen sei.

Kulturkampf gegen Mullahs und Metzger

In New York wurde Oriana Fallaci Zeugin der mörderischen Attentate vom 11. September 2001. Kaum 14 Tage nach den Anschlägen erschien der Rohtext von "Die Wut und der Stolz" in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera. Um rund die Hälfte gekürzt, nahm der Text dort etwas mehr als vier großformatige Zeitungsseiten ein. Die Buchversion, die in Italien kurz vor Weihnachten im Verlag Rizzoli erschien, ist lediglich die überarbeitete Langfassung dieses Textes.

In der Welt der Fallaci herrscht also Krieg. Die Feinde, deren Angriff sie abwehren will, nennt sie "die Söhne Allahs". Dazu gehören Osama Bin Laden; Jassir Arafat, den sie 1972 interviewte und dessen "feuchte Aussprache" sie anscheinend für den Rest ihres Lebens geprägt hat; die Inhaber islamischer Metzgereien, die sich in Italien angeblich ausbreiten; albanische, somalische oder marokkanische ImmigrantInnen, welche "die ruhmreiche Stadt (Genua) geschändet und in eine Kasbah umgewandelt haben".

Die Fallaci fühlt sich in New York den italienischen AntifaschistInnen im Exil der 30er Jahre ebenbürtig. Aber, schreibt sie, es gebe doch einen Unterschied. Denn "die Amerikaner, die am 7. Mai 1933 dem unverstandenen Gaetano Salvemini (der in New York eine Konferenz über Hitler und Mussolini abhielt) zuhörten - der unverstanden war, so wie ich es heute bin - hatten nicht Hitlers SS und Mussolinis Schwarzhemden in ihrem eigenen Land. (...) Die Italiener und die anderen Europäer haben, im Gegenteil, die SS und Schwarzhemden der Bin Ladens in ihren Städten und Dörfern und Büros und Schulen. In ihrem täglichen Leben, in ihrem Vaterland. Sie sind überall, die neuen SS, die neuen Schwarzhemden. Beschützt durch den Zynismus, den Opportunismus, die Berechnung, die Dummheit jener, die sie als kleine Heilige darstellen. Die-Armen, die-Armen, sie-bereiten-mir-so-viel-Schmerz-wenn-sie-aus-ihren-Schlauchbooten steigen. Rassistin-Rassistin, tönt es, böse-böse, Du-die-du-sie-nicht-ausstehen-kannst."

Die vor allem auch militärische Konfrontation mit diesem Feind ist der Fallaci zufolge nicht aufzuhalten, "wenn das Schicksal des Okzidents auf dem Spiel steht, wenn das Überleben unserer Zivilisation in Gefahr ist". Denn, fährt sie fort, "wenn die USA zusammenbrechen, bricht Europa zusammen. Der Okzident bricht zusammen. (...) Wir brechen in jedem Sinne des Wortes zusammen, mein Lieber", schreibt sie an ihren imaginären Briefpartner, an den sie sich den ganzen Text hindurch wendet. "Und anstatt der Kirchtürme finden wir uns mit Muezzinen wieder, anstatt der Miniröcke finden wir uns mit Tschador oder Burka wieder, anstelle des kleinen Cognac finden wir uns mit Kamelmilch wieder." Das hätte der Front National oder der Vlaams Blok kaum anders formuliert. Eine noch härtere Tirade würden sich selbst rechtsextreme Parteien wohl eher verkneifen. So schließt sie an ihre Klage über den Geburtenrückgang in den europäischen Ländern den Satz an: "Die Söhne Allahs dagegen vermehren sich wie die Ratten".

Dennoch bestreitet die Fallaci, rassistisch zu argumentieren, und hat für die "Zikaden" - wie sie die entsprechende Kritik vorbringenden Intellektuellen und PolitikerInnen stets nennt - nur Spott übrig. Rassistisch sei ihre Position schon deshalb nicht, "weil das, was ich sage, eine Religion betrifft und keine Rasse - versteht Ihr nicht, oder wollt Ihr nicht verstehen, dass wir es mit einem umgekehrten Kreuzzug zu tun haben?"

Nun kann man tatsächlich legitime Kritik an der muslimischen Religion oder am politischen Phänomen des Islamismus üben, ohne rassistisch zu sein - wenn man nämlich das Ziel verfolgt, sozialen Fortschritt und Emanzipation auch in den Ländern des islamischen Kulturkreises zu befördern. Das tut die Fallaci nicht. Sie begreift die entsprechenden Länder als einen monolithischen Block, und alles, was aus diesen Ländern kommt, ist schlecht, einschließlich des Großteils der von dort stammenden Menschen.

