Scharnier zwischen Subkultur und Nazi-Politik
Standardwerk zum RechtsRock in Deutschland und Europa erschienen
Als eines der wichtigsten Instrumente zur Rekrutierung rechtsradikaler und neofaschistischer SympathisantInnen ist vor allem seit Ende der 80er Jahre in der Folge der deutschen Wiedervereinigung der RechtsRock anzusehen. Im Zentrum steht dabei auch heute noch eine Skinhead-Szene, in deren Umfeld zahlreiche Bands entstanden sind.
An Deutlichkeit fehlt es den Texten der Rechtsbands nicht: sie sind gewaltverherrlichend, zutiefst rassistisch, sexistisch, antisemitisch etc. In vielen - vor allem ländlichen - Regionen haben Neonazis und Skins mit ihren musikalischen Aktivitäten durchaus so etwas wie eine kulturelle Hegemonie erreicht. Ein ausgefeiltes und aktives Netz von Plattenfirmen, Vertrieben, Skinzines, Internetseiten unterstützt diese Bemühungen und zahlreiche Klamottenläden sorgen dafür, dass eine Verbundenheit auch modisch erkennbar wird.
Fast 550 Seiten zum Phänomen RechtsRock haben Christian Dornbusch von der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf und Jan Raabe vom Verein Argumente und Kultur gegen Rechts aus Bielefeld zusammengestellt. Das von ihnen herausgegebene Buch "RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien" liefert in einer Art Lexikon ein umfassendes Verzeichnis von RechtsRock-Bands und den davon nicht zu trennenden deutschsprachigen Fanzines. Allein dieses Verzeichnis - in denen mehrere hundert Bands und Zines erfasst sind - lässt ahnen, wie tief der RechtsRock heute in einer jugendkulturellen Szene verbreitet und verankert ist. Die Recherchen im Bereich Bestandsaufnahme bewegen sich allesamt auf hohem Niveau und inhaltlich decken die AutorInnen eine breite Palette von Fragestellungen ab. Umfang und Kompetenz der AutorInnen machen das in der Reihe antifaschistischer Texte beim Unrast-Verlag erschienene Buch zu einen unverzichtbaren Standardwerk.
Die Entwicklung und Herausbildung des RechtsRock über den Zeitraum der letzten 20 Jahre werden von den Herausgebern detailliert dargestellt. In dem Beitrag "Deutschland im September" zeichnet Michael Weiss zahlreiche Aktivitäten im Zusammenhang mit RechtsRock-Konzerten nach. Dazu nimmt er sich den September 1999 vor und berichtet über Konzerte und damit verbundene Naziaufmärsche, die fast täglich kreuz und quer in der Bundesrepublik stattgefunden haben (und stattfinden). Dabei stellt er immer auch wieder Zusammenhänge zwischen derartigen Konzerten bzw. dem Konsum von RechtsRock-Bands und im Anschluss stattgefundenen Überfällen von Skins und Neonazis heraus. So berichtet er, dass die drei Angeklagten im "Guben-Prozess", kurz bevor sie drei Flüchtlinge per Auto durch die Nacht jagten, die CD Republik der Strolche von der inzwischen verbotenen Nazi-Band Landser (die sich selbst gern als Braune Musik Fraktion bezeichnete) gehört und sich richtig in Stimmung gebracht hatten. Einer der Flüchtlinge bezahlte das mit seinem Leben.
Immer wieder verweisen die AutorInnen auf die Bedeutung des RechtsRock für das Anwachsen rechtsradikaler Gruppen und Organisationen, vor allem unter Jugendlichen. Dabei wird der "Sound des Hasses" von den Neo-Nazis durchaus strategisch eingesetzt, um über die Musik leichteren Zugang zu Jugendlichen zu finden und diese dann mit rechtsradikalen und neofaschistischen Positionen ansprechbar zu machen. Zeitungen wie die Nation Europa widmeten schon Ende der 80er Jahre dieser politischen Ausrichtung der organisierten Rechten ganze Ausgaben. Die personellen Verflechtungen zwischen Kadern rechter Organisationen und der Skin- bzw. RechtsRock-Szene sind zahlreich. Von zentraler Bedeutung war das in England gegründete und später in Deutschland äußerst aktive Netzwerk Blood and Honour, das direkt aus der Skinszene entstand. "Es ist eine politisch militante Organisation, die sich kulturell definiert und deshalb im Spektrum der Jugendkultur starke Authentizität hat. So ist es Blood and Honour möglich, sein Umfeld beständig zu ideologisieren und schrittweise an die militanten politischen Strukturen heranzuführen." (S. 77) Damit stellte dieses Netzwerk eine Art Scharnier zwischen anpolitisierten und meist unorganisierten RechtsRock-Fans und Organisationen wie der NPD oder den Freien Nationalisten dar. Ein Großteil der RechtsRock-Aktivitäten lief bis zum Verbot im September 2000 über dieses Netzwerk.
