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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 465 / 20.9.2002

"UN = Milosevic"

Albanische Nationalisten und Vereinte Nationen im Zwist

Die Stimmung im Kosovo ist schlecht. Für die zentralen politischen Fragen im UN-Protektorat zeichnen sich schon länger keine Perspektiven ab. Die lang ersehnte Unabhängigkeit ist nicht in Sicht, die Übergriffe albanischer Nationalisten auf ethnische Minderheiten gehen weiter und in der Wirtschaft blüht hauptsächlich das Verbrechen. Jetzt kommt es auch noch zur Konfrontation zwischen albanischen Parteien und den Institutionen der "internationalen Gemeinschaft", die die Provinz kontrolliert. Drei Jahre nach dem Einmarsch der KFOR Truppen werden aus bejubelten Befreiern auf einmal Besatzer.

Manche AlbanerInnen sehen in der UN-Verwaltung schon wieder ein brutales Unterdrückungsorgan. "Nieder mit der Diktatur!", riefen Tausende DemonstrantInnen bei Protesten in den vergangenen Wochen in der Kosovo-Hauptstadt und schwenkten wütend die roten Nationalfahnen mit dem albanischen Doppeladler. "UN = Milosevic" ist auf Schildern zu lesen. UN-Polizisten in Kampfuniform säumten die Aufzüge, die in auch an anderen Orten im Kosovo stattfanden. Dabei kam es immer wieder zu Straßenschlachten, bei denen UN-Polizisten und KFOR Soldaten Tränengas gegen Steine werfende Kosovo-Albaner einsetzten.

Ausgebrochen ist das Zerwürfnis an Verhaftungen ehemaliger UCK-Funktionäre, die bis heute zentrale Figuren der politischen Landschaft im Kosovo sind. Die UN-Polizei wirft den Kämpfern vor, in den Jahren von 1998 bis 2001 für Mord und Totschlag an albanischen Opponenten der militanten Nationalisten verantwortlich zu sein.

Bei den Verhaftungen beschränkt sich die UN-Verwaltung nicht auf kleine Fische. Im August schnappten sich die UN-Polizisten mit Rrustem Mustafa alias "Kommandant Remi" einen der gefürchtetesten ehemaligen UCK-Kämpfer. Remi soll fünf albanische Kritiker der UCK unrechtmäßig verhaftet, gefoltert und ermordet haben. Gleichzeitig wurde Ramush Haradinaj, der Chef der Zukunftsallianz für Kosova (AAK), der zweit größten UCK Nachfolgepartei, angeklagt. Allerdings nur wegen der vergleichsweise minderen Straftat der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Bereits Mitte Juni war sein Bruder, Daut Haradinaj, ebenfalls ein ehemaliger UCK-Kämpfer, zusammen mit fünf weiteren Milizionären verhaftet worden. Auch sie werden beschuldigt, nach dem Einmarsch der KFOR albanische Kritiker der UCK gekidnappt und ermordet zu haben.

Mit "Remi" und Haradinaj setzten die internationalen UN-Polizisten populäre UCK-Leute aus der ersten Reihe fest. Aber die Verhaftungswelle läuft - weniger spektakulär - schon seit einem halben Jahr. Bei einer Razzia am 6. Juli verhaftete die UN-Polizei insgesamt elf ehemalige UCK-Mitglieder. Das Crime-Team soll am 20. August vergangenen Jahres den albanischen Familienvater Hamza Hajra, seine Frau und drei ihrer Töchter erschossen haben. Die Familie war unter den UCK-Leuten verhasst und an ihrem Wohnort von der Bevölkerung isoliert, weil Hamza Hajra bis zum Frühjahr 1999 den Posten des Polizeichef von Vitina bekleidete, eine klassischer "Kollaborateur" also in den Augen der gewalttätigen Sezessionisten. Bereits im Januar fand die erste Razzia statt. Damals waren drei hohe UCK-Offiziere, darunter enge Vertraute von ex-UCK-Boss Hasim Thaci, verhaftet worden. Auch ihnen wird vorgeworfen in den Jahren vor 1999 albanische Kritiker der UCK umgebracht zu haben.

Morde an albanischen Kritikern

Der Chef der UN-Verwaltung, Michael Steiner, ist ungemein stolz auf die Verhaftungen. Sie seien ein wichtiger Schritt zur Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, betont der auf den Balkan abgeschobene ehemalige Kanzlerberater aus Deutschland. "Zero tolerance für Kriminalität ist mein Motto", warnte Steiner seine Schutzbefohlenen in einer Fernsehsendung zur Feier des dritten Jahrestages des Einmarsches der KFOR-Truppe Anfang Juli. Doch Steiners Lob des Rechtsstaates ist fadenscheinig. Denn genauer betrachtet ist das Vorgehen der UN-Polizei und der UN-Justiz sehr einseitig. Die Verhafteten werden nur wegen Übergriffen und Morden an albanischen Kritikern der UCK angeklagt. Die Vertreibung von SerbInnen und Roma aus Kosovo nach dem Einmarsch der KFOR und der Machtübernahme durch die UCK an vielen Orten bleibt dagegen bis heute weitgehend unbestraft. Das gilt auch für die Morde an mehreren hundert der Vertriebenen.