Den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi spricht die Fallaci am Ende ihres Textes direkt an. Neben einigen Stilfragen missfällt ihr etwas an ihm: Nicht seine saloppe Erklärung vom September 2001 über die ewige "Überlegenheit der europäischen Zivilisation", sondern, dass Berlusconi die Äußerung später zur Hälfte zurückgenommen hat: "Aber als die Zikaden Ihnen an den Hals fielen, ,Rassist-Rassist`, da haben Sie den Rückwärtsgang eingelegt. (...) Kurz, Sie haben es mit der Angst bekommen. Und das ist unverzeihlich, Signore. Wenn die Autorin dieser Zeilen an der Regierung gewesen wäre, ich schwöre es Ihnen, hätte sie die alle aufgefressen, mit oder ohne Senf (...)."

In diesem Schlussteil ihres Buches hält die Autorin noch andere Belehrungen für die PolitikerInnen ihres Landes parat. Beispielsweise bezüglich des Verhaltens gegenüber Immigranten, die für die Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel demonstrieren. Ein von Somaliern zu diesem Zweck auf einem zentralen Platz in Florenz errichtetes Zelt hätte sie glatt abgefackelt, verkündet die Autorin - leider sei die Politik ihr zuvorgekommen und habe die Aufenthaltstitel am Ende doch verlängert. Und für demonstrierende "illegale" Immigranten in dem Land, in dem durch das Gesetz Bossi-Fini die schärfste Einwanderungsgesetzgebung in ganz Europa durchgesetzt wurde, schlägt sie ein einfaches Verfahren vor: "Tausende von ihnen demonstrierten auf den Plätzen, sie versteckten sich nicht einmal. Um sie abzuschieben, hätte es genügt, sie in Reih und Glied zu stellen, sie zu einem Hafen oder Flughafen zu bringen und zurückzuschicken."

Am Ende hat die Fallaci ihr nationales Erweckungserlebnis, denn auch wenn sie nicht an Gott glaube, so stehe ihr die katholische Religion mit ihren Sakralbauten als "Bestandteil meiner Kultur" doch allemal näher als jede andere. "Selbst eine Atheistin wie ich kann es nicht leugnen: Die katholische Kirche hat auch einen großen Beitrag zur Geschichte des Denkens geleistet. Und dann gab es die Renaissance. Es gab Leonardo da Vinci, es gab Michelangelo, es gab Raffaello. Es gab..."

Die Hinterlassenschaften dieser Kulturepochen werden zum Quasi-Besitz der Autorin, die sich dagegen verwahrt, dass "mein Florenz" durch ImmigrantInnen geschändet wird. Einige Seiten lang fantasiert die Fallaci über die Zerstörung eines der Kunstwerke durch islamische Terroristen. Am Ende des Buches macht sie sich auch noch gegen die EU stark, welcher "Italien seine schöne Sprache und seine nationale Identität opfert" und die "den Italienern den Parmesan und den Gorgonzola stehlen will".

Für die Fallaci ist Berlusconi
ein Angsthase

Die 200 Seiten von "Die Wut und der Stolz" sind nicht nur die krampfhafte Suche einer alten Frau nach Zugehörigkeit; sie taugen auch als eine Art Manifest für die anwachsende, populistische bis rassistische Rechte in Europa. Tatsächlich finden sich die beiden Kernpunkte einer solchen Orientierung, Krieg nach außen und Abschottung nach innen, ausführlich in dem Text wieder. Berlusconis Verteidigungsminister, Antonio Martino, hat sich denn auch öffentlich positiv auf die Autorin bezogen. In Frankreich, wo das Buch jetzt seit kurzem auf dem Markt ist, waren die ersten Reaktionen von Intellektuellen und Medien vorwiegend kritisch. Die beiden "antitotalitären" Modephilosophen der 80er und 90er Jahre, Alain Finkielkraut und Bernhard-Henri Lévy (BHL), kommentierten das Buch im Wochenmagazin Le Point, das gleichzeitig längere Auszüge daraus abdruckte. BHL bezeichnet es in seiner Kolumne als "unakzeptable Provokation", die nur den islamistischen Extremisten in die Hände spiele. Finkielkraut hingegen unterstellt Fallaci gute Absichten, bemängelt aber, dass sie weit über das Ziel hinausschieße. In Le Monde bezeichnete der Islamismusforscher Gilles Kepel den Erfolg des Buches vorige Woche als Ausdruck des desolaten Zustands der intellektuellen Landschaft und "jenes Angstgefühls, das die Voten für die extreme Rechte in Europa nährt".

In Deutschland wird "Die Wut und der Stolz" im August erscheinen. Die erste positive Rezeption bisher stammt ausgerechnet von ehemaligen Linken: Die Internet-Suche nach deutschsprachigen Rezeptionen führt auf die Homepage der Zeitschrift Bahamas, wo die Textversion aus dem Corriere della Sera als Appell begrüßt wird, "den Gotteskriegern mit antifaschistischer Entschlossenheit militärisch entgegenzutreten".

Bernhard Schmid