"Wir wollen die Regierung stürzen"
Von der Bambule zu einer neuen Massenbewegung
Die Welt ist atemberaubend und voller Überraschungen. In Hamburg kann die politische Beobachterin gerade mit fassungslosem Staunen beobachten, wie über Nacht und scheinbar aus dem Nichts eine politische Bewegung entsteht, und das an einem Punkt, wo das niemand erwartet hätte.
Nach den letztlich kurzlebigen Sozialprotesten im Frühling diesen Jahres deutete alles auf einen trüben politischen Herbst hin, obwohl der Senat seinen brutalen Sparkurs genauso weiter verfolgt wie die inhaltliche Ausrichtung an Law-and-Order-Vorgaben. Doch dann wird Anfang November ein kleiner, inzwischen eher unpolitischer Bauwagenplatz geräumt, ein Dutzend klapprige LKWs werden zwei Tage lang durch die Stadt getrieben und alles ist anders. Der Kampf der Bambule und ihrer UnterstützerInnen geht inzwischen in die siebte Woche. 18 Demonstrationen hat es seit dem 4. November in Hamburg gegeben, mit TeilnehmerInnenzahlen zwischen einigen hundert und 8.000. Ging es am Anfang noch um das Recht der Bambule, im Karolinenviertel zu bleiben, lautet die zentrale Parole für die geplante 19. Demonstration am 21. Dezember "Wir wollen die Regierung stürzen". Und war der Senat anfänglich gewillt, die BauwagenbewohnerInnen mit Polizeigewalt aus der Stadt zu vertreiben, so sieht er sich jetzt gezwungen, über die Rückkehr der Bambule und eine Bestandsgarantie für alle Bauwagenplätze zu verhandeln.
Mehrere Faktoren dürften bei dieser Massenmobilisierung eine Rolle spielen. Zum einen ist da die unglaubliche Polizeipräsenz und die massive Einschränkung des Demonstrationsrechts. Egal, wie groß die Demonstrationen sind, die Staatsgewalt fährt auf, was sie hat. Tausende Polizisten mit gepanzerten Fahrzeugen, Wasserwerfern, Greiftrupps etc. sind andauernd im Einsatz und gehen oft mit ungeheurer Brutalität vor. Auch völlig unbeteiligte Personen werden die ganze Nacht über in Gewahrsam genommen oder verprügelt. Selbst Zivilfahnder sind Opfer ihrer prügelnden Kollegen geworden. Es ist so ein Bild der permanenten Unverhältnismäßigkeit entstanden, das mit der Zeit auch in den bürgerlichen Medien zu einer differenzierteren Berichterstattung geführt hat.
Obwohl die Demonstrationen bisher alles andere als militant waren, ist bis heute jede Demo-Route durch die Innenstadt verboten worden. Obwohl selbst Polizei und Verfassungsschutz von einer weitgehend friedlichen Lagebeurteilung ausgehen, beharrt die Innenbehörde auf politisch bestellten Berichten über angebliche Verwüstungsaktionen in den Einkaufsmeilen der Innenstadt. Für die bürgerliche Öffentlichkeit schält sich immer häufiger das Bild eines blutrünstigen und durchgeknallten Innensenators Schill heraus, der die Polizei und öffentliche Mittel für seinen Privatkrieg instrumentalisiert.
Die unnachgiebige Härte des Senats gegenüber der Bambule ist sehr schnell als Angriff auf abweichendes Verhalten generell wahrgenommen worden. Damit sind auch Anknüpfungsmöglichkeiten für all die Szenen und Bereiche entstanden, die bisher den sozialen Protest in der Stadt getragen haben. Die Vertreibungspolitik des Senats gegenüber der Bambule ist als weiterer Ausdruck einer zutiefst reaktionären Umsteuerung in der Sozialpolitik verstanden worden. Andere Formen der Lebensgestaltung und des Wohnens sollen nicht integriert, sondern repressiv ausgegrenzt werden.Diese Botschaft ist ganz offensichtlich von vielen Menschen - auch ohne bisherige politische Praxis - als Angriff auf ein Menschenrecht, als Angriff auf liberale Grundpositionen oder auch direkt als Angriff auf sich selbst wahrgenommen worden.
Die gemeinsame Klammer zur Sozialpolitik stellt sich vor allem über das Thema Ausgrenzung her, bzw. über die Law-and-order-Ausrichtung in der Sozialpolitik. Es ist der Widerstand gegen die Normalitätsfantasien des Senats, der die Kämpfe der Bambule mit den Protesten gegen geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, der Schließung von MigrantInnen- oder Frauenprojekten, mit den Brechmitteleinsätzen gegen vermeintliche Drogendealer oder auch mit der Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit verbindet.
Sehr schnell ist über kleine informelle organisatorische Kerne eine szeneübergreifende Bündnisarbeit zwischen Autonomen, AktivistInnen des Sozialprotestes und auch GewerkschafterInnen gestartet worden, die trotz aller Schwierigkeiten und Vorbehalte ein gemeinsames Agieren bis in den Gewerkschaftsbereich möglich gemacht hat. Trotz eines massiven politischen Störfeuers im Vorfeld hat das "Bambule-Spektrum" am 5. Dezember an der großen Gewerkschaftsdemonstration "Aufstehen für eine solidarische Stadt" teilgenommen.
Der Ruf "Viva Bambule" bezieht sich inzwischen längst nicht mehr auf einen oder auch mehrere Bauwagenplätze, sondern auf einen allgemeinen Protest gegen eine auf allen gesellschaftlichen Ebenen durch und durch autoritäre und spießige Senatspolitik. Das Problem besteht zur Zeit darin, dass diese Verbreiterung und Radikalisierung der Inhalte ins Leere zu laufen droht. Während die BauwagenbewohnerInnen und ihre AnwältInnen über ihre Plätze konkret verhandeln, gibt es in Bezug auf die weitergehenden und momentan sogar dominierenden Forderungen keinen Ort, wo die politische Machtfrage gestellt werden würde: Über den Rücktritt von Schill wird genauso wenig verhandelt wie über die Rücknahme der geschlossenen Unterbringung oder des Brechmitteleinsatzes.
So sehr sich die Inhalte der Bewegung verbreitert haben, so sehr sind die bisher auf der Ebene einer Demo-Parole wie "Schill muss weg" stehen geblieben. Dieser Slogan ist zwar griffig, bedeutet inhaltlich aber auch eine Sackgasse: Schließlich gibt es in der Diskussion um Sicherheit, Law-and-Order und autoritäre Formierung der Sozialpolitik einen offenen Schulterschluss von Schill, der CDU, der SPD und selbst Teilen der Grünen. Der Verzicht auf deutliche inhaltliche Forderungen macht es rot-grün umso leichter sich als einzig denkbare Alternative ins Gespräch zu bringen.
dk