Kontrolle ist besser
US-Angriff auf Irak könnte sich auch gegen Saudi Arabien richten
Die Entscheidung einen Krieg gegen den Irak zu führen wurde längst getroffen: "Es war mit der Ansprache (des US-Präsidenten Ende Januar 2002) an die Nation vorüber," betont ein hohes Regierungsmitglied in Washington. (1) Offen ist lediglich, ob die Angriffe im Frühjahr 2003 oder noch im Herbst diesen Jahres beginnen und ob auf eine groß angelegte Invasion mit bis zu 250.000 Soldaten oder auf massive Luftangriffe gesetzt werden wird.
Die Gründe für den bevorstehenden Krieg liegen auf der Hand. "Mit mehr als 65% der Weltölreserven in den Golfstaaten, müssen die USA über freien Zugang zu den Ressourcen der Region verfügen", betonte Anthony Zinni, der ehemalige Oberkommandierende des für das Gebiet zuständigen US-Regionalkommandos CENTCOM. (2)
Die überragende Bedeutung, die dem Schutz von Öl in der außenpolitischen Strategie der USA zukommt, erfordert, dass dieses Ziel wenn nötig auch mit militärischen Mitteln verfolgt wird. Die Ölvorkommen des Irak, sowie dessen Versuche an Massenvernichtungsmittel zu gelangen und die damit einhergehende Bedrohung von Washingtons Kontrollanspruch stellen die Triebkräfte für den kommenden Angriff dar.
Feinden Kontrolle verwehren
Zugleich haben sich die US-Eliten möglicherweise auch dazu entschlossen, einen Krieg gegen Bagdad als Ausgangspunkt für eine Veränderung ihrer Strategie als Hegemonialmacht am Golf wahrzunehmen. Im Zentrum dieser Überlegung könnte eine radikale Neubewertung des Verhältnisses mit Saudi Arabien sein, was eine Abkehr der bisherigen US-Außenpolitik in der Region darstellen würde.
Schon während des Zweiten Weltkrieges entschlossen sich die Vereinigten Staaten dazu, die Rolle als Ordnungsmacht in der Golfregion für sich zu reklamieren. In der Folge setzte die US-Strategie auf eine indirekte Kontrolle des Persischen Golfes über die Marionettenregime in Saudi-Arabien und im Iran. Deshalb putschte die CIA 1953 im Iran und lieferte die US-Regierung dem saudischen Königshaus die Mittel, sich weiter an der Macht halten zu können. (3)
Deutlichster Ausdruck von Washingtons Kontrollanspruch war die nach dem damaligen US-Präsidenten benannte Carter-Doktrin. Nachdem mit der iranischen Revolution 1979 eine der beiden Machtsäulen eingestürzt war, verkündete er am 23. Januar 1980: "Der Versuch irgendeiner außenstehenden Macht die Kontrolle über die Region des Persischen Golfes zu erlangen wird als ein Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet (und) mit allen notwendigen inklusive militärischen Mitteln zurückgeschlagen werden." (4)
Neben der ökonomischen Bedeutung kommt den Ressourcen auch eine wichtige strategische Rolle zu. Ein Land, das die Energieversorgung eines anderen Staates kontrolliert, verfügt über ein kaum überschätzbares Instrument, Druck ausüben zu können. (5) "Normalerweise wird angenommen, dass die US-Strategie auf der Entschlossenheit basiert, den Ölfluss in den Westen zu günstigen Preisen sicher zu stellen. (...) Aber seit mehr als einem halben Jahrhundert war ein zentraler Antrieb hinter der amerikanischen Militärstrategie in der ölreichen Region - einer der von den meisten Analytikern nicht völlig begriffen wird - mächtigen Feinden die Kontrolle der Region zu verwehren, da sie sonst noch mächtiger und gefährlicher werden könnten." (6)
Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich extreme Spannungen zwischen den USA und einem anderen Land abzeichnen, ist Washington aber gewillt, seine Politik der Sicherung von Energieressourcen als militärische Dienstleistung für den Rest der Welt darzustellen. Das soll helfen, Konfliktfälle, in denen die Ölwaffe massiv eingesetzt werden müsste, zu verhindern. Genau diese Strategie ist ein wesentlicher Antrieb für die Kontrolle des Persischen Golfes. Trotz ihres hohen Energiebedarfs betreiben beispielsweise die asiatischen Länder bisher eine sehr zurückhaltende Politik in der Region. "Jedoch sollte diese gegenwärtige Trennung zwischen Energieinteressen und strategischen Verantwortlichkeiten nicht als selbstverständlich angesehen werden. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die asiatischen Energieverbraucher irgendwann in der Zukunft genau danach streben könnten - eine Rolle in der Sicherheitskonfiguration der Golf-Region zu spielen." (7)
Aus Sicht Washingtons muss dies unbedingt verhindert werden, da ansonsten schwere Konflikte vorprogrammiert wären. Walter Russel Mead vom einflussreichen Council on Foreign Relations beschreibt das Ziel der US-Strategie folgendermaßen: "Wir erhalten keinen so großen Anteil vom Öl des Mittleren Ostens. Japan bekommt viel mehr. (...) Einer der Gründe, weshalb wir die Rolle als Aufseher im Mittleren Osten annehmen, (...) hat damit zu tun, Japan und einigen anderen Ländern das Gefühl zu vermitteln, dass ihr Ölfluss sicher ist, (...) so dass sie sich nicht genötigt fühlen, eine Großmacht mit bewaffneten Streitkräften und Sicherheitsdoktrinen zu werden. Und damit man nicht beginnt, eine Menge Großmächte mit widersprüchlichen Interessen zu bekommen, die ihr Militär um die ganze Welt schicken." (8)