Selbst einer der maßgeblichen Stichwortgeber für die "internationale Gemeinschaft" auf dem Balkan, die International Crisis Group (ICG), kommt nicht umhin, auf diesen eklatanten Mangel hinzuweisen. In einem neuen Report stellt sie fest, dass nach dem Einmarsch der KFOR etwa 235.000 SerbInnen vor Attacken der albanischen Nationalisten aus Kosovo flüchten mussten. Dabei kam es zu zahlreichen Morden, die bis heute straflos bleiben. "Das Justizsystem war nicht fähig die Täter zu finden und zu bestrafen. Die zwei schlimmsten Attacken gegen Kosovo-Serben wurden nie aufgeklärt. Am 23. Juli 1999 wurden in Gracko, einem kleinen Dorf südlich von Pristina, 14 serbische Bauern mit AK 47 niedergeschossen als sie beim Ernten waren. (...) Am 16. Februar 2001 wurde ein von der KFOR eskortierter Konvoi ziviler Busse von Nis nach Gracanica attackiert. Elf (Serben) wurden getötet and 40 verletzt." Im zweiten Fall verhaftete die KFOR zwar vier Verdächtige, ließ sie aber wegen Mangel an Beweisen wieder laufen.

Angesichts der Unfähigkeit der 50.000 KFOR-Soldaten und mehreren tausend internationalen UN-Polizisten gegen die Übergriffe albanischer Nationalisten auf die ethnischen Minderheiten des Kosovos vorzugehen, wundert es nicht, dass diese fortgesetzt stattfinden. Offensichtlich wollen die albanischen Nationalisten nicht nur die verbliebenen wenigen Tausend Angehörige von Minderheiten aus ihren Gettos vertreiben, sondern auch die Rückkehr von Flüchtlingen ausschließen.

Im Hintergrund der Verhaftungen von ehemaligen UCK-Kadern steht also wohl ein taktisches Vorgehen. Angesichts des weitgehend Konsens in der albanischen Gesellschaft, das die ethnischen Säuberungen an SerbInnen und Roma legitim seien, muss die UN-Verwaltung die Morde an albanischen Opponenten der UCK zum Aufhänger ihrer Kampagne machen. Diese Übergriffe finden in der albanischen Gesellschaft nur bei einer lautstarken Minderheit Beifall.

UCK-Helden im Visier der UN

Der Grund für das polizeiliche Vorgehen dürfte dabei allerdings nicht nur im Bestreben der UN-Verwaltung liegen, für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Vielmehr scheint es Steiner und seiner Protektoratsverwaltung um die Ausschaltung einer bestimmten Gruppe des kosovo-albanischen Establishments zu gehen. Denn so gut wie alle Verhafteten haben eines gemeinsam. Es handelt sich fast ausnahmslos nicht nur um ehemalige UCK-Kämpfer, sondern auch um Mitglieder der UCK-Nachfolgeorganisation Kosovo Protection Corps (KPC). Das KPC sollte nach der offiziellen Demobilisierung der UCK im Herbst 1999 als Auffangbecken für die arbeitslos gewordenen Kämpfer dienen. Mit finanzieller Unterstützung der UNMIK sollte aus der KPC eine Zivilschutzorganisationen vergleichbar dem Technischen Hilfswerk werden, heiß es von Seiten der UNMIK damals. Im Selbstverständnis der meisten KPC Mitglieder stellte die mehrere tausend Mitglieder umfassende Truppe aber eher den Kern der künftigen Armee eines unabhängigen Kosovo dar.

Die Vehemenz der Auseinandersetzungen darf daher nicht überraschen. Für die albanischen Nationalisten stellen die Verhaftungen der UCK-Kader einen Angriff auf die Legitimität des bewaffneten Kampfes gegen die jugoslawische Armee, die nicht-albanische Bevölkerung des Kosovo und albanische "Kollaborateure" dar. Die von allen albanischen politischen Kräften angestrebte unabhängige Republik "Kosova" gründet auf den in der Provinz pathetisch gepflegten Mythos vom gerechten bewaffneten Kampf, der durch die Verhaftungen nun beschmutzt wird.

Unabhängigkeit vorerst ausgeschlossen

Die Organisatoren der Proteste, der Verband der Kriegsinvaliden, der Verband der Kriegsveteranen und der Verband der Familien der Märtyrer erklären, die UNMIK versuche, "Kosova an die serbisch-slawischen Besatzer zurückzugeben." Der Vorsitzende des Verbandes der Kriegsinvaliden, Oberst Sadik Halitjaha, rief vor den Demonstranten: "Es hat den Anschein, als setzten die Internationalen in Kosova die Praxis der serbischen Verbrecher fort, alle UCK-Kämpfer hinter Gitter zu bringen".