Unterstützt wird diese Strategie in vielen Regionen durch weitgehend fehlende alternative kulturelle Angebote, so dass RechtsRock-Konzerte in vielen kleineren Städten als einzige Unterbrechung eines grauen Alltages wahr- und angenommen werden. Immer wieder machen die AutorInnen dabei auch klar, dass die Akzeptanz unter Jugendlichen ohne den Rassismus und den Nationalismus aus der Mitte der Gesellschaft kaum denkbar wäre. Nicht zufällig fallen das starke Anwachsen der Nazi-SympathisantInnen, eine sprunghafte Neugründung von RechtsRock-Bands und Ereignisse wie Hoyerswerda, Ro-stock-Lichtenhagen oder Solingen in die Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung. Die aus der Mitte geführte Debatte um "Asylbetrug" und der zunehmende Nationalismus der Mitte liefern sozusagen die Steilvorlage für die Aktivitäten im Umfeld von RechtsRock und Neonazis.
Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit den Frauen und Frauenbildern in der RechtsRock-Szene. Kirsten Döhring und Renate Feldmann stellen fest, dass immerhin ein Drittel der RechtsRock-Szene Frauen sind. Eine Tatsache, die bis heute weitgehend nicht wahrgenommen wird. So dominiert in der Öffentlichkeit immer noch das Bild vom Neonazi als volltrunkenem, glatzköpfigem Schläger mit Bomberjacke, Fliegerstiefeln und Baseballschläger. Dies liegt sicherlich auch daran, dass Frauen nur zu fünf Prozent an rechtsextremistischen Straftaten beteiligt sind.
Die beiden Autorinnen Döhring und Feldmann weisen darauf hin, dass sich innerhalb der extremen Rechten seit einiger Zeit vermehrt Frauen in eigenständigen Frauengruppen und - organisationen zusammenschließen. In der Skinszene hat sich z.B. der Skingirl Freundeskreis Deutschland herausgebildet und selbst in der NPD sind Frauenstammtische auf dem Vormarsch. Im Musikbereich stellen die Frauen aber - wie in den vielen anderen Bereichen des RechtsRock (Label, Fanzines, Konzertorganisatoren etc.) - eine Minderheit dar. Lediglich vier Frauenbands haben die Autorinnen seit Anfang der 90er Jahre ermitteln können, deren Selbstverständnis sie ausführlich und mit Zitaten darstellen. Auch wenn die Texte dieser Frauenbands weniger blutrünstig sind, so zeichnen rechte Musikerinnen in ihren Texten das Bild von "selbstbewussten, für nationalsozialistische Ideale kämpfenden Frauen" (S.198). Sie stehen damit ihren männlichen Kameraden in der Verbreitung rassistischer und nationalsozialistischer Ideologien in nichts nach.
In weiteren Kapiteln werden die Vertriebswege für den RechtsRock im Internet untersucht und dargestellt. Darüber hinaus wird über die internationalen Strukturen und die Situation der RechtsRock-Szenen in zahlreichen Ländern berichtet. Ein weiterer Beitrag befasst sich mit der politisch-soziologischen Einordnung der Skinheads und des RechtsRock entlang der Begriffe Szene, Stil, Subkultur oder Bewegung. Kenntnisreich stellt Liane M. Dubowy die zahlreichen Fanzines vor, die meist über Freundeskreise und rechte Platten- und Klamottenläden vertrieben werden.
