Schurken gegen Schurken
Schlimmer kann es kaum noch kommen - dachten wir vor einem Jahr, als die US-Regierung und ihre "Koalition gegen den Terror" sich anschickten, mit einem militärischen "Kreuzzug", (George W. Bush) auf die Anschläge des 11. September zu reagieren. Wie so oft wurden wir eines Schlechteren belehrt.
Nach einem Jahr Krieg lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen: In Afghanistan starben 3.000 ZivilistInnen im Bombenhagel der Antiterroristen - Bin Laden und die Al Quaida operieren weiter. In Israel-Palästina eskaliert der Krieg und fordert Hunderte Opfer auf beiden Seiten - eine Lösung scheint weiter entfernt denn je. In allen westlichen Staaten verschärfen die Regierungen die Sicherheitsgesetze in einer Weise, die selbst konservativen, aber bürgerlich-demokratisch gesinnten Menschen die Schweißperlen auf die Stirn treiben - das Gefühl der Unsicherheit grassiert trotzdem. Der Krieg soll für mehr Stabilität sorgen - aber das Völkerrecht und multilaterale Institutionen als Garanten einer gewissen Berechenbarkeit der Weltpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg waren noch nie so machtlos wie heute.
Ist die Bilanz auch verheerend, so heißt das nicht, dass sie nicht noch schlechter werden könnte. Der angekündigte und mit Hochdruck vorbereitete Krieg der USA gegen den Irak könnte aus begrenzten Lokalkonflikten endgültig einen Flächenbrand machen. Mit aller Macht versucht die Bush-Administration, den UN-Sicherheitsrat zur Zustimmung einer Militäroperation gegen das Saddam-Hussein-Regime zu zwingen, um wenigsten ein bisschen Legitimität für den weltweit gefürchteten Militärschlag zu erhalten. Wenn er dann erfolgt, und daran scheint kein Zweifel mehr zu bestehen, wird auch dies die Eskalation kaum aufhalten. Ein irakischer Angriff auf Israel und ein entsprechender Gegenschlag sind dann genauso möglich wie die Destabilisierung wichtiger Länder wie Ägypten oder Saudi-Arabien. In jedem Fall werden im Irak Tausende sterben.
Natürlich geht es den USA bei ihrem Feldzug nicht um Menschenrechte oder Waffenkontrollen. Washington betreibt imperialistische Großmachtpolitik zur Ausweitung von Einflusssphären und zur Rohstoffkontrolle. Um es mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Ludwig Stiegler zu sagen: Die USA verhalten sich wie "das neue Rom", und Bush scheint sich als "Princeps Caesar Augustus" zu fühlen.
Doch bei der notwendigen Opposition gegen die Kriegspolitik Washingtons ist äußerste Vorsicht geboten. Schröders "deutscher Weg" bedeutet alles andere als eine Antikriegsposition. Die neue selbstbewusste "Provincia Germania" - um im Bild zu bleiben - probt den Aufstand, weil sie eigene Interessen im Mittleren Osten verfolgt. Was für die USA "Schurkenstaaten" sind - Irak und Iran - sind für Deutschland Handelspartner, welche die Aussicht auf einen eigenständigen deutschen Griff nach dem Öl eröffnen, das doch die USA so gerne kontrollieren. Und auch wenn die in Washington verbreiteten Märchen über eine angebliche akute Bedrohung des Weltfriedens durch den ausgebluteten, verarmten Irak als solche zu entlarven sind, bleibt dennoch festzuhalten, dass das Regime Saddam Husseins eine Diktatur darstellt, unter der die irakische Bevölkerung zu leiden hat. Das Schlimme ist: In der mit dem ersten Irak-Krieg 1991 angebrochenen Ära der postkommunistischen Kriege des 21. Jahrhunderts gibt es kaum mehr Ansatzpunkte für emanzipative Kräfte. Sie müssen im Widerstand gegen die Kriegstreiber aller Orten erst wieder hergestellt werden. Und dabei gilt leider nicht, dass, wenn die Nacht am tiefsten, der Tag am nächsten ist.
Wie auch immer die nächste Bundesregierung aussehen wird - "Friedenspolitik" ist von ihr nicht zu erwarten. Wie Deutschland trotz der offiziellen Ablehnung der US-Militärschläge an der Kriegsvorbereitung beteiligt ist, verrät unser Autor Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung. Seite 5