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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 464 / 16.8.2002

"Es ist nicht unmöglich, AIDS zu schlagen"

Interview mit Mark Heywood zur Situation in Südafrika

Globalen Schätzungen zufolge lebten Ende vergangenen Jahres 40 Millionen Menschen weltweit mit HIV/AIDS, 1,5 Millionen davon in Nordamerika und Westeuropa. Ein Drittel von diesen 1,5 Millionen Menschen erhalten antiretrovirale Therapie und damit Medikamente, die die Replikation des HIV-Virus im Körper verhindern und dadurch das Immunsystem stabilisieren. In der so genannten "Ersten Welt" ist AIDS damit zu einer behandelbaren chronischen Krankheit geworden, mit der Folge, dass in diesen reichen Ländern im Jahr 2001 lediglich 25.000 Menschen an AIDS starben.

Dem gegenüber steht allerdings die Zahl von 8.500 Menschen, die zur Zeit weltweit täglich an den Folgen von AIDS sterben. In den Ländern der so genannten "Dritten Welt" erhielten im Jahr 2001 nur 230.000 Menschen antiretrovirale Therapie. Die Hälfte der so behandelten AIDS-Patienten lebt dabei in Brasilien, da das Land konsequent einen nationalen Behandlungsplan entwickelt und die Produktion billiger generischer Medikamente gefördert hat. Insgesamt jedoch handelt es sich um schockierende Zahlen, die einen tiefen Einblick in die real existierenden globalen Ungerechtigkeiten geben.

In jeder Gesellschaft sind diejenigen, die schon vor HIV und AIDS zu den marginalisierten, stigmatisierten und diskriminierten Gruppen gehörten, mit der Zeit zu den Risikogruppen für die HIV-Infektion geworden. Armut ist ein Risikofaktor für AIDS und potenziell tödlich. Vor zwei Jahren - bei der vorletzten AIDS-Konferenz im südafrikanischen Durban - schien in dieser Frage ein Wendepunkt erreicht: Am Ende einer langen Diskussion stand der Konsens, dass der Zugang zu antiretroviraler Therapie ein Aspekt von globaler Gerechtigkeit sei und weltweit umgesetzt werden müsse.

Ein Jahr nach Durban, im Juni 2001, beschloss die UN-Sondersitzung zu AIDS (UNGASS) deshalb die Einrichtung eines so genannten Global Fund. Nach UN- Schätzungen sind jährlich 10 Milliarden US-$ notwendig, um mit einem umfassenden Ansatz von Prävention und Behandlung die AIDS-Epidemie bis zum Jahr 2005 zu stoppen. Auf dem Papier haben sich die G8-Staaten verpflichtet, 0,7 Prozent ihres jährlichen Bruttosozialproduktes an den Global Fund einzuzahlen. Dieses Versprechen haben sie jedoch bisher bei Weitem nicht eingelöst. Stattdessen herrscht nach wie vor die potenziell tödliche Kombination von Ignoranz und mangelndem politischen Willen.

Wir dokumentieren im Folgenden ein Interview mit Mark Heywood von der Treatment Action Campaign. Er ist der Leiter des AIDS Law Project, einer juristisch tätigen Nichtregierungsorganisation in Südafrika, die sich für den Zugang zu antiretroviraler AIDS-Therapie in Südafrika einsetzt. Das Gespräch wurde während der 14. Internationalen AIDS-Konferenz geführt, die vom 7. bis zum 12. Juli 2002 in Barcelona stattfand.

Wenn Du an die Internationale AIDS-Konferenz in Durban vor zwei Jahren zurückdenkst und jetzt den Stand der Dinge in Barcelona betrachtest, wie hat sich die Situation für Euch in Südafrika verändert?

Mark Heywood: In Südafrika hat sich zwischen den Konferenzen in Durban und Barcelona nichts Wesentliches verändert. Die Epidemie hat sich weiter ausgebreitet und die Anzahl der HIV-Infizierten ist von vier auf fünf Millionen gestiegen. Der Großteil dieser Menschen hat immer noch keinen Zugang zu antiretroviraler Therapie. Außerdem gab es einen langwierigen Konflikt mit unserer Regierung über das Mutter-Kind-Übertragungsprophylaxeprogramm. (1) Das "Versprechen von Durban", wenn wir es so nennen wollen, ist in Südafrika nicht eingelöst worden. Auch deshalb sind wir nach Barcelona gekommen. Es ist uns wichtig deutlich zu machen, dass die Zeit des Streitens und Debattieren vorbei sein muss. Wir hoffen, dass dieses jetzt auch von unserer Regierung verstanden wird. Denn wir müssen mit Programmen beginnen, die HIV-positiven Menschen den Zugang zu Medikamenten ermöglichen. Wir wissen, dass wir dabei Fehler machen werden, aber viele Menschen sterben jetzt, und es gibt die Verpflichtung, alles in unserer Macht stehende zu tun, um ihnen zu helfen.