Auch Kosova-Ministerpräsident Bajram Rexhepi, der früher selbst Kommandant der UCK war, beklagt, die Verhaftungen dienten allein der Kriminalisierung des Befreiungskampfes der UCK. "Die Regierung Kosovas betrachtet diese Personen, die auf Grund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Periode des Krieges angeklagt sind, als politische Gefangene und als Geiseln des politischen Prozesses", giftet er in Richtung UNMIK und KFOR.

Rexhepi beteuert, auch er sei für einen Kampf gegen die grassierende Kriminalität. Aber die Verhaftungen richteten sich nicht gegen die Mafia, sondern gegen die Befürworter der Unabhängigkeit des Kosovo. Rexhepi warnt: "Alle, die meinen, dass mit diesen Festnahmen die Disziplinierung der führenden Persönlichkeiten des Krieges für die Befreiung Kosovas, die sich heute mit aller Energie für die Demokratisierung und die Unabhängigkeit Kosovas einsetzen, erreicht werden kann, täuschen sich. Ich möchte betonen und den kosovarischen Bürgern garantieren, dass für mich, solange ich Premierminister Kosovas bin, keine andere Lösung als die Unabhängigkeit Kosovas in Frage kommt", erklärt der Ministerpräsident.

Ganz so falsch ist die Argumentation der ex-UCKler nicht. Denn die "internationale Gemeinschaft" scheint sich - zumindest vorläufig - tatsächlich gegen die Unabhängigkeit Kosovos entschieden zu haben. Bereits in der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates wurde nach der Vertreibung der serbisch-jugoslawischen Staatsorgane durch NATO und UCK aus dem Kosovo im Frühjahr 1999 zur Enttäuschung der albanischen Nationalisten die Unabhängigkeit nicht festgeschrieben. Statt dessen wurde die zwei Millionen EinwohnerInnen zählende Provinz weiter als Teil Serbiens beziehungsweise Jugoslawiens definiert, der bis zu einer in Aussicht gestellten endgültigen Lösung weitgehende Autonomierechte zu stünden.

Bei der Entscheidung gegen die sofortige Unabhängigkeit hat im UN-Sicherheitsrat, dem zahlreiche Länder angehören, die selbst mit Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen zu kämpfen haben wie Russland, die Angst vor einem weiteren Staatszerfall auf dem Balkan eine Rolle gespielt. Hätten die albanischen Nationalisten der UCK ihr Ziel erreicht, hätte man schlecht serbischen und kroatischen Nationalisten in Bosnien-Herzegovina die Sezession verweigern können. Außerdem stand auch damals bereits die Angst vor einem Zerfall Mazedoniens auf der Tagesordnung.

So kommt es, dass auch die im Frühjahr unter der Aufsicht der Europäischen Union ausgearbeiteten Entwürfe für eine neue Verfassung für den Jugoslawien-Nachfolgestaat "Serbien und Montenegro" keine Veränderung territorialer Grenzen vorsehen. Die neue Verfassung ist zwar noch nicht beschlossen, aber eines steht fest. Gegen den erbitterten Widerstand montenegrinischer Nationalisten wird Montenegro nicht als unabhängiger Staat definiert und auch für Kosovo ist die Unabhängigkeit nicht vorgesehen.

In diesem Licht betrachtet wundert es nicht, wenn die UN-Verwaltung im Kosovo gegen die vehementesten Verfechter der Unabhängigkeit vorgeht. Denn im KPC wird nicht nur von einer künftigen "Republik Kosova" geredet, sondern für sie gekämpft. Und mehr als das: Zentrale Figuren der KPC waren am Aufbau des mazedonischen Ablegers der UCK beteiligt, der vergangenes Jahr das Nachbarland beinahe in einen blutigen Krieg gestürzt hat. So begleitete der Generalstabchef der mazedonischen UCK, Gezim Ostremi, zuvor die selbe Position im KPC. Sein Nachfolger im KPC, der verhaftete Daut Haradinaj, unterhielt ebenfalls enge Beziehungen zur mazedonischen UCK, die von Basen im Kosovo aus operierte.

Bereits im Sommer vergangenen Jahres setzte das US-Außenministerium sowohl Ostremi als auch Haradinaj auf eine Terroristenliste und verbot den beiden immer noch von der UN-Verwaltung im Kosovo bezahlten Nationalisten die Einreise in die USA. Offensichtlich ist der "internationalen Gemeinschaft" im Kosovo etwas aus dem Ruder gelaufen, was jetzt wieder eingefangen werden muss.

Boris Kanzleiter