Faschismen im Vergleich
In den guten alten Siebzigern ging die Neue Linke, der Kommunistische Bund (KB) eingeschlossen, recht sorglos mit dem Wort Faschismus um. Faschismus, das war für sie nicht nur das Regime Mussolinis und die Nazi-Diktatur, sondern auch der Francismus und Pinochets Militärdiktatur. Die repressive Politik der Herrschenden in der BRD oder Italien und die Restauration nach der Nelkenrevolution in Portugal erschienen, wenn nicht als faschistisch, dann doch zumindest als Beweis fortschreitender Faschisierung. Orthodoxe "Marxisten-Leninisten" ("Mler") verteidigten derweil Dimitroffs Formel vom Faschismus als der "Diktatur des Finanzkapitals" und hielten unverdrossen an der auf katastrophale Weise widerlegten These fest, die Errichtung der faschistischen Diktatur zeige die "Schwäche der Bourgeoisie"; diese Schwäche gelte es beizeiten für die revolutionäre Erhebung zu nutzen, die vor 1922 in Italien und vor 1933 in Deutschland durch den Verrat der Opportunisten hintertrieben worden sei. Demgegenüber sah der KB die Faschisierung als vorbeugende Konterrevolution, der es durch eine demokratische Bündnispolitik zu begegnen gelte: "Demokraten, Kommunisten - einig gegen die Faschisten".
Wo sich Linke in dieser Zeit wissenschaftlich mit dem historischen Faschismus beschäftigten, taten sie das meist mit dem Ziel, eine verallgemeinernde Theorie des Faschismus zu formulieren. Die gravierenden Unterschiede zwischen den faschistischen Diktaturen in Italien und Deutschland wurden von den meisten deutschen Linken erst in den 1990er Jahren wahrgenommen - und teilweise zu Gegensätzen vergrößert. Insbesondere die Singularität des deutschen Völkermordes an den europäischen Jüdinnen und Juden ließ den italienischen Faschismus in einem vergleichsweise milden Licht erscheinen. Der bis dahin gebräuchliche Begriff "deutscher Faschismus" kam in der radikalen Linken aus der Mode, faschismustheoretische Überlegungen wurden mit Hinweis auf Dimitroff schnell als Nonsens abgetan.
Aber auch in der Wissenschaft fristet die vergleichende Faschismusforschung ein Schattendasein. Dass es sie gibt und die Beschäftigung damit lohnt, beweist der von Christof Dipper, Rainer Hudemann und Jens Petersen herausgegebene Band "Faschismus und Faschismen im Vergleich". Erschienen ist er in der Reihe "Italien in der Moderne" des SH-Verlages, und entsprechend ist der italienische Faschismus das am ausführlichsten behandelte Thema. In drei Aufsätzen widmen sich die Historiker Jens Petersen, Enzo Collotti und Brunello Mantelli der kontroversen historiografischen Diskussion, den sogenannten Historikerstreits. Petersen zeigt überzeugend Renzo De Felices apologetische Tendenz bei der Darstellung der Mussolini-Diktatur und das politische Motiv seiner Studien: De Felice sieht es als Aufgabe der Historiker, "die geistige Einheit der Nation" wieder herzustellen und die verhängnisvolle "kulturelle Hegemonie" der Linken zu brechen. Collotti, Autor des wichtigen Buches Fascismo, fascismi (drei Auflagen seit 1994), behandelt die Historikerdebatte über die antisemitischen "Rassengesetze" (leggi razziali) von 1938. In seinem Aufsatz widerlegt er die besonders in Deutschland verbreitete These, diese Gesetze seien "reiner Opportunismus" gewesen (so Lea Rosh und Eberhard Jäckel in ihrem Buch "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland", Hamburg 1990). Und er zeigt die zentrale Rolle Mussolinis bei der Ausarbeitung der richtungweisenden "Erklärung über die Rasse" (dichiarazione sulla razza) und die keineswegs zufällige Betonung des rassistischen Antisemitismus im Rahmen der "totalitären Beschleunigung" nach 1936. Collotti endet mit der Feststellung, "dass es gerade die judenfeindlichen Gesetze waren, mit denen das faschistische Regime den Rassismus als ideologisches und politisches Instrument vervollständigt hat".
Brunello Mantelli, Autor einer lesenswerten "Kurzen Geschichte des italienischen Faschismus" (Berlin 1998; vgl. auch ak 416), zeigt zunächst die Folgen von De Felices selektiver Quellenauswahl. Im fünften Band von De Felices Mussolini-Biografie, Mussolini l'alleato, in dem es um das Bündnis mit Nazi-Deutschland geht, stünden immer wieder "die seelischen Befindlichkeiten des Porträtierten" im Mittelpunkt; "Äußerungen seines Titelhelden sind für De Felice in den meisten Fällen gleichbedeutend mit politischen Entscheidungen", kritisiert Mantelli. Sekundärliteratur und deutsche Quellen, die Hitlers Verbündeten als willigen Komplizen belasten, hat De Felice dagegen weitgehend ignoriert. Bewusst hat er auch die Ereignisse der Kriegsjahre außerhalb Italiens ausgeblendet. Mantelli kritisiert das völlig zu Recht: "So wird die Tragödie eines ganzen Kontinents ... auf einen inneritalienischen Konflikt reduziert" - und die Mitschuld des Faschismus an dieser Tragödie verkleinert. Dabei war die Annäherung Italiens an Deutschland unumgänglich. Die dem Faschismus "wesenhafte Tendenz zu Expansion und Revisionismus konnte im damaligen Europa nur an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland auf Realisierung hoffen", schreibt Mantelli. Vehement kritisiert er die "in Italien weit verbreitete Unart: den Versuch, über den Vergleich mit dem Nationalsozialismus die faschistischen Verbrechen zu verharmlosen".
Eine kritische vergleichende Faschismusforschung kann dagegen sehr wohl Unterschiede herausarbeiten, ohne dem italienischen Faschismus "humane" Züge anzudichten, weil ihm die völkermörderische Radikalität des Nationalsozialismus fehlte. Das zeigt dieses lesenswerte Buch.
Js.
Christof Dipper, Rainer Hudemann, Jens Petersen: Faschismus und Faschismen im Vergleich. SH-Verlag, Köln, 1998, 276 Seiten, 34,80 EUR