Hannes Loh (Mitherausgeber von "Fear of a Kanak Planet", siehe ak 467) und Hans Wanders gehen in ihrem Aufsatz auf die Entwicklung extrem rechter Ideologien in der Dark-Wave und Black-Metall-Szene ein, stellen wichtige Bands und Texte dieser Genres vor und skizzieren die Labels und Strukturen der Szene. (Empfehlenswert dazu: Andreas Speit (Hg): Ästhetische Mobilmachung, vgl. ak 464) In diesen Musikszenen sind die Verbindungen zwischen rechten Ideologien und organisierter extremer Rechter bisher kaum ausgeprägt. Während für die Skinszene Gewalt integraler Bestandteil ist, lehnen vor allem die Dark WaverInnen physische Gewalt komplett ab. Kriegs- und Heldenverehrungen, Ästhetisierung von Gewalt, Mythen von Helden und Eliten und ein ausgeprägter Antimodernismus in Verbindung mit starken Bezügen zum Heidentum und zum Germanischen prägen diese Stilrichtungen und ihre Fangemeinden. Die Autoren sind zwar der Meinung, dass Dark WaverInnen Rassismus und Antisemitismus nicht offen propagieren, aber angesichts der Verquickung mit rechten Ideologien fordern sie eine intensive szeneinterne Auseinandersetzung.
In ihrem Aufsatz RechtsRock vor Ort vergleicht Heike Kleffner die Entwicklung und Strukturen in zwei unterschiedlich geprägten Regionen. Zum einen zeigt sie die Entwicklung der RechtsRock-Szene in dem ländlich geprägten, nördlich von Berlin gelegen Klein Bünzow. Die andere Region ist der Landkreis Lüneburg, in dessen Mitte die stark bürgerlich geprägte Universitäts- und Verwaltungsstadt Lüneburg liegt. Hier gibt es eine aktive und lebendige links-alternative Jugendszene, die auch immer wieder zu Gegenaktivitäten mobilisiert. Während im Stadtgebiet RechtsRock- und Nazi-Szene bislang wenig Fuß fassen konnten, haben sich in den umliegenden Dörfern rechte Kader eingelebt und "sind Teil der Dorfgemeinschaft" (S. 230). Hier gibt es kaum Unterschiede zur Situation im Umkreis des mecklenburgisch-vorpommerischen Klein Bünzows. Kleffner fordert daher intensive Bemühungen für eine nicht-rechte Jugendkultur. Eine Forderung, die sich sicherlich nicht nur an staatliche Stellen richtet, die finanzielle Mittel für diese Aufgabe bereitstellen müssten. Auch die Linke ist gefordert, mit kulturellen Mitteln verstärkt in den ländlichen Räumen Präsenz zu zeigen und dem RechtsRock eine emanzipatorische Alternative entgegenzustellen.
Ausführlich werden in dem Buch RechtsRock auch Gegenstrategien vorgestellt. In jeweils eigenen Kapiteln werden verschiedene Projekte und Konzepte in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aufgegriffen. Rolf Schulz betrachtet den Rechtsextremismus als Herausforderung für Schule und Unterricht, Claudia Hauck berichtet über Erfahrungen aus der außerschulischen politischen Bildung; ein ausführliches Interview mit dem HipHop-Projekt Brothers & Sisters Keepers ist ebenso enthalten wie die Auseinandersetzung um Konzepte und Netzwerke für eine Zivilgesellschaft. Auch über gewerkschaftliche Aktivitäten gegen rechts wird berichtet. Wichtig ist, dass das Modell der
akzeptierenden Jugendarbeit mit Skins und Neonazis umfänglich diskutiert wird, ist dieses Instrument doch für viele kommunal Verantwortlichen immer noch die zentrale Antwort auf die Frage, was sie gegen deren - häufig auch tödlichen - Aktivitäten unternehmen.
Für die Herausgeber Dornbusch und Raabe ist klar, dass es die eine, große Gegenstrategie nicht gibt, sondern dass "viele kleine, verschiedene Wege" (S. 318) gegangen werden müssen. Wichtig ist ihnen, den Zusammenhang von Rechtsextremismus und den Diskursen der Mitte, in denen Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen und Flüchtlinge als "Schmarotzer" dargestellt werden, zu zeigen. Denn genau Diskurse der Mitte führen zu immer mehr Entsolidarisierung innerhalb der Gesellschaft und diskreditieren soziales Denken. Erfolgreich können Strategien gegen neonazistische Strukturen daher nur sein, wenn sie sich auch gegen den latenten Rassismus und Antisemitismus im Zentrum der Gesellschaft wenden. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es sich beim RechtsRock nicht (nur) um eine problematische Jugendkultur handelt, sondern um ein gesellschaftliches Problem.
DSe, rock-links.de
Christian Dornbusch, Jan Raabe (Hg): RechtsRock, Bestandsaufnahme und Gegenstrategien, rat, Unrast Verlag, 24 Euro