Ist der Hauptadressat Eurer Kämpfe die südafrikanische Regierung? Wer sind die anderen Adressaten, gegen die sich Eure Kämpfe richten?

Da gibt es mehrere. Wir glauben, dass die pharmazeutischen Preise immer noch viel, viel zu hoch sind. Daher sehen wir in den Pharmafirmen ein Haupthindernis für den Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten von AIDS. Wir glauben, dass die globale politische Erstarrung hinsichtlich der AIDS-Krise und der Mangel an politischer Verantwortung der so genannten entwickelten Länder wie Deutschland, den Vereinigten Staaten und Großbritannien ein weiteres Hindernis ist. Unsere eigene Regierung hat sich auch als ein Hindernis herausgestellt. Dabei hätten wir uns niemals vorgestellt, dass wir jemals gegen unsere eigene Regierung kämpfen müssen. Aber die südafrikanische Regierung hat sich entschieden, Verwirrung bezüglich der HIV-Epidemie zu stiften. Sie hat sich zu einer Politik entschlossen, in der sie Entschuldigungen für ihr Nichtstun sucht, anstatt die Entschlossenheit aufzubringen, etwas zu tun. Das ist tragisch, denn viele von uns waren KämpferInnen für die Befreiung von der Apartheid und viele von uns sind immer noch KämpferInnen für Befreiung. Wir haben zwar einen politischen Sieg errungen, doch die Armut, die durch die Apartheid entstanden ist, gibt es noch immer.

Wie Du bereits erwähnt hast, viel wurde gesagt und wenig getan. Setzt Ihr Hoffnungen in den Global Fund, der im Juni 2001 auf der UNGASS beschlossen wurde, um etwas gegen AIDS, Malaria und Tuberkulose zu tun?

Ja, wir hoffen auf den Global Fund. Wir unterstützen die Forderungen, dass alle reichen Länder in diesen Fonds einzahlen, denn wir wollen Geld aus dem Global Fund für Südafrika und für viele andere afrikanische Länder, um damit Leben zu retten. Aber der richtige Nutzen dieser Gelder hängt wiederum von den richtigen Partnerschaften und dem entsprechenden politischen Willen ab. Wir hatten erneut einen Streit hier auf der Konferenz mit unserer Regierung, weil sie eine der am schlimmsten von AIDS betroffenen Provinzen in Südafrika dazu bringen will, eine Zahlung von 73 Millionen US-$ aus dem Global Fund abzulehnen. Das wäre schlicht gesagt dumm für eine Provinz, in der es zwei Millionen Menschen mit HIV-Infektion gibt.

Warum will die Regierung nicht, dass die Provinz das Geld annimmt?

Das ist uns auch nicht ganz klar. Es scheint dabei um technisch-bürokratische Aspekte zu gehen. Die Gesundheitsministerin sagt, dass der Antrag nicht formgemäß gestellt wurde. Doch uns sind die Formalitäten total egal. Das Entscheidende ist doch, dass das Geld der Provinz zugesprochen wurde und dass der Antrag, der von der Provinzregierung gestellt wurde, ein guter Antrag ist. Also, lasst uns nicht um solche Dinge streiten, wir müssen etwas bewegen, lasst uns ein paar Leben retten!

Ein anderer Streit, der aufgetaucht ist, ist der scheinbare Widerspruch zwischen AIDS-Prävention und Behandlung. Was hältst Du davon?

Es gibt keinen Widerspruch zwischen Prävention und Behandlung. Behandlung ist notwendig, um Prävention zu stärken. Wir haben uns die letzten 15 Jahre auf Prävention konzentriert. Aber in den meisten Teilen der Welt war die alleinige Konzentration auf Prävention nicht erfolgreich. Während wir uns allein auf Prävention konzentriert haben, ist die Anzahl der HIV-Infizierten weltweit von einigen Millionen auf 40 Millionen gestiegen. Der entscheidende Punkt ist doch, dass die Aussicht auf Behandlung einen Anreiz für die Menschen darstellt, ihren HIV-Status zu erfahren. Dadurch wird es zur entscheidenden Präventionsstrategie. Was uns auf dieser Konferenz Hoffnung macht, ist, dass es kaum mehr jemanden gibt, der oder die vertritt, dass sich Prävention und Behandlung entgegenstehen. Alle scheinen darin übereinzustimmen, dass Behandlung notwendig ist. Was gut ist, ist, dass Organisationen wie die WHO und UN AIDS klare Zielvorgaben genannt haben. Bis zum Jahr 2005 sollen drei Millionen Menschen Zugang zu antiretroviraler Behandlung haben. Wir sagen gut, lasst uns das für diese drei Millionen Menschen umsetzen, lasst uns aber keine falschen Versprechungen machen, denn die enden mit Zerstörung.

