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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 465 / 20.9.2002

Die Achse der Verdächtigen

Der 11. September 2001 und die Tücken der "kritischen Konspirologie"

Ein Jahr nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 ist die Beweislage, was die Hintermänner dieser Anschläge angeht, unverändert dürftig. Nachdem alle Welt, die verschiedensten Geheimdienste eingeschlossen, vom Terror angeblich völlig überrascht wurden, stand die offizielle Version Stunden später fest: Bin Laden war's, und sein weltumspannendes Terrornetzwerk Al Quaida ist jederzeit in der Lage, erneut zuzuschlagen. Diese und viele andere Ungereimtheiten, Widersprüche und offene Fragen veranlassten den ehemaligen taz-Kulturredakteur Mathias Bröckers, ein bereits begonnenes Buch über Verschwörungen und Verschwörungstheorien thematisch auszuweiten. Seit ein paar Wochen liegt bei Zweitausendeins das Ergebnis seiner Untersuchungen vor; der Verlag kommt nach eigener Aussage "mit dem Drucken nicht nach".

Um es gleich vorweg zu sagen: Die auf 350 Seiten versammelten haarsträubenden Fehler, falschen Einschätzungen und Unterstellungen bieten reichlich Material für einen Totalverriss. Da wird der deutsche Außenminister Fischer als "Vasall von Onkel Sam" (Seite 122) bezeichnet, zum x-ten Mal die Geschichte von der angeblich den Umsturz planenden Geheimloge P2, mit "Duce Berlusconi" an der Spitze, aufgetischt (110ff.); US-Präsident George W. Bush wird zum "eigentlichen Wiedergänger Hitlers" - auf seine "Machterschleichung" folgte der "WTC-Reichstagsbrand" (180), wurde das Weiße Haus zum "Führerbunker" (227), stürmen die USA "mit patriotischem Schritt auf ein Viertes Reich" zu. (297) Bröckers belässt es nicht bei diesen indiskutablen Analogien zum Nationalsozialismus, er macht auch noch die USA, namentlich die Bush-Familie, die mit den Nazis profitable Geschäftsbeziehungen pflegte, zum Mitverursacher des deutschen Vernichtungskrieges: "Ohne ihr vorheriges Großinvestment in den Faschismus wäre die Befreiung vermutlich gar nicht nötig geworden. Das ,Volk ohne Raum` hätte nämlich mangels Mobilität zu Hause bleiben müssen." (86)

Um die israelische Politik gegenüber den PalästinenserInnen zu erklären, bemüht Bröckers eine gleichfalls indiskutable Vulgär-Psychologie: "Menschen, die in ihrer Kindheit Gewalt erfahren, werden selbst gewalttätig; Völker und Staaten offenbar auch. Insofern wäre der Staat Israel, geboren aus der Not vor dem gewalttätigen ,Übervater` Hitler, psychohistorisch jetzt zu so etwas wie einem gewalttätigen Hooligan herangewachsen, der einfach nicht anders kann." (242) Deshalb, meint Bröckers "können wir Scharon unterstellen, dass seine Konsequenzen aus Auschwitz darin bestehen, Hitlers rassistischen Verfolgungswahn ,mehr oder weniger ` unbewusst zu kopieren." (239) Wer das Buch spätestens an dieser Stelle angewidert in die Ecke wirft, folgt zweifellos einem natürlichen Impuls. Der ak-Rezensent hat trotzdem weitergelesen - und das mit Gewinn. Denn das Buch bietet - neben teils abstrusen, teils amüsanten Gedanken über Verschwörungen und Verschwörungstheorien - etliches, was für eine Einschätzung des 11. September 2001 und seiner Folgen relevant, wenn nicht unentbehrlich ist. Das gilt auf jeden Fall für die von Bröckers gestellten Fragen - die 100 am häufigsten gestellten finden sich noch einmal im Anhang (siehe Kasten) - weniger für seine Antworten und Spekulationen. Dass diese auf offen zugänglichen, vor allem im Internet verbreiteten Informationen beruhen, hebt der Autor mehrfach hervor.

Bröckers behauptet zwar nicht, dass die Anschläge des 11.9. von der CIA oder dem FBI inszeniert worden wären. Als "kritischem Konspirologen" gehe es ihm vielmehr darum, die von Bush verbreitete Theorie einer "al-quaidisch-ladinistischen Weltverschwörung", für die es bis heute keinen Beweis gibt, in Frage zu stellen. Deshalb sei das von ihm entwickelte Szenario eine "Anti-Verschwörungsthese". Das ist letztlich ein Streit um Worte. Nach Bröckers` (Anti-)Verschwörungsthese, die er im Interview mit dem Neuen Deutschland (6.9.2002) zusammenfasst, war bzw. ist Al Quaida von der CIA "genauso unterwandert wie die NPD vom Verfassungsschutz".

