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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 468 / 20.12.2002

Ökokatastrophe an der Küste Nordspaniens:

Selbstorganisation von unten - Zynismus von oben

Die Havarie des Öltankers
Prestige vor der nordspanischen Atlantikküste stellt nicht nur eine ökologische Katastrophe in bisher ungekannten Ausmaßen dar. Das Unglück führt auch zu unkalkulierbaren sozialen Auswirkungen und entwickelte sich zu einer offenen politische Krise, die die Legitimation sowohl der von der konservativen Partido Popular (PP) gestellten Regionalregierung Galiciens als auch der Regierung in Madrid in Frage stellt.

Am 13. November gab der 1976 gebaute und nur mit einfachen Außenwänden ausgestattete Öltanker Prestige 28 Seemeilen vor der galicischen Küste eine Notmeldung ab, weil acht Meter hohe Wellen ein Leck in den Schiffsrumpf geschlagen hatten. Beladen war er mit 76.973 Tonnen Heizöl. Nach abenteuerlichen Schleppmanövern brach am 19. November der Schiffsrumpf entzwei, die beiden Teile sanken 3.500 Meter tief. Die politisch Verantwortlichen weigerten sich tagelang, von einer Ölpest zu sprechen. Entgegen ihren Behauptungen zerklumpte das für den Transport erwärmte Heizöl angesichts der Wassertemperatur von 2,6°C auf dem Meeresgrund nicht. Der Wasserdruck führt vielmehr zu immer neuen Bruchstellen, aus denen täglich mehr als 100 Tonnen Heizöl auslaufen.

Angesichts der sich noch in den Tanks der Prestige befindenden 60.000 Tonnen Heizöl wird es so voraussichtlich monatelang zu immer neuen Ölteppichen auf der Meeresoberfläche kommen, die wertvolle Ökosysteme (darunter viele Nationalparks und Schutzzonen vor allem für Meeresvögel) der Küsten Galiciens, Asturiens, Kantabriens und des Baskenlands sowie auch Portugals und Frankreichs dauerhaft zerstören. Der hohe Schwefelgehalt sowie die außergewöhnlich schnelle Ausbreitung und Verteilung des Heizöls erhöht die zerstörerische Wirkung der Wasser-Öl-Emulsion, die Fische, Meeresfrüchte, Meeressäugetiere, Meeresvögel, Krustentiere sowie die Wasser- und Küstenvegetation tötet, vergiftet und genetisch manipuliert. Die ökonomischen Schäden für den Fischfang, für die Ernte von Meeresfrüchten sowie für den Tourismus belaufen sich auf mindestens 400 Millionen Euro.

Ökologisches Desaster

Das letzte große Tankerunglück an der Küste Galiciens ereignete sich 1992, als dort aus der Aegean Sea 80.000 Tonnen Öl ausliefen. Im Januar 2001 verwandelte sich ein mit 55.000 Tonnen Flüssiggas beladener algerischer Tanker in eine tickende Zeitbombe. Nur im letzten Augenblick konnte eine Explosion abgewendet werden. Gegenwärtig planen spanische Energiekonzerne den Bau von mehr als einem Dutzend neuer Flüssiggaskraftwerke. Das Gas kommt aus, z.T. konzerneigenen, Gasverflüssigungsanlagen, u.a. in Ägypten, Puerto Rico und Nigeria. Vor diesem Hintergrund dürfte die jetzt angesichts des Prestige-Unglücks auf einem bilateralen Gipfel zwischen Frankreich und Spanien Anfang Dezember erhobene Forderung, Öl- und Gastankern, die mehr als 15 Jahre alt sind und/oder keine Doppelwände besitzen, den Eintritt in die 200-Meilen-Zone zu verweigern, wohl bald zur Makulatur werden.

Tankerunglücke wie die vor der galicischen Küste haben ihre eigene Logik. Von den 7.230 Öltankern auf der Welt, die mit ihren insgesamt 350 Mio. Bruttoregistertonnen jährlich etwa 1,2 Mrd. Tonnen Rohöl bzw. Raffinerieprodukte transportieren, haben nur 2.077 doppelte Außenwände. Von 1970 bis 2002 erlitten mehr als 1.500 Öltanker Unfälle, bei denen ungefähr fünf Mio. Tonnen Öl ausliefen. Der "Schrottdampfer" Prestige fuhr unter der Flagge der Bahamas, war offiziell Eigentum eines Liberianers und wurde von einer griechischen Reederei verwaltet. Er transportierte russisches und litauisches Öl und war auf dem Weg nach Singapur.