Was sind Eure Pläne für die Zukunft, um diesem Versprechen nachzukommen?

Wir haben viele Aktionen für die Zukunft geplant. Unsere Bemühungen zielen dabei hauptsächlich auf Südafrika ab. Denn wir glauben, dass Südafrika eine Art Vorreiterrolle in der AIDS-Bekämpfung für andere Länder zukommen kann. In Südafrika fordern wir einen Nationalen Behandlungsplan mit Dringlichkeit von der Regierung. Dieser Behandlungsplan sollte aussagen, wie viele SüdafrikanerInnen in welchem Zeitraum Zugang zu Medikamenten haben werden, wie viel Geld dafür notwendig ist usw. Wir gehen davon aus, dass es nicht unmöglich ist, AIDS zu schlagen, trotz allem Schmerz, Leiden und Zerstörung, das es bereits verursacht hat. Auf der internationalen Ebene unterstützen wir Medecins sans Frontieres (Ärzte ohne Grenzen), HealthGAP (Global Access Project), Act Up, alle Gruppen, die daran arbeiten, Heucheleien zu enttarnen, mangelnden politischen Willen aufzuzeigen und die Preise für pharmazeutische Produkte zu drücken.

Zu Anfang dieser Konferenz sagtest Du, "Richtet euch nicht bequem ein!" und dieser Satz ist häufig zitiert worden. Was genau meinst Du damit?

Es ist traurig, aber die AIDS-Epidemie hat viele Leute reich gemacht. Sie hat Menschen, darunter auch viele mit HIV, aus ihren schlechten Lebensbedingungen herausgeholt und in bessere Bedingungen gebracht, wo sie um die Welt zu Konferenzen reisen können und in teuren Hotels wohnen, Menschen treffen usw. Die Gefahr dabei ist, und da nehme ich mich nicht aus, dass wir alle ein sehr eigennütziges Interesse am Thema und an der AIDS-Epidemie entwickelt haben. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Menschen, die wir vertreten, wenn wir zu Konferenzen wie dieser kommen, Menschen sind, die keinen Stimme haben, weil sie unbeschreiblich arm sind und weil sie in dieser Armut und in ihren Communities feststecken. Deshalb komme ich nicht nach Barcelona, um groß Essen zu gehen und um mir die touristischen Sehenswürdigkeiten anzusehen, sondern ich bin hier, um über AIDS zu sprechen. Deshalb sage ich "Richtet euch nicht ein!". Wenn ihr essen gehen wollt, geht essen, aber bleibt darauf konzentriert, für wen ihr wirklich hier seid!

Es gibt Erfolge. Es gibt Euren Sieg im Gericht zu Gunsten der Einrichtung von Mutter-Kind-Übertragungsprophylaxeprogramme. Es gibt Pilotprojekte, in denen behandelt wird, vor allem in der Provinz Western Cape. Seid ihr auch stolz darauf?

Natürlich sind wir auch stolz auf diese Erfolge, aber wir sind nicht mit ihnen zufrieden. Durch alle unsere Erfolge haben wir trotzdem nicht das erreicht, was wir eigentlich wollen, nämlich ein besseres Gesundheitssystem und Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle, die es brauchen. Wir sehen die Erfolge, aber auch, dass FreundInnen und FreundInnen von FreundInnen weiter sterben. Dieses Jahr sind vier Menschen, die ich näher kannte und mit denen ich zusammengearbeitet habe, gestorben. Damit kannst du nicht zufrieden sein. Die Erfolge sind wie eine Plattform, um die Dinge in Bewegung zu halten und um Menschen mit realen Möglichkeiten zu inspirieren.

Interview: Martina Pech/Indrajit Ghosh

Anmerkung:

1) Das Mutter-Kind-Prophylaxeprogramm in Südafrika bietet schwangeren Frauen und ihren Partnern die Möglichkeit, sich auf HIV testen zu lassen. Im Fall eines positiven Ergebnisses wird eine antiretrovirale Behandlung mit AZT oder Nevirapin (Viramune) während der Schwangerschaft bzw. für das Kind einmalig nach der Geburt angeboten, was das HIV-Übertragungsrisiko um 50% senkt. Hinzu kommt die Ausgabe von Babynahrung, um die HIV-Übertragung durch Stillen zu verhindern, sowie Unterstützung in Selbsthilfegruppen, um Stigmatisierung und Diskriminierung entgegenzuwirken.