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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 466 / 18.10.2002

Öl und F-16

Zur Politischen Ökonomie des geplanten US-Krieges gegen den Irak

Peter Custers arbeitet für das Bangladesh People's Solidarity Center in Amsterdam. Er analysiert in seinem Beitrag die polit-ökonomischen Hintergründe der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak, insbesondere den Aspekt der US-Rüstungsindustrie sowie den der Ölwirtschaft. Der Artikel ist von ak stark gekürzt worden.

Seit Beginn diesen Jahres sind die USA mit dem Zusammentreffen zweier negativer ökonomischer Phänomene konfrontiert. Zunächst befinden sich die Aktienkurse an allen Börsen im freien Fall. Allein in den USA sind 7,6 Billionen Dollar an Kapital vernichtet worden. Einige Analysten vergleichen den Absturz des Jahres 2002 bereits mit den historischen Zusammenbrüchen der Jahre 1929 und 1987. Gleichzeitig ist das reale Wirtschaftswachstum in den USA praktisch zum Erliegen gekommen, als die US-Wirtschaft letztes Jahr in eine Rezession eintrat. Bis heute haben sich die Wachstumsdaten nicht erholt. Die US-Regierung hat unmittelbar nach dem 11. September 2001 zwar versucht, durch massive Interventionen das Vertrauen der Geschäftswelt wieder herzustellen. Doch auch heute, ein Jahr später, ist dieses Vertrauen nicht besonders ausgeprägt. Die US-Ökonomie und die Weltwirtschaft sind mehr als angeschlagen.

Darüber hinaus deutet alles darauf hin, dass die Informationstechnologien nicht mehr der Wachstumsmotor sind, der sie im Konjunkturzyklus der 90er Jahre noch gewesen sind. Ein neuer Zyklus braucht eine neue Lokomotive. Derselbe Wirtschaftssektor, der in den letzten 10 Jahren den Wachstumsprozess massiv angetrieben hatte, ist der Gefahr einer dramatischen Überproduktionskrise ausgesetzt. (NRC-Handelsblad, 15.11.2001) Angesichts der massiven Finanzprobleme gerade von Firmen aus dem Bereich der Telekommunikation ist es offensichtlich, dass die sog. "New Economy" kein verlässlicher Wachstumsantrieb mehr ist. Statt dessen mehren sich die Anzeichen dafür, dass die US-Regierung auf eine neue wirtschaftspolitische Strategie setzt: Sie greift wieder auf das Potenzial des Rüstungssektors und des Militärbudgets zur Konjunktursteuerung zurück. Diese Rückbesinnung auf den "Militärkeynesianismus" der Reagan-Ära deutet sich bereits gegen Ende der Amtszeit von Bill Clinton an. Sie zeigte sich in massiven Umschichtungen staatlicher Ausgaben in den Militärhaushalt in den Jahren 2001 und 2002. Selbst in den "schlanken" 90er Jahren betrugen die Rüstungsausgaben der USA mehr als die ihrer potenziellen Gegner zusammen. Nach dem 11. September 2001 hat Präsident Bush noch mal zusätzliche Aufstockungen bei den Militärausgaben der Jahre 2002 und 2003 auf den Weg gebracht. (Business Week, 1.10.2001) Das Militärbudget ist inzwischen auf 379 Mrd. US-Dollar angestiegen.

Rückkehr zum Militär- keynesianismus

In diesem Zusammenhang signalisiert der Kriegsplan der Bush-Administration gegen den Irak, dass sie gewillt ist, den Militärsektor wieder voll und uneingeschränkt zum Regulator der US-Konjunktur zu machen. Die US-Regierung stärkt zum einen die Rolle der US-Industrie als wichtigstem Waffenexporteur der Welt, indem sie durch einen Krieg die Qualität amerikanischer Waffen unter Beweis stellt. Sie stärkt damit auch die Wettbewerbsposition der US-Rüstungsindustrie z.B. gegen die aggressiven Exportbemühungen des Bush-Freundes und russischen Präsidenten Putin. Auf der anderen Seite können die US-Firmen auch bei einer kurzen Kriegsdauer mit lukrativen Aufträgen für Flugzeugträger, Kampfflugzeuge, Bombensysteme, elektronische Aufklärungsanlagen etc. rechnen. Ein Krieg gegen den Irak akzentuiert somit die wirtschaftspolitische Bedeutung, die die Bush-Administration dem Militärsektor bei der ökonomischen Stabilisierung zuschreibt.

Als der Irak 1990 Kuwait besetzte, bedrohte er damit sowohl die Machtbalance zwischen den Öl produzierenden und den Öl verbrauchenden Nationen, als auch die Balance unter den Öl exportierenden Staaten selbst. Kuwaits Gewicht als Ölproduzent und -exporteur ist beachtlich. Der Irak selbst nimmt unter den Ölproduzenten bereits eine Top-Stellung ein. Jede kombinierte Kontrolle über irakisches und kuwaitisches Öl hätte der irakischen Regierung einen enorm gestiegenen Einfluss auf die von der OPEC festgesetzte Ölfördermenge und damit auf die Bestimmung des internationalen Erdölpreises verschafft. Entsprechend wäre die Macht innerhalb der OPEC weiter zu Gunsten derjenigen Länder verschoben worden, die bereit wären, sich gegen die Interessen des US- und westlichen Imperialismus zu stellen. Weder die USA, noch die anderen westlichen Staaten noch ihre Verbündeten im Nahen Osten konnten dies zulassen.

Es war Saudi Arabien, das eine entscheidende Rolle dabei spielte, den USA den massiven Militärschlag gegen die irakischen Truppen in Kuwait und gegen den Irak selbst zu ermöglichen. Ausgedrückt in Produktionskapazitäten und nachgewiesenen Ölreserven ist das Saudi-Königreich die wichtigste Öl-Nation. Über viele Jahrzehnte hinweg sind die Feudalherrscher der Saud-Dynastie treue US-Verbündete gewesen. Selbst als die OPEC gegründet wurde, um die ökonomische und politische Macht der Öl produzierenden Staaten sicher zu stellen, blieb Saudi Arabien den Bedürfnissen der USA gegenüber immer aufgeschlossen. Zeitweise schien das Land als eine Art trojanisches Pferd der USA innerhalb der OPEC zu agieren. Über Saudi Arabien konnten die USA den Anstieg des Rohölpreises weiterhin begrenzen, denn das Königreich ließ sich stets dazu überreden, über eine steigende Ölproduktion den Preisanstieg zu bremsen. Die Unterstützung der USA durch Saudi Arabien hatte 1991 also sowohl eine militärische als auch eine ökonomische Bedeutung. Das Land stellte nicht seine Militärbasen zur Verfügung; es bot gleichzeitig einen Anstieg der Erdölfördermengen an und reduzierte so den Druck auf den Ölpreis. Saudi Arabien signalisierte auf diese Weise seine Bereitschaft, einen Teil der Kriegskosten mit zu tragen.

Ein anderer Faktor, der es den kuwaitischen Herrschern relativ leicht machte, im Westen Gehör zu finden, war die Bedeutung des kuwaitischen Finanzkapitals. Nach vorsichtigen Schätzungen besaß die herrschende Klasse Kuwaits im Jahr 1990 mehr als 100 Mrd. US-Dollar in Form von Kapitalanlagen und Investitionen im Ausland. Ein Teil in Form von Staatsanleihen (etwa von US- und bundesdeutschen Staatsschuldtiteln), sehr viel mehr jedoch als Direktinvestitionen in der Ölverarbeitung (Raffinerien) und anderen Sektoren (Zucker, Chemieindustrie etc.). Allein in Spanien kontrolliert die kuwaitische Investitionsbehörde zwei Drittel aller ausländischen Investitionen. Der US-Imperialismus konnte somit eine erhebliche finanzielle Unterstützung für die Kosten des Zweiten Golfkrieges von den exilierten kuwaitischen Eliten einfordern. Im Licht dieser Faktoren ist leicht zu verstehen, dass die USA unter Bush Sen. umfangreiche Ressourcen für ihren Luft- und Bodenkrieg mobilisieren konnten.

Wer kontrolliert die OPEC?

Die kuwaitische Kontrolle über die dortigen Ölvorkommen ist wieder hergestellt. Dennoch ist der westliche Zugriff auf die Ölproduktion im Nahen Osten unsicherer als 1990/91. Dies wird am anschaulichsten durch eine jüngste interne Expertise eines Mitarbeiters der Rand Corporation ( dem Pentagon nahe stehender Think Tank). Darin wird Saudi Arabien als Feind der USA bezeichnet. (Le Monde, 13.8.2002) Dies deshalb, weil das Al-Quaida-Terror-Netzwerk über saudische Institutionen finanziell unterstützt worden sein soll. Trotz der von offizieller Seite beteuerten Bündnistreue bleibt der Fakt, dass sich Saudi Arabien im Gegensatz zu 1991 diesmal weigert, den USA sein Territorium zum Truppenaufmarsch gegen den Irak zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ist bekannt, dass strategische Planspiele der USA existieren, die nicht nur von kriegerischen Operationen gegen den Irak, sondern auch gegen Saudi Arabien und den Iran ausgehen.

Sehr bemerkenswert ist auch der Umstand, wie sehr sich die USA um Russland als zukünftigen Öllieferanten bemühen. Zu Beginn der 90er Jahre, direkt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, waren die russischen Ölexporte auf sehr niedrigem Niveau. In der Zwischenzeit sind sie jedoch bemerkenswert rasch angestiegen, vor allem in den Jahren 2000 und 2001. Es haben sich eine Anzahl kapitalistischer Monopole in Russland etabliert, mit den Firmen Lukoil und Yuko an der Spitze. Einige dieser Firmen sind vertikal integriert, d.h. sie kontrollieren die gesamte Produktionskette von der Ölförderung über die Raffinerien bis zur Vermarktung an Tankstellen etc. Im März/April diesen Jahres hieß es in einem Artikel des US-Magazins Foreign Affairs, Russland habe "still, aber kontinuierlich" seine jährliche Erdölproduktion auf ein Niveau von einer halben Mio. Barrel pro Tag gesteigert. Das ist der "höchste Outputzuwachs aller Staaten der Welt". (Foreign Affairs, 3/4 2002) Auch wenn Russland einen erheblichen Teil dieses Output selbst verbraucht, bleibt das Land dennoch der inzwischen größte Ölexporteur außerhalb der OPEC. Die USA sind somit eifrig darum bemüht, die Widersprüche zwischen Russland und der OPEC zu verstärken. Solche Widersprüche wurden offensichtlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2001, als die OPEC die Produktionsquoten nach unten anpasste, um den Ölpreis auf hohem Niveau zu stabilisieren. Es erwies sich als äußerst mühselig und schwierig, auch Russland als Nicht-OPEC-Land zu einem solchen Schritt zu bewegen. (Foreign Affairs, 3.12.2001)

Doch selbst wenn Russland den USA in die Hände spielen sollte (was z.Z. eher unwahrscheinlich ist), ist die Situation für den Imperialismus nach wie vor bedrohlich. Mehrere Experten haben den Westen davor gewarnt, einen Alleingang ohne die arabischen Verbündeten zu versuchen und somit auf das Öl im Nahen Osten zu verzichten. Auch wenn die russischen Ölreserven durchaus bedeutsam sind: Die Erdölreserven des Nahen Ostens belaufen sich schätzungsweise auf ein Viertel der gesamten Weltvorräte. Allein Saudi Arabien verfügt über 10% aller Ölvorräte. Und diese Reserven werden benötigt, um dem steigenden Energieverbrauch auf der Welt begegnen zu können. Allein der Verbrauch der USA selbst macht ein Drittel des gesamten Anstiegs im Ölhandel aus. Dazu kommt die Frage nach dem zukünftigen Ölverbrauch Chinas und anderer asiatischer Staaten. Seit 1993 ist China Netto-Ölimporteur. Es importiert z.Z. 600.000 Barrel am Tag mit geschätzten 3 Mio. Barrel im Jahre 2021. Auch Japan hat jährlich eine gewaltige Ölrechnung zu begleichen. Nach Angaben der Internationalen Energy Agentur (IAE) wird der Weltölverbrauch von 72 Mio. Barrel täglich im Jahr 2001 auf 92 Mio. Barrel pro Tag im Jahr 2010 ansteigen. Selbst wenn eine ökonomische Rezession den Ölverbrauch senken würde, spricht alles dafür, dass die Konkurrenz um die Ressource Öl in Zukunft eher zunehmen wird. Die USA als einzige militärische Supermacht haben also ein immenses Interesse, mit allen Mitteln die Kontrolle über die Ölreichtümer der Welt, insbesondere über die im Nahen Osten, zu behalten.

Die Kriegspläne gegen den Irak zielen also in erster Linie darauf ab, für die USA die Unwägbarkeiten in Bezug auf die Ölvorkommen des Nahen Ostens zu verringern. Die Installation eines Regimes in Bagdad, das sich den US-Interessen gegenüber aufgeschlossen zeigt, ist dafür ein probates Mittel. Die Falken in Washington hoffen, dass eine komplette Besetzung des Irak durch US-Truppen den US-Einfluss auf die Politik der OPEC sichert und ausbaut. Daneben wäre ein Krieg auch ein deutliches Signal an die jetzigen und die zukünftigen Herrscher in Saudi Arabien, denen die US-Administration nicht mehr traut. Die Botschaft lautet, dass die USA bei Bedarf die uneingeschränkte militärische Macht hat, die Kontrolle über das Öl im Nahen Osten jederzeit wieder herzustellen, sollte irgendein Land sich den US-Interessen widersetzen oder sich allein diesem Verdacht aussetzen. Auch wenn die neue US-Militärdoktrin vom "Präventivschlag" sich scheinbar an den Irak und den Iran richtet, so darf sich auch durchaus Saudi Arabien angesprochen fühlen.

Peter Custers, Amsterdam