Inzwischen beschäftigt es spanische Gerichte, warum es mehr als 14 Stunden dauerte, bis die Prestige aus der Gefahrenzone des Küstenbereichs geschleppt wurde. Ein schnelleres Eingreifen hätte das Auslaufen größerer Ölmengen möglicherweise verhindert. Am Abend des 13. November dauerte es zunächst fast vier Stunden, bis das Schlepperunternehmen Remolcanosa, das von der Seerettungszentrale alleine mit der Bergung der Prestige beauftragt worden war, von der griechischen Reederei per Fax zugesichert bekam, dass sie 30 Prozent des Wertes sowohl der Ladung als auch des Schiffes als Rettungsprämie erhalten würde. Trotz 16 vergeblicher Abschleppversuche wurde der Einsatz an der Unglücksstelle anwesender Schlepper anderer Firmen bis zum nächsten Morgen teilweise aktiv verhindert. Diese Bevorzugung einer Privatfirma, die fehlende Kommunikation und Koordination aller Beteiligten sowie das Interesse an den aus der Havarie zu ziehenden Profiten dürfte entscheidend zum ökologischen Desaster beigetragen haben.

"Wo ist die Regierung?" Dies war der am häufigsten zu hörende Satz der betroffenen KüstenbewohnerInnen, die an der Passivität, Gleichgültigkeit, den Lügen und der Inkompetenz der Regional- bzw. Zentralregierung verzweifelten. Das Unglück zeigt deutlich die politische Realität des Landes. "Keine politische Autorität wusste angemessene Entscheidungen zu treffen, die Hilfsangebote anderer Länder wurden ausgeschlagen und nach dem Sinken der Prestige praktizierte die PP einen politischen Autismus, indem sie Tatsachen leugnete und eine effektive Zensur garantierte", kritisiert das linke Wahlbündnis Izquierda Unida.

Tatenlosigkeit
und Unvermögen

Fast drei Wochen lang organisierten Gemeinden, Fischereigenossenschaften, lokale Unternehmen und Familien mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln allein den Schutz der Küste bzw. die Säuberung betroffener Strandzonen. Über Nacht fertigten Frauen und Männer Seebarrieren aus Plastikplanen und mit alten Decken gefüllten Säcken. Weil die nötige Ausrüstung fehlte, wurden die Ölklumpen oft mit der Hand aus dem Wasser gezogen.

Erst als die Regierung auf Grund des Legitimationsverlusts in die Bredouille geraten war, wurde die systematische Politik der Desinformation und Beschwichtigung durchbrochen. Nun wurden Armeeangehörige geschickt, Material geliefert und Hilfszahlungen an die Betroffenen angekündigt. In der ihm eigenen zynischen Selbstüberheblichkeit unterließ es jedoch Ministerpräsident Aznar in Madrid nicht, den Chef der sozialistischen Opposition zwei Stunden vergeblich auf ein Gespräch warten zu lassen, nachdem dieser ihn inständig zu einem parteiübergreifenden Pakt angesichts der Ökokatastrophe aufgefordert hatte.

Passivität und Opportunismus der PP lassen sich jedoch auch aus deren Unternehmerfreundschaften begründen: Eigentümerin das Heizöls und Auftraggeberin des Transports war das Unternehmen Crown Resources, das vom US-Multimillionär Marc Rich kontrolliert wird, der vor Jahren der Verwicklung in 51 Delikte des illegalen Rohölverkaufs und Waffenhandels verdächtigt worden war. Rich lebte einige Jahre in Spanien und ihm wurde sogar die Staatsangehörigkeit zuerkannt. Er wurde schließlich vom damaligen US-Präsidenten Clinton amnestiert, nachdem unter anderem der Schiffsbauer Fernando Fernández Tapias, ehemaliger Präsident des Verbands der galicischen Werften, zu Gunsten von Marc Rich interveniert hatte.

Fernández Tapias gehörte zu den Gründern des beim Prestige-Unglück von der staatlichen Seerettungszentrale beauftragten Schlepperunternehmens Remolcanosa. Einige Tage nach der Havarie der Prestige traf sich Fernández Tapias mit dem galicischen Regierungspräsidenten Manuel Fraga, ehemals Minister unter Diktator Franco, in dessen Jagdurlaub in der Nähe von Madrid. Sicher stießen beide auf gute Geschäfte beim Transport des Öls über die Weltmeere an, während an den Küsten Nordspaniens die Fischerfamilien angesichts der Zerstörung der Natur und ihrer eigenen Lebensgrundlagen nicht wussten, wohin mit ihrer Ohnmacht, Verzweiflung und Wut.

Stefan Armborst