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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 465 / 20.9.2002

Land, Lohn und ländliche Entwicklung

Landkonflikte und Kaffeekrise in Guatemala

Die aktuelle Kaffeekrise hat zu einer Zuspitzung der Landkonflikte in Guatemala geführt. Schon tauchen bewaffnete paramilitärische Gruppen auf, die gewaltsam gegen die sozialen Proteste der Kleinbauern- und Landlosenbewegung vorgehen. Deren Ziel ist eine Agrarreform, die an die Wurzeln der feudalen und rassistischen Ordnung im Lande geht.

Seit Anfang des Jahres versucht die guatemaltekische Kleinbauern- und Landlosenbewegung mit inzwischen rund 100 Landbesetzungen in verschiedenen Teilen Guatemalas, Straßenblockaden, Protestmärschen, Streiks und Besetzungen von Büros des staatlichen Landfonds Fontierras drei simplen Forderungen Nachdruck zu verleihen: Angesichts einer Million landloser KleinbäuerInnen (Campesinos) sowie weiterer zwei Millionen, die vom Ertrag ihrer kleinen, steinigen Äcker ebenfalls kaum überleben können, fordert sie Land, Lohn und den Beginn einer staatlichen Politik zur ländlichen Entwicklung.

Die ultrarechte Regierung der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) sowie die Agraroligarchie reagierten auf die Kampagne der LandaktivistInnen bisher vor allem mit der Kriminalisierung der Bewegung, gewaltsamen Räumungen und Festnahmen. Am sechsten August reichte die Landwirtschaftskammer (Camara del Agro) bei der Staatsanwaltschaft Anzeigen gegen sechs SprecherInnen der im Kleinbauernverband (CNOC) zusammengeschlossenen Basisorganisationen ein. Der Vorwurf lautet "Aufstachelung zur widerrechtlichen Aneignung von Privatbesitz."

Simple Forderungen, die ins Mark zielen

Der Landbesitz ist in Guatemala seit der spanischen Eroberung Kristallisationspunkt aller Auseinandersetzungen um Macht und Herrschaft. Die Ausrichtung der guatemaltekischen Wirtschaft auf den Export von landwirtschaftlichen Produkten, vor allem Kaffee, ein extrem von Schwankungen auf dem Weltmarkt abhängiges Modell, hat intern dazu geführt, dass Land nicht nur die zentrale Akkumulationsachse darstellt, sondern auch eine soziale Ordnung prägt, die man bis heute als feudal und rassistisch bezeichnen kann. Letzteres ist besonders offensichtlich in den ländlichen Gebieten, wo mehr als 65 Prozent der Bevölkerung lebt, davon die absolute Mehrheit indigener Herkunft, und die Armutsrate sich der 90-Prozent-Marke nähert.

Der exportorientierten Agrarstruktur entspricht die extrem ungleiche Verteilung des Landbesitzes in wenige gigantische Ländereien (Latifundien) von guter Qualität und zahlreiche winzige Stücke Land (Minifundien), die häufig eigentlich für die Landwirtschaft ungeeignet sind. Einer Studie der CNOC und des NGO-Zusammenschlusses Congecoop zufolge weist Guatemala die größte Konzentration von Landbesitz in Lateinamerika auf. 96 Prozent der guatemaltekischen Bauern besitzt oder bearbeitet insgesamt 20 Prozent des Landes und (über)lebt zumindest teilweise von der Subsistenzwirtschaft, während zwei Prozent der Landwirte 70 Prozent des Landes kontrolliert und für den Export produziert.

Verheerende soziale Folgen
der Agrarkrise

Konkreter Auslöser für die derzeitige offensive Kampagne der Campesino-Bewegung ist die durch den Fall des Kaffeepreises auf dem Weltmarkt - um 65 Prozent in den letzten fünf Jahren - ausgelöste wirtschaftliche und soziale Krise, die selbst vom Generaldirektor der Internationalen Kaffeeorganisation (OIC), Nestor Osorio, als "die schlimmste der Geschichte" bezeichnet wird. Im Fall von Guatemala, dessen Hauptexportprodukt traditionell der Kaffee ist, verringerten sich die Deviseneinnahmen durch den Fall der Weltmarktpreise im vergangenen Jahr um 230 Millionen US-$ im Vergleich zum Vorjahr. Für dieses Jahr nimmt man an, dass der Verlust sich auf insgesamt 430 Millionen US-Dollar summieren wird. In den letzten Jahren wurde auf insgesamt 976 Kaffeeplantagen die Produktion auf Grund der Krise eingestellt, die Ländereien liegen brach. Fast 250 von ihnen sind bereits von den Banken beschlagnahmt worden, weil ihre Besitzer die Hypotheken nicht mehr zahlen konnten, andere sind an Fontierras verkauft worden.

