Hitlers willige Gläubige
Goldhagens Buch über die Kollaboration der Kirchen mit dem NS-Regime
Nach seiner umstrittenen Untersuchung "Hitlers willige Vollstrecker" aus dem Jahr 1996 hat der US-amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Goldhagen erneut ein Buch vorgelegt, das für reichlich Gesprächsstoff sorgt. Thema ist das Verhältnis der christlichen Kirchen zum NS-Regime.
Das Thema ist nicht neu und wurde von der Fachwissenschaft bereits gründlich untersucht. Trotzdem gibt es immer wieder vehement und emotional geführte Diskussionen, wenn die Kollaboration der Kirchenoberen mit dem NS-Staat öffentlich thematisiert wird. Und auch dieses Mal wehren sich Kirchenvertreter gegen die von Goldhagen vorgebrachten Thesen, indem sie ihm Unwissenschaftlichkeit und Unkenntnis der Materie vorwerfen. Goldhagens Anliegen ist es vor allem, über die Verantwortung der Kirchen durch die Duldung des Holocaust zu sprechen. Diese moralische Stoßrichtung verleiht dem Werk zwar manchmal eine etwas einseitige Sichtweise, doch an seiner These von einem grundsätzlich positiven Verhältnis der Kirchen zum NS-Staat lässt sich nicht rütteln.
Tatsächlich waren die Kirchen im Dritten Reich kein Hort des Widerstandes, wie es die Kirchengeschichtsschreibung nach 1945 mit Verweis auf einige prominente Opfer und Widerständler (z.B. Karl Niemöller oder Dietrich Bonhoeffer) gern darstellte. Vielmehr kam es auf zahlreichen Ebenen und in vielen Bereichen zu gemeinsamen Aktivitäten von Kirchen und Regime. Innerhalb der evangelischen Kirche vertraten besonders die "Deutschen Christen" uneingeschränkt nationalsozialistische Positionen. Aus ihren Reihen rekrutierte sich bereits 1933 der von der Nationalsynode gewählte Reichsbischof. Im selben Jahr kam das NS-Regime auch mit der katholischen Kirche zu einer generellen Übereinkunft, die am 20. Juli 1933 mit der Unterzeichnung des Konkordats durch Papst Pius XII. besiegelt wurde. Damit waren schon im ersten Jahr der NS-Herrschaft die beiden christlichen Kirchen zumindest an ihrer Spitze in das System eingebunden; sie hatten ihren Frieden mit dem zunächst als antiklerikal beargwöhnten Staat gemacht, auch wenn der "Kirchenkampf" wegen des totalen Machtanspruchs des Regimes weiterging.
Die Gesamtheit der christlichen Gläubigen bildete zwar keinen monolithischen Block, der von nun an bedingungslos zu Hitler und seiner Politik gestanden hätte. Auf Kritik stießen allerdings vor allem die Einmischungen des Staates in innere Kirchenangelegenheiten. Ansonsten herrschte - wie bei anderen Bevölkerungsgruppen auch - große Zustimmung zu den Zielen des NS-Staates, z.B. der Wiederherstellung einer deutschen Großmacht. Trotzdem versuchte das Regime auch auf dem Gebiet der Kirchen den Einfluss der Partei- und Staatsorganisationen durchzusetzen. Um die Gleichschaltung zu erreichen, verfolgte Hitler jedoch keine offen antiklerikale Politik, sondern eine schleichende Aushöhlung der kirchlichen Autonomie durch staatliche Erlasse und repressive Maßnahmen.
Trotz dieser Spannungen stellten sich mit Kriegsbeginn die Kirchen bedingungslos auf die Seite des Staates, da sie den Kampf gegen den "jüdischen Bolschewismus" unterstützten. Mit dem in Kirchenkreisen weit verbreiteten traditionellen religiösen Antisemitismus lässt sich unter anderem erklären, warum die Kirchenvertreter nicht gegen die Vernichtung des europäischen Judentums protestierten. Dieses Schweigen fällt besonders auf, wenn man es mit den kirchlichen Protesten, z.B. des Münsteraner Bischofs von Galen, gegen die Ermordung der Insassen von Heil- und Pflegeanstalten im Rahmen der sogenannten Euthanasie vergleicht.
Goldhagen fordert von den Kirchen, sich mit diesen antisemitischen Tendenzen auseinander zu setzen, die bis weit ins Mittelalter zurück reichen. Es geht ihm dabei weniger um die von vereinzelten Kirchenleuten verübten Verbrechen und aktive Mittäterschaft bei der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden als vielmehr um die moralische Schuld durch Schweigen und unterlassene Hilfe, obwohl die Kirchenoberen genaue Informationen über den Holocaust hatten. Goldhagen gesteht zu, dass unter dem Dach der Kirchen, versteckt von Pfarrern und Gemeindemitgliedern, auch Jüdinnen und Juden den Zweiten Weltkrieg überlebten.. Allerdings betont er zu Recht, dass diese zu würdigende Hilfe im Vergleich zu der umfangreichen Zusammenarbeit mit dem Regime keine Exkulpierung bedeuten könne.
Wie schon bei "Hitlers willigen Vollstreckern" fällt in der Analyse auf, dass der Autor trotz eines berechtigten Anliegens und guter Argumente zum Teil über das Ziel hinausschießt, indem er seiner Anklageschrift gegen die christlichen Kirchen durch seine moralisierende Haltung viel an Gewicht nimmt. Statt dessen hätte eine sachliche historische Analyse dem Thema besser getan, wie es zahlreiche Darstellungen in den letzten Jahren vorgemacht hatten; diese erreichten allerdings bedeutend weniger Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit. So kommt Goldhagen das Verdienst zu, dieses Thema erneut auf die öffentliche Agenda zu bringen. Sein Buch könnte dazu beitragen, dass die Kirchen sich endgültig von dem Mythos verabschieden, sie wären die einzig wahren Widerstandsnester im Dritten Reich gewesen. Wenn man noch die Unterstützung betrachtet, die Kirchenvertreter nach dem Krieg führenden Nazis zuteil werden ließen, indem sie ihnen entweder zur Flucht ins Ausland verhalfen oder ihre Freilassung aus den alliierten Gefängnissen forderten, ist eine schonungslose Aufarbeitung des Verhältnisses zum Nationalsozialismus von Seiten der Kirchen dringend notwendig.
Alexander Neumann
Daniel Goldhagen: Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Siedler-Verlag Berlin, 356 Seiten, 24,90 EUR