Freier Zugang
zu Ressourcen
Für den Fall einer Auseinandersetzung mit einem militärisch bereits mächtigen Gegner aber hat die Zugangsverhinderung in der US-Strategie sogar eine höhere Priorität als die eigene Kontrolle etwaiger umkämpfter Ölvorkommen. Jüngst veröffentlichte Regierungsdokumente lassen keinen Zweifel daran, wie rigoros Washington im Konfliktfalle die Ölwaffe einsetzen würde. So wurde für den Fall einer sowjetischen Invasion des Golfes offiziell festgelegt, dass nicht die Rückeroberung der Region das zentrale Ziel der Militärs sein sollte, sondern - vor dem Rückzug der US-Truppen - die vollständige Zerstörung der Ölfelder am Golf. (9)
"Saudi Arabien Feind der USA"
Damit es gar nicht erst so weit kommt, sind die Vereinigten Staaten bereit, auch militärische Mittel zur Durchsetzung ihrer Strategie anzuwenden. Seit dem 11. September hat die US-Regierung klar gemacht, wie ernst es ihnen mit diesem Ziel ist. Die von ihr als Bush-Doktrin bezeichnete Strategie sieht vor, dass die USA sich das Recht herausnehmen, Präventivschläge - von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als "defensive Interventionen" bezeichnet - gegen potenziell bedrohliche Staaten durchzuführen. Dabei wird immer wieder überdeutlich auf den Irak als erstes Ziel eines solchen Präventivschlages verwiesen. (10)
Das könnte auch eine grundlegende Neuorientierung in der Region bedeuten. Gegenwärtig zeichnet sich ab, dass mit der Ausweitung der Pax Americana eine engere Kontrolle des langjährigen Verbündeten Saudi Arabien einhergehen soll. Die jüngsten Spannungen mit Saudi Arabien gefährden Washingtons Kontrollanspruch und könnten die USA ohne Brückenkopf am Persischen Golf zurücklassen.
Die Konflikte zwischen beiden Ländern haben inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass Riad droht, die zur Machtprojektion unerlässlichen amerikanischen Militärbasen schließen zu lassen. (11) Auch in Washington werden diese Drohungen ernst genommen. Im Pentagon wurden Pläne ausgearbeitet, wie ein Rückzug von Saudi Arabien zu bewerkstelligen ist und Alternativpläne für Basen in Katar oder anderen Ländern entworfen. (12) Die weiterhin bestehende Unterstützung terroristischer Gruppen, vor allem aber Aussagen von Teilen des saudischen Herrscherhauses, die darauf hindeuten, dass die OPEC künftig wieder als Ölwaffe gegen die US-Politik eingesetzt werden könnte, lassen viele in den USA am Wert dieses Verbündeten zweifeln. (13)
Ein Zugriff auf die irakischen Ressourcen würde alle Versuche, die OPEC gegen die USA einsetzen zu wollen, im Keim ersticken: "Seine riesigen Ölreserven könnten die saudische Dominanz als OPECs Ausgleichsproduzent wettmachen und den USA in Notzeiten ökonomisch helfen, indem durch eine Produktionserhöhung die Preise gesenkt werden." (14)
Gleichzeitig könnte die US-Regierung mit diesem Krieg ihren Anspruch als Ordnungsmacht untermauern und so die Länder der Region disziplinieren. Allerdings gehen Washingtons Überlegungen derzeit noch weiter. Ein Briefing vor dem Defense Policy Board, einem Beratungsgremium des Pentagon, dem so einflussreiche Konservative wie Richard Perle, Henry Kissinger, James Schlesinger, Dan Quayle und Newt Gingrich angehören, könnte die neue Richtung vorgeben. Das Briefing "beschrieb Saudi Arabien als einen Feind der Vereinigten Staaten und empfahl, dass US-Offizielle ein Ultimatum stellen, die Unterstützung des Terrorismus einzustellen oder sich der Besetzung seiner Ölfelder gegenüberzusehen." (15)
Die Falken versprechen sich über einen Krieg gegen den Irak, eine erhebliche Verbesserung ihrer Position am Golf auch im Hinblick auf Saudi Arabien. Sie erhoffen, dass "wenn eine US-Invasion Saddam Hussein erst einmal von der Macht entfernt hat, ein freundliches Nachfolgeregime ein wichtiger Ölexporteur in den Westen werden wird. Dieses Öl würde die US-amerikanische Abhängigkeit von saudischen Energieexporten verringern und es somit aus diesem Blickwinkel erlauben, dass saudische Königshaus für ihre Unterstützung des Terrorismus zu konfrontieren." Ein Mitglied der Regierung, der zu diesen neokonservativen Hardlinern zählt, kommt deshalb zu dem Schluss, dass "der Weg zum gesamten Mittleren Osten durch Bagdad führt." (16)
Noch deutlicher wurde hierzu ein Kommentar des Bush-nahen Wall Street Journal: "Die USA müssen sich mit den Saudis anlegen. Es darf keine Kompromisse mit den hartnäckigsten Förderern des Terrorismus geben. Die Saudis sind weit davon entfernt, für die Sicherheit des Westens unabdingbar zu sein - im Gegenteil, sie stellen die größte Gefahr aller Staaten dar, China eingeschlossen. Washington muss sich darauf einrichten, die Ölfelder zu besetzen." (17)
Jürgen Wagner