Doch viel drastischer sind die sozialen Folgen der Kaffeekrise. Allein im letzten Jahr wurden 65.000 KaffeearbeiterInnen entlassen, weitere 82.000 wurden gar nicht erst wie sonst üblich zeitweise für die Kaffee-Ernte angestellt. Für dieses Jahr rechnet man allein im Kaffeesektor mit etwa 225.000 Arbeitslosen. In traditionellen Kaffeeanbaugebieten, wie im Tucuru-Tal im Department Alta Verapaz, kam es im vergangenen Jahr bereits zu Hungersnöten.

Die überwiegende Mehrheit der ArbeiterInnen wurde ohne die im Arbeitsrecht vorgeschriebenen Entschädigungszahlungen entlassen. In den meisten Fällen schuldet der Besitzer der betreffenden Kaffeeplantage seinen ArbeiterInnen zudem die Löhne mehrerer Monate oder sogar Jahre, die meist sowieso weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, ganz abgesehen von den ebenfalls gesetzlich festgelegten Sozialleistungen. Für diejenigen ArbeiterInnen und deren Familien, die oft seit Jahrzehnten auf den Kaffeeplantagen lebten und dort nicht selten statt eines Teils des Lohnes ein kleines Stück Land für die Selbstversorgung erhalten haben, bedeutet die Entlassung, dass sie obdachlos werden. Aber auch den temporären WanderarbeiterInnen, die ein eigenes Stück Land besitzen und nur zur Ernte auf den Kaffeeplantagen arbeiteten, entzieht die Kaffeekrise die Lebensgrundlage. Denn die kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft auf kargen Böden muss in den meisten Fällen durch zusätzliche Einkommensquellen "finanziert" werden.

Die sozialen Folgen der Kaffeekrise zeigen aber auch, dass 40 Jahre zunächst reformistisch-paternalistischer und seit den 80er Jahren im Kontext der Strukturanpassungsprogramme strikt nach den Gesetzen des Marktes orientierter staatlicher Landvergabepolitik für Kleinbauern, aus der Perspektive von Organisationen wie Cnoc lediglich "zur Reproduktion der sozialen und ökonomischen Widersprüche des Agrarexportmodells geführt haben". Die von den USA finanzierten Kolonialisierungsprojekte der 60er und 70er Jahre in bis dato unbesiedelten, für die Landwirtschaft aber nur begrenzt geeigneten Urwaldregionen im staatlichen Besitz hatten antikommunistischen Charakter. Sie sollten verhindern, dass sich der soziale Druck in eine Politisierung und Radikalisierung hunderttausender verarmter oder landloser indigener Campesinos aus dem Hochland verwandelt, die traditionelle Struktur der Besitzverhältnisse jedoch unangetastet lassen. Abgesehen davon, dass von den Kolonialisierungsprogrammen nur ein winziger Anteil der Landsuchenden profitierte, entwickelte sich das für die Durchführung und Administration dieser Programme zuständige "Institut zur Transformation des Agrarsektors" (Inta) in einen korrupten und paternalistischen Kontrollapparat. Um von den Inta-Programmen begünstigt zu werden, musste man nachweislich "der landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen und einem Haushalt mit Kindern vorstehen", was sowohl allein stehende Personen als auch verheiratete oder in Partnerschaft lebende Frauen, deren landwirtschaftliche Arbeit im Arbeitsgesetz als Hilfe gewertet wird, ausschloss. Inta schrieb den Campesinos nicht nur vor, wie sie zu produzieren und sich zu organisieren hatten, es verzögerte die Aushändigung von Eigentumstiteln oder verweigerte sie ganz. Während der Aufstandsbekämpfungsprogramme Anfang der 80er Jahre verkaufte das Institut auch Land von Flüchtlingen ein zweites Mal an neue SiedlerInnen oder überließ es gleich dem Militär und lokalen Großgrundbesitzern.

Abgelöst wurden diese Programme 1997 durch die Gründung von Fontierras, eines im Teilabkommen zu Agrarfragen der ein Jahr zuvor unterzeichneten Friedensverträge vorgesehenen Landfonds. Konzipiert von der Weltbank und der damaligen neoliberalen Regierung der Partei des Nationalen Fortschritts (Pan), ist Fontierras vielleicht der größte Kompromiss, den die guatemaltekische Guerilla bei den Friedensverhandlungen machen musste. Fontierras soll das Agrarproblem über die Gesetze des Marktes lösen. Der Fonds richtet sich vor allem an private Landbesitzer, denn das Angebot an staatlichen Ländereien hat sich weitgehend erschöpft. Auf Grund der Tatsache, dass die Nachfrage jedoch weitaus größer ist als das Angebot, hat sich Land zu einem Spekulationsobjekt entwickelt, mit Hilfe dessen viele überschuldete Kaffeeplantagenbesitzer ihre finanziellen Probleme lösen und sogar Gewinn aus der Kaffeekrise schlagen. Ende Juni machte die guatemaltekische Tageszeitung El periodico beispielsweise öffentlich, dass Fontierras auf diese Weise einem Finanzier des Wahlkampfes der Regierungspartei FRG half, seine mit Hypotheken belasteten Ländereien loszuwerden und daran noch zu verdienen. Den Preis für die überbewerteten, oft infrastrukturell schlecht angeschlossenen Ländereien von schlechter Qualität, zahlen die Armen, die landsuchenden Campesinos. Viele sind bereits dramatisch verschuldet und gezwungen, das Land wieder zu verkaufen.

Landvergabe
nach Maßgabe
der Märkte

Dass das Kaffee-Exportmodell als zentrale Nervenbahn der guatemaltekischen Ökonomie an seine Grenzen gekommen ist, darin sind sich inzwischen auch die reaktionäre Camara del Agro und die Assoziation guatemaltekischer Kaffee-Exporteure (Anacafe) einig. Doch wie die Krise zu bewältigen ist, da gehen die Meinungen weit auseinander. Anacafe hat gegenüber der Regierung bereits die Einrichtung einer Treuhandschaft zur staatlichen Subventionierung der großen Agrarproduzenten durchgesetzt. Zur finanziellen Ausstattung des Fonds erhöhte die Regierung die Staatsverschuldung um 100 Millionen US-Dollar. Gerechtfertigt wurde diese Maßnahme mit der Notwendigkeit, den Kaffeesektor bei der Diversifizierung und Verbesserung der Qualität ihrer Anbauprodukte zu unterstützen. Bis zum vergangenen Mai wurden jedoch 98 Prozent der von der Treuhand bislang ausgeschütteten 26 Millionen US-Dollar zur Umstrukturierung der Schulden der Kaffee-Exporteure verwendet, was bedeutet, dass die Ländereien weiterhin brachliegen. Maßnahmen und Mittel zur Unterstützung und zum Schutz der entlassenen ArbeiterInnen wurden bei der Gründung der Treuhandschaft nicht berücksichtigt. Die Treuhandschaft knüpft die Bewilligung von Subventionen für die Agrarexportproduzenten nicht an die Bedingung, dass diese zuerst den finanziellen Verpflichtungen gegenüber ihren ArbeiterInnen nachkommen. Stattdessen fordern Anacafe-Präsident Fernando Montenegro und Roberto Castaneda, der Chef der Camara del Agro, von der Regierung vor allem ein härteres Vorgehen gegen die LandbesetzerInnen und einen "Rechtsstaat, der den Schutz des Privateigentums gewährleistet". (Montenegro)

Schutz des Privateigentums oder Enteignung

Cnoc-Sprecher Daniel Pascual argumtentiert hingegen, dass es sich bei den meisten Besetzungen um kommunale oder private Ländereien handele, "die sich während des internen bewaffneten Konfliktes von Großgrundbesitzern widerrechtlich angeeignet wurden". In anderen Fällen von Landbesetzungen geht es um Arbeitskonflikte. Die ebenfalls in Cnoc vertretene nationale Koordination von Indigenas und Campesinos (Conic), die vor allem in der traditionellen Kaffeeregion Alta Verpaz eine starke Basis hat, vertritt die Position, dass viele der besetzten Landgüter auf Grund der über Jahre und manchmal Jahrzehnte angehäuften Lohnschulden und anderer nicht gezahlter Leistungen bereits faktisch in den Besitz der Campesinos und Plantagenarbeiter übergegangen sei.

Deshalb bringt Cnoc auch ein Thema auf die Tagesordnung, das weit über die Forderung nach Umsetzung der Friedensverträge hinausgeht und seit dem von der CIA unterstützten Sturz des linksdemokratischen Präsidenten, Jacobo Arbenz 1954, in Guatemala als Synonym für Kommunismus gilt: eine Agrarreform. Nachdem der Regierungsprecher Byron Barrerera am 1. Juli verkündet hatte, dass man die von der Kleinbauernbewegung geforderte "nachhaltige Lösung des Agrarproblems" der nächsten Regierung überlassen und sich auf die Umsetzung eines "Notplans" beschränken werde, kündigte Daniel Pascual weitere Protestaktionen an und erklärte: "Die einzige Form, die Krise zu lösen, ist eine integrale Landreform, die Enteignungen von brachliegendem Großgrundbesitz mit einschließt. Dafür muss die Verfassung geändert werden, die das Privateigentum schützt und Enteignungen ohne Entschädigungen nur im Kriegsfall erlaubt."

Stefanie Kron