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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 464 / 16.8.2002

Parade der Populisten

Die Unterhaltungsindustrie ist ein hartes Geschäft, und nicht jede Show ist gut, nicht jedes Event spektakulär. Die Oscar-Verleihung z.B. oder Disney-World, das ist perfektes Entertainment, politisch nicht korrekt, aber professionell inszeniert. Die Bundestagswahl und der dazu gehörende Wahlkampf hingegen ist lausiges Schmierentheater. Die Darsteller der Laientruppe Schroiber-Fischerwelle grinsen alle gleichermaßen verbissen in jede hingehaltene Kamera. Die (politischen) Unterschiede reduzieren sich auf die PS-Stärken von Claudia Roths Fahrrad, Westerwelles "Guidomobil", Stoibers CSU-Bus oder dem Wahlkampf-Truck der SPD.

Dabei wurde dem Publikum doch ein wirklich heißer Lagerwahlkampf versprochen. Doch wo keine Lager, da auch kein Lagerwahlkampf. Vor vier Jahren ist Rot-grün noch für diverse Reformversprechen und mehr soziale Gerechtigkeit gewählt worden. Seitdem gab's alles das, was Kohl nicht hinbekommen hatte: zwei Mal Krieg, Demontage der Rentenversicherung, teurere und schlechtere Gesundheitsversorgung, weniger Geld und mehr Druck für Erwerbslose, neue Anti-Terrorgesetze und eine Verschärfung des Ausländerrechts. Das rot-grüne "Reformprojekt" ist ein schlechter Treppenwitz.

Zwei Momente im bisherigen Wahlkampftheater verdienen allerdings Beachtung: Stoibers Wandel zum Muster-Sozi, als er relativ schnell die Vorschläge der Hartz-Kommission ob ihrer sozialen Härte kritisierte, die "so" mit ihm "nicht zu machen" seien. Und zum anderen Schröders friedensfreundliche Anwandlungen in Sachen Irak in Verbindung mit nicht zu überhörenden nationalistisch-antiamerikanischen Untertönen. Interessant sind diese beiden Vorfälle deswegen, weil in ihnen das erste Mal im Wahlkampf andeutungsweise die populistische Stammtischkarte gezogen wird. Allerdings: Stoiber ist nicht der Anwalt der "sozialen Gerechtigkeit" und Schröder nicht zum Pazifisten mutiert. Beide Äußerungen verpuffen als das, was sie sind: unglaubwürdige Wahlkampfrhetorik.

Noch gibt es auf Bundesebene keine Figur, die die typisch populistische Kombination von sozialer Gerechtigkeit für die "kleinen Leute" und nationalistisch-rassistischem Ressentiment gegen alles "Unnormale" glaubwürdig vertritt. Ein Berlusconi, Haider oder ein Le Pen ist (noch) nicht aufgetaucht. Dabei ist der Nährboden durchaus bereitet: New Labour Germany befindet sich in einer politisch-moralischen Glaubwürdigkeitskrise, die sich zu einer Krise des gesamten politischen Systems auseweiten könnte. Gleichzeitig hat das grün-sozialdemokratische Modell von Deregulierung und sozialstaatlicher "Aktivierung" autoritäre Pflichtgedanken gegenüber sozialen und bürgerlich-demokratischen Rechtsansprüchen massiv gestärkt. In einer solchen Situation kann der Rechtspopulismus ein neues Modell bürgerlicher Hegemonie sein: .ein Modell, das "soziale Gerechtigkeit" selbstbewusst umdefiniert zu "sozialer Gerechtigkeit für uns (,normale Deutsche`)"; ein Modell, das nicht mehr auf gesellschaftliche Integration setzt, sondern ganz bewusst auf repressive Ausgrenzung.

In Deutschland steht bisher lediglich der neue Rechtssenat in Hamburg unter Beteiligung der Schill-Partei für einen solchen Versuch. Und es ist nicht zu erwarten, dass die Bundestagswahl einen solchen Populismus an die Macht spülen wird. Die Spitzenkräfte aller Parteien sind medial orientierte SchauläuferInnen - PopulistInnen im Sinne eines Berlusconi, eines Le Pen oder eines Pim Vortueyn sind sie nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass sich die politische Praxis in Deutschland eine wesentlich andere wäre. Populistische Versatzstücke können zudem jederzeit in die herrschende Politik integriert werden. Auch da unterscheiden sich SPD und CDU, FDP und Grüne nicht.

Zur Krise von New Labour und zur rechtpopulistischen Antwort Seite 22/23