In Bewegung kommen!
Die globalisierungskritische Bewegung hat ein weiteres Highlight gesetzt: Mehr als 500.000 Menschen demonstrierten am 9. November in Florenz. Es waren nicht die staatlichen Gewaltorgien, wie im Juli 2001 in Genua, durch die die "Bewegung der Bewegungen" ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte. Es war vielmehr die überwältigende und so von niemandem erwartete Beteiligung an der Abschlussdemonstration des ersten Europäischen Sozialforums (ESF).
Dass auf dieser Demonstration das Kriegsthema mit im Vordergrund stand, ist eine weitere positive Überraschung. Der näher rückende Irak-Krieg, den die Regierung Berlusconi vorbehaltlos unterstützt, hat dazu sicherlich beigetragen. Vor allem aber war es die innenpolitische Situation Italiens, die Hunderttausende auf die Straße trieb. Die Massenentlassungen bei Fiat, der Sozialabbau und Berlusconis Machenschaften gegen die ihn bedrängende Justiz - all das wirkte im hohen Maße mobilisierend.
Mit der Linkspartei Rifondazione Comunista, dem Gewerkschaftsverband CGIL, den Basisgewerkschaften Cobas oder den Disobbedienti (den "Ungehorsamen") gibt es eine Vielzahl von organisierten Kräften, die das Rückgrat der sozialen und globalisierungskritischen Bewegung in Italien bilden. Diese Kräfte haben in den Sozialforen produktive Formen der Zusammenarbeit entwickelt. Die oft geforderte lokale Verankerung der Globalisierungskritik wird in Italien vielerorts real gelebt, über Strömungsgrenzen hinweg. Rifondazione Comunista, die aus der KP hervorgegangene "Partei der kommunistischen Neugründung", erweist sich dabei zur Zeit als die offenste und produktivste Gruppierung. Ihr Vorsitzender Fausto Bertinotti traf die vorherrschende Stimmung, als er in Florenz ausrief: "Wer vom Neoliberalismus spricht, kann vom Kapitalismus nicht schweigen!" Unüberhörbar war, dass beim ESF der "anti-kapitalistische" Grundton den "anti-neoliberalen" übertönte. Und das lag glücklicherweise nicht vorrangig an den Schreihälsen der trotzkistischen Socialist Workers` Party, die mit ihrem plumpen Revolutionsgeheule ("one solution - revolution!") manch Trommelfell malträtierten. Eine Linksverschiebung in der Rhetorik ist feststellbar; auf welcher programmatischen Grundlage sich dies vollzieht, bleibt bis auf weiteres noch unklar.
Dass der Pluralismus der Linken nicht nur akzeptiert, sondern bewusst gewollt wird, ist ein Politikverständnis, für das in Frankreich die Ligue communiste révolutionnaire (LCR) steht. In bescheideneren Größenverhältnissen als in Italien erproben auch dort unterschiedliche Strömungen der Linken und der sozialen Bewegungen Formen der Zusammenarbeit. Das italienische wie das französische Beispiel sind für die deutsche Linke von größtem Interesse. Dass sie sich nicht einfach kopieren lassen, liegt nicht nur am Zustand der hiesigen Linken. Zu unterschiedlich sind auch die Regulationsmechanismen in Staat und Gesellschaft und die Traditionen sozialer Auseinandersetzung. Während das System Schröder vor allem die Gewerkschaften aktiv mit einzubeziehen versucht, setzt das System Berlusconi beim Aushebeln sozialer und demokratischer Rechte auf Polarisierung. Dabei stößt es auf Kräfte, die zur Konfrontation bereit sind und gleichzeitig versuchen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das Europäische Sozialforum in Florenz war ein Ausdruck davon.
Dass die italienische Linke nach diesem Erfolg nicht in Versuchung gerät, erst einmal Pause zu machen, ist wiederum der Regierung Berlusconi zu "verdanken". Die Verhaftung von 42 AktivistInnen wegen Bildung einer "subversiven Vereinigung" ist mehr als ein Racheakt - eine Kampfansage an die gesamte Bewegung. Wer Proteste organisiert, Straßen blockiert oder Häuser besetzt, will die "verfassungsmäßige und ökonomische Ordnung" umstürzen, findet die Rechtsregierung. Und schafft damit klare Verhältnisse.