CIA und FBI waren also nicht auf die russischen, französischen, deutschen oder israelischen Geheimdienste angewiesen, die beizeiten vor massiven Anschlägen in den USA gewarnt hatten. Wenn die US-Dienste sich über diese Warnungen hinwegsetzten, dann könne es dafür nur zwei Gründe geben, meint Bröckers: Entweder glaubten sie, durch ihre eigenen Under-Cover-Agenten "alles im Griff" zu haben. Oder sie nahmen den Tod Tausender Menschen billigend in Kauf, um einen Vorwand für den Krieg gegen Afghanistan zu haben. Dieser Krieg, behauptet Bröckers, sei seit Juli 2001 beschlossene Sache gewesen. Damals hatte man mit der Taliban-Regierung über eine Öl-Pipeline quer durch Afghanistan verhandelt. Das Geschäft, bei dem der von Vizepräsident Dick Cheney dirigierte Halliburton-Konzern federführend sein sollte, kam nicht zu Stande, weil die Taliban nach Ansicht ihrer US-Partner überzogene Geldforderungen stellten. So habe man sich dafür entschied en, Afghanistan statt mit einem "Teppich aus Gold" mit einem "Teppich aus Bomben" zu überziehen - eine Alternative, die den Taliban angeblich ganz offen unterbreitet worden sein soll. Im Mai 2002 meldete BBC, dass das im Juli 2001 zunächst aufgegebene Pipeline-Projekt, die mit 2 Mrd. Dollar "größte ausländische Investition in Afghanistan", nunmehr unter Dach und Fach sei.

Nicht zu leugnen ist, dass die Anschläge des 11. September und der umgehend ausgerufene "Krieg gegen den Terror" für die US-Wirtschaft, für die Regierung und für die Bush-Familie positive "Nebenwirkungen" hatte: "Ein Börsencrash wurde durch die massiven Regierungsausgaben für Rüstungsprogramme, durch öffentliche Hilfen für die Luftfahrtindustrie und geplante Steuersenkungen für Unternehmen zunächst einmal abgewendet." (330) Auch die Pleite des Energieriesen Enron, des größten Finanziers von Bushs Wahlkampagne, wurde angesichts der Weltlage vergleichsweise gelassen zur Kenntnis genommen: Die Nation stand Schulter an Schulter im Abwehrkampf gegen einen zum Äußersten entschlossenen Feind. Auch der Bush-Clan profitierte von der Terror-Hysterie: Im Rahmen der umgehend beschlossenen Gesetzesverschärfungen wurde auch die Geheimhaltung von Akten aus der Zeit verfügt, da Bush Senior Vizepräsident unter Reagan und George W. Gouverneur in Texas war - eine Periode, in der die Bush-Family dubiose Geschäfte mit dem Bin-Laden-Clan machte.

Auf solche zumindest fragwürdigen Kontakte hinzuweisen, galt nach dem 11.9. fast als Hochverrat. Auch die Zusammenarbeit von CIA und Bin Laden, der im US-Auftrag jahrelang Kämpfer für den Heiligen Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan rekrutiert hatte, war in den Mainstream-Medien kein Thema. Bushs Machtwort "Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen", seine Warnung vor "frevelhaften Verschwörungstheorien" wurde in den Redaktionen zum ungeschriebenen Gesetz. Dabei gab es diverse Spuren, denen im Sinne eines "investigativen Journalismus" hätte nachgegangen werden müssen: Warum wurden auf Bushs Anweisung im Januar 2001 die Ermittlungen gegen Bin Laden eingestellt? Wie kam es, dass der oberste Ermittler gegen Osama Bin Laden, John O'Neill, daraufhin seinen Job beim FBI hinschmiss und Sicherheitschef im WTC wurde (wo er am 11.9. starb)? Wusste die CIA davon, dass der mutmaßliche Anführer der Terrorkommandos, Mohammed Atta, vom pakistanischen Geheimdienst ISI im Juli 2001 100.000 Dollar erhalten hat? Wieso wurde nach dem 11.9. die heißeste Spur nicht weiter verfolgt, die zu den Profiteuren eines Insiderhandels mit den Aktien der betroffenen Fluggesellschaften hätten führen können? Woher hatten sie ihr Insiderwissen?

Dass Bröckers' Anklage gegen eine "Achse der Verdächtigen" auf Indizien und Spekulationen über deren Motive beruht, versteht sich von selbst: "Mit den USA als Supervisor, Saudi-Arabien als Finanzier und Unterstützer und Pakistans Geheimdienst ISI als lokalem Organisator hätten wir die wichtigsten ,Häfen des Terrors` beisammen, denen die Katastrophe des 11.9. entsprang." (291) Hinzu komme Israel, dessen Geheimdienst Mossad die Hintergründe des 11.9. kenne und mit diesem Wissen "über ein ideales Druckmittel verfügt, die Solidarität der USA für Israels neuen Besetzungsfeldzug zu erzwingen." (290f.) Dass Bröckers nicht nur an dieser Stelle spekuliert, wenn nicht fantasiert, ist offensichtlich. Als mildernden Umstand kann man zum einen das von Bush verhängte und von den Mainstream-Medien ergeben befolgte Denk- und Recherchierverbot. Dagegen aufzubegehren sollte schon die Selbstachtung gebieten.

Zum anderen relativieren sich die wilden Spekulationen eines journalistischen Einzelkämpfers durch die Tatsache, dass die über gigantische Apparate verfügende Gegenseite nicht nur bewusst auf Beweise für ihre Verschwörungsthesen verzichtet, sondern diese auch noch zur Grundlage für militärische Abenteuer nimmt. Wie sagte der prominente britische Rechtsanwalt Anthony Scrivener zum Beginn des Afghanistan-Krieges: "Es ist ein ernüchternder Gedanke, dass man zur Strafverfolgung eines Ladendiebs bessere Beweise braucht als dazu, einen Weltkrieg anzufangen." (98)

Js.

Mathias Bröckers: Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9., Frankfurt am Main (Zweitausendeins) 2002, 361 Seiten,
12,75 EUR