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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 466 / 18.10.2002

Der Anfang vom Ende

Nach dem Rauswurf aus dem Bundestag befindet sich die PDS in der Gefahr, in den jetzt wahrscheinlich ausbrechenden internen Kämpfen und deren Eskalation zur abstoßenden Schlammschlacht definitiv unterzugehen und auseinander zu laufen.

Meinen Nachruf auf die PDS habe ich schon vor zehn Jahren geschrieben, für die Oktober-Ausgabe 1992 des Disput, Mitgliederzeitschrift der Partei. Daraus ein kleines Zitat: "Die PDS steht in Gefahr, zusammen mit den anderen Überresten der alten DDR langsam, aber unrettbar dahinzuschwinden, wenn ihr nicht der ungeheuer schwierige Schritt gelingt, sich vom Selbstverständnis und Image einer spezifischen Ost-Partei zu emanzipieren. Nur als Partei, die sich der sozialen und politischen Probleme in allen Teilen Deutschlands annimmt und sich eine gewisse Anerkennung als Interessenvertretung auch im Westen erwirbt, hätte die PDS eine Chance ... Es droht die Gefahr, an der schon die alte DDR zu Grunde gegangen ist: dass man sich - scheinbar notgedrungen - damit einrichtet, von der Substanz zu leben, und notwendige ,Investitionen` (hier im politischen und analytischen, nicht im finanziellen Sinn gemeint) und Neuorientierungen unterlässt."

Das Erstaunliche ist nicht wirklich das jetzige Wahlergebnis mit seinen katastrophalen Folgen, sondern die Tatsache, dass die PDS die DDR um immerhin jetzt schon mehr als zwölf Jahre überlebt hat. Sie hat im Bundestag überdauert, weil sie in den östlichen Bundesländern (einschließlich und vor allem Ostberlin) in einem Ausmaß expandiert hat, mit dem vor zehn Jahren wohl niemand gerechnet hatte.

Dass es sich dabei nur um eine Gnadenfrist handelte, geriet leider aus dem Blick oder kam den meisten gar nicht ins Bewusstsein. Die drei Berliner Direktmandate, die die PDS 1994 retteten und auf die auch jetzt wieder gehofft worden war, beruhten zu einem erheblichen Teil auf Leihstimmen von SPD-WählerInnen. Außerdem hat in Deutschland seit 1949 keine Partei überlebt, die ihre Bundestagspräsenz ausschließlich über Direktmandate erreichte. Und die Marge, mit der die PDS 1998 mühsam die Fünf-Prozent-Hürde überkrabbelte, kaum 60.000 Stimmen, reichte als Polster nicht aus. Schon damals war zu befürchten, dass die PDS im Osten an den Grenzen ihrer Expansionsmöglichkeiten angekommen war. Das 1998er Ergebnis im Westen, etwa 1,1 Prozent, war nach wie vor im roten Alarmbereich der Irrelevanz, was aber damals notorische Großmäuler in der Parteiführung nicht von dem Dummspruch abhielt, nun sei die Partei "auch im Westen angekommen". Es sind dieselben, die jetzt verkünden, die PDS habe schon Schlimmeres überstanden als den Rauswurf aus dem Bundestag, und die 1990 prahlten, eine Million Stimmen im Westen zu holen. Tatsächlich kam die PDS damals bundesweit überhaupt nur auf 1,1 Millionen und lag im Westen bei 0,3 Prozent.

Zweifellos haben mehrere Faktoren zum jetzigen Wahldebakel geführt. Die PDS hat rund 600.000 Stimmen verloren, ein Viertel ihrer Wählerschaft von 1998. Diese Verluste sind praktisch ausschließlich im Osten eingetreten, während die Partei im Westen auf sehr niedrigem Niveau "stabil" blieb oder sogar noch leicht zulegen konnte. Nach einer ersten Einschätzung des Infas-Instituts hat die PDS rund 150.000 WählerInnen an die SPD verloren, während mehr als 400.000 WählerInnen von 1998 diesmal der Wahl fernblieben. Nimmt man die Tatsache hinzu, dass die PDS in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie seit vier Jahren mitregiert, geradezu katastrophal einbrach und dass sie auch in Berlin, wo sie seit diesem Jahr den Senat mitträgt, deutliche Einbußen hat, so liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass Enttäuschung vieler WählerInnen über die Preisgabe des oppositionellen Anspruchs durch die Parteiführung ein wesentlicher Grund für das schlechte Abschneiden der Partei ist.

Hierzu hat in den letzten Wochen des Wahlkampfs auch die schlecht durchdachte Ankündigung der Parteispitze beigetragen, Schröder im Bundestag zum Kanzler wählen zu wollen. Die dafür anfangs noch formulierten Bedingungen verflüchtigten sich ganz schnell bis zur Unkenntlichkeit. Dass dies keine demokratisch zu Stande gekommene, von der ganzen Partei getragene Taktik war, ließ sich nicht verbergen. Offensichtlich hatten ein paar MacherInnen - angetrieben vom Größenwahn, die scheinbare Chance zur "Machtbeteiligung" auf Bundesebene nur ja nicht zu verpassen - mit ihrem Schröder-Angebot sogar viele Bundestagsabgeordnete und -kandidatInnen glatt überfahren.

Aber demokratische, gar transparente Diskussions- und Entscheidungsprozesse gehörten noch nie zu den Stärken der PDS. Die Partei hat sich von einem kleinen Kreis elitärer VordenkerInnen immer wieder auf der Nase herumtanzen lassen, letztendlich allerdings zu weiten Teilen deren politische Absichten durch passiven Widerstand so blockiert, dass auch die VordenkerInnen mit den Ergebnissen absolut nicht zufrieden sein konnten.

Spätestens die konfrontativen Positionierungen nach der Bundestagswahl machen sichtbar, dass sich in der PDS, vereinfacht gesprochen, zwei Lager gegenüberstehen, die bisher Kompromisse ausgehandelt oder jedenfalls praktiziert haben, die nun von beiden Seiten für faul und nicht mehr aushaltbar erklärt werden. SprecherInnen beider Seiten drängen auf personelle und politische Klärung, wahrscheinlich wirklich in dieser nicht gerade produktiven Reihenfolge.

Große Teile der Partei werden sich vermutlich diesem "Entweder-Oder" der LagersprecherInnen zu widersetzen versuchen, nicht nur aktiv, sondern vor allem mit den schon bewährten Mitteln des passiven Widerstands. Die Wahrscheinlichkeit spricht aber dafür, dass sich in absehbarer Zeit die "ReformerInnen", die Möchtegern-Mitregierer, die in hohem Maß für die gerade erlittene Wahlniederlage verantwortlich sind, durchsetzen werden. Dies aus einem ganz einfachen Grund: Sie werden die volle Unterstützung der bürgerlichen Medien haben, die das Ganze als einen Streit zwischen alten DogmatikerInnen und lernfähigen Kräften darstellen werden. Da aber dem Augenschein nach beide Parteilager etwa gleich stark sind, wird der Pyrrhussieg der "ReformerInnen" den Zerfall der PDS vermutlich nur beschleunigen. Und unter den Möchtegern-Mitregierern wird vielleicht ganz schnell der Wettlauf um die besten Plätze in der SPD einsetzen.

Knut Mellenthin