Dr. Seltsam oder wie Linke lernten die Bombe zu lieben
Während die christlichen Prediger ihre bewährten Textbausteine zu den immer gleichen Weihnachtsbotschaften von "Nächstenliebe" und "Frieden auf Erden" zusammenfügen, bereiten die den "christlichen Werten" verpflichteten