Neuanfang oder Ende
Die PDS muss sich als Teil eines gesellschaftlichen Projekts begreifen - von Uwe Hiksch
Die bürgerliche Presse hat die PDS in den letzten zwölf Jahren mehrere Male für tot erklärt. Doch sie lebt heute immer noch. Auch wenn die PDS durch ihr Scheitern bei den Bundestagswahlen eine schwere Niederlage erlitten hat, hat sich dadurch an ihren politischen Entwicklungsmöglichkeiten als Teil eines linkssozialistischen Reformprojektes nichts Grundsätzliches geändert.
Die PDS wird auch heute noch von einem großen Teil der westdeutschen Linken mit viel Skepsis beobachtet. Mit der Partei beschäftigen sich zwar viele Linke als kritische Kommentatoren, viel zu wenige wirken jedoch durch aktive Einflussnahme auf ihre Entwicklung als erneuerte sozialistische Partei der BRD ein. Dies führt dazu, dass sich moderne sozialistische Konzeptionen der parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräfte viel zu wenig in der programmatischen Ausrichtung der PDS wiederfinden. Auch deshalb spielt die PDS für die Schaffung einer attraktiven Alternative im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderung bisher eine untergeordnete Rolle. Für viele erscheint die PDS zwar als spannender Stichwortgeber bei Diskussionen im Bereich der Sozial- und Friedenspolitik; strategische Handlungsoptionen für die Veränderung des neoliberalen Mainstreams werden der PDS jedoch noch nicht zugesprochen.
Diese Distanz großer Teile der Linken in Westdeutschland hat auf der anderen Seite innerhalb der PDS dazu geführt, dass sie sich in den letzten Jahren immer weiter parlamentarisiert hat. Der außerparlamentarische Anspruch der PDS wurde durch eine ständig zunehmende Parlamentsfixierung immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Durch die Wahlerfolge der PDS hat sich innerhalb der Partei die Überzeugung durchgesetzt, dass die inhaltliche parlamentarische Arbeit als Grundlage für die Entwicklung der Partei völlig ausreichen würde. Das Verhältnis der PDS zu den außerparlamentarischen Bewegungen wurde damit immer mehr ein instrumentelles und ein oft von Arroganz bestimmtes. Die PDS verstand sich nicht mehr als Teil der außerparlamentarischen gesellschaftsverändernden Bewegung, sondern nur noch als parlamentarischer Ansprechpartner für solche Kräfte.
Auf nach Westen
Über die Gründe und Ursachen der Wahlniederlage hat innerhalb der PDS eine intensive Diskussion begonnen. Hierbei wird eine Reihe von Gründen, vom spektakulären Gysi-Rücktritt bis zur fehlenden Verankerung der PDS in Westdeutschland, genannt. Mit Verspätung beginnt damit die Diskussion über die programmatische und politische Ausrichtung der PDS. Diskutiert wird auch, ob und wie die bisherige Fixierung auf die Stärke in Ostdeutschland eine bessere Verankerung in Westdeutschland erschwert hat. Die Entscheidung, mit einem Spitzenteam aus vier Ostdeutschen anzutreten, hat deutlich gemacht, dass eine gesamtdeutsche mediale Darstellung von den Führungskräften der PDS als zweitrangig angesehen wurde. Diese einseitige Fixierung auf Ostdeutschland und die mangelhafte Medienpräsenz haben die PDS in der Alltagswahrnehmung als hausbacken erscheinen lassen. Gleichzeitig gelang es der Partei nur unzureichend, ihre zentralen Themen Friedenspolitik, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Vertretung der strukturschwachen Regionen (und nicht nur Ostdeutschlands!) darzustellen.
Im Westen diskutierte Themen und reale Problemlagen wurden kaum aufgegriffen. Durch die fehlende Bereitschaft der PDS-SpitzenpolitikerInnen, die PDS auch medial als grundsätzliche Opposition darzustellen und Fragen wie Antikapitalismus und Antimilitarismus als grundsätzliche Fragen gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit politischen Inhalten zu füllen, hat die Partei in den letzten Jahren an Relevanz verloren. Themen wie Antirassismus, Antworten auf die Globalisierung, Absicherung aller Lebensformen oder Drogenpolitik traten in der Außendarstellung der PDS bewusst hinter "klassische Themen" zurück. Auch die Positionen der Gewerkschaftslinken wurden, wie einige unklare Äußerungen zu den Hartz-Vorschlägen gezeigt haben, nicht ernst genommen.
Die PDS pflegt in ihrer Mehrheit eine tiefe Staats- und Regierungsfixierung, die das Oppositionsverständnis der westdeutschen Linken häufig negiert. Während aus der Geschichte der westdeutschen Linken heraus die Rolle der Systemopposition als Grundlage für die Veränderung von Gesellschaft als strategischer Schlüssel angesehen wird, hat sich die PDS - auch aus ihrer Geschichte als ostdeutsche Partei - vornehmlich auf die Strategie der Erringung von parlamentarischer Macht festgelegt. Die im Programm beschriebene Doppelstrategie aus parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition wird in der Alltagsrealität der Parteiprogrammatik nur bedingt aufgegriffen. Anders als bei den Grünen in ihrer Gründungsphase wird die Veränderung des Systems durch die Möglichkeiten von parlamentarischen Mehrheiten in der PDS viel zu hoch eingeschätzt.
Falsche Weichenstellungen
Diese strategische Ausrichtung lässt die PDS häufig als macht- und regierungsfixiert und damit gerade für die kritischen Teile der westdeutschen Gesellschaft als wenig attraktiv erscheinen, da sich - auch aus den Erfahrungen mit der Entwicklung von SPD und Grünen - eine breite Skepsis gegenüber Parteien, die sich um Regierungsämter streiten, breit gemacht hat. Notwendig ist deshalb ein radikales Umdenken. Die PDS muss sich als gesamtdeutsche sozialistische Partei wieder mehr auf ihre Wurzeln als antikapitalistische Systemopposition besinnen und durch eine klare Fixierung auf die sozialistische Opposition auf Bundesebene deutlich machen, dass sie sich für einen Kurs der neoliberalen Anpassung nicht zur Verfügung stellt.
Der bisherige Kurs der Mitte-Links-Option hat die PDS als "Westentaschenreserve" der heutigen Sozialdemokratie erscheinen lassen. Gerade in den letzten Wochen des Bundestagswahlkampfes, als die Forderungen nach "Stoiber verhindern" in der Aussage des Bundesgeschäftsführers der PDS gipfelten, die PDS könne sich vorstellen, Schröder zu wählen, war die PDS für viele kritische Wählerinnen und Wähler von den etablierten Parteien nicht mehr unterscheidbar.
Auch die Regierungsbeteiligungen der PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wirken desorientierend und zum Teil demobilisierend. Durch die intensiven Sparbeschlüsse des Senats in Berlin, erscheint die PDS ihrer Stammwählerschaft nicht mehr als Partei der sozialen und gesellschaftlichen Gerechtigkeit, sondern als Partei, die sich auch für den Abbau von sozialen Leistungen zur Verfügung stellt. Gerade im Bundestagswahlkampf wurde in vielen Bereichen deutlich, dass die sozialen Umverteilungsvorschläge der PDS nicht durchdringen konnten, da sie von den Medien und den Wählenden gerade mit dem Hinweis auf die Berliner Kürzungsorgien als unglaubwürdig bezeichnet wurden.
Das Scheitern der PDS bei den Bundestagswahlen stellt die PDS vor eine Reihe von Aufgaben, denen sie sich in den nächsten Jahren zuwenden muss. Zur Zeit werden die Differenzen in der PDS anhand der Fragen von Oppositionen, Systemveränderung und gesellschaftlicher Verankerung in außerparlamentarischen Bewegungen ausgetragen. Vorstellungen, wie die PDS als Teil einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Bewegung verankert werden kann, gibt es nur bedingt. Auch der Parteitag in Gera hat daran nichts geändert. Die vorgelegten Initiativanträge haben zum Beispiel keine ausreichende Antwort auf die Frage gegeben, welche Rolle Linke heute in den Gewerkschaften einnehmen sollen, um die notwendige Gegenmacht innerhalb der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse zu entwickeln. Auch die Einschätzungen über die Rolle der Gewerkschaften als Bestandteil des sozialdemokratischen Gestaltungsanspruches im Sinne einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit ist in beiden Anträgen unterentwickelt. Linke in der PDS und in den Gewerkschaften müssen in den nächsten Jahren Antworten geben, wie mit sozialistischen und antikapitalistischen Positionen dazu beigetragen werden kann, die immer stärker werdende Tendenz der Gewerkschaften, sich als Ko-Management zur Verfügung zu stellen, zu verhindern und stattdessen ein Verständnis von Gegenmacht zu entwickeln ist.
Wider die Parlamentsfixierung
Die PDS hat bisher noch keine ausreichende Antwort auf die Frage gefunden, welche Möglichkeiten eine sozialistische parlamentarische Kraft in einer gesellschaftlichen Situation hat, in der sich der Neoliberalismus als hegemoniales Projekt in allen größeren gesellschaftlichen Gruppen und Parteien mehrheitlich durchgesetzt hat. Deshalb greift die Vorstellung einer Mitte-Links-Option ins Leere. Auf Bundesebene stellt sich für die PDS das strategische Dilemma, dass sich die Positionen der SPD im Bereich der Sozialpolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch der Gesellschaftspolitik faktisch denen der CDU in großen Teilen angeglichen haben. Mit dem Projekt der "Neuen Mitte" hat sich in der SPD ein neoliberales Projekt der Ausrichtung der deutschen Politik auf eine aggressive Welthandelsstrategie, dem sich alle anderen Bereiche unterordnen müssen, durchgesetzt. Alle Vorstellungen, die eine Stärkung des Binnenmarktes durch die Ausrichtung der Wirtschafts- und Steuerpolitik auf eine Umverteilung der Einkommen von oben nach unten und einer damit verbundenen Stärkung der Massenkaufkraft zum Ziel haben, sind heute innerhalb der SPD marginalisiert. Für ein gesellschaftliches Reformprojekt scheidet die SPD somit faktisch aus.
Deshalb sind heute die Vorstellungen von einem politischen und ökonomischen Minimalkonsens zwischen sozialistischen und fortschrittlichen Kräften in der Gesellschaft strategisch völlig anders zu bewerten als zu einer Zeit, in der innerhalb der SPD noch rechtskeynesianische Vorstellungen hegemonial waren. Heute hat sich die SPD - mit ihrem aggressiven Kurs der Modernisierung des deutschen Kapitalismus - faktisch zu einer bürgerlichen Partei der linken Mitte entwickelt, die sich in ihrer Politikgestaltung, ihren Meinungsbildungsstrukturen und ihren Politikinhalten weitgehend dem der US-amerikanischen Demokraten bzw. New Labour aus Großbritannien angeglichen hat.
Die PDS ist derzeit - auch wegen ihrer extremen Parlamentsfixierung - in einer schweren Krise. Diese kann jedoch überwunden werden. Die PDS muss sich mit der grundsätzlichen Frage beschäftigen, ob die Möglichkeiten einer sozialistischen Partei wirklich nur an die Frage gebunden sind, ob sie fünf oder nur vier Prozent bei Wahlen bekommt, oder ob nicht gesellschaftsverändernde Projekte vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Verankerung von Inhalten und Strukturen sind, für die zwar eine parlamentarische Verankerung von strategischer Bedeutung ist, jedoch die gesellschaftlichen Relevanz nur abgeleitet beeinflusst.
Reformperspektive gewinnen
Deshalb liegt im Scheitern der PDS bei der Bundestagswahl auch eine Chance für einen radikalen Neuanfang der Partei. Besinnt sich die Partei auf ihre sozialistischen und damit systemverändernden Wurzeln, die eine klare gesellschaftsverändernde Reformperspektive bieten, dann hat die PDS gute Chancen, sich in ein stärker werdendes gesellschaftliches, dynamisches Projekt einzufügen und auch wieder mit starken Fraktionen in den Parlamenten vertreten zu sein. Gelingt es der PDS nicht, sich aus ihrer einseitigen Parlamentsfixierung zu lösen, dann ist ihre mittelfristige Zukunft - gelinde gesagt - ungewiss.
Uwe Hiksch verließ 1999 die SPD-Bundestagsfraktion und wechselte zur PDS über. Bei der Bundestagswahl am 22. September kandidierte er auf Platz 4 der thüringischen Landesliste. Auf dem Parteitag in Gera am 13. Oktober wurde er zum Bundesgeschäftsführer der PDS gewählt. Diesen Text hat er noch vor seiner Wahl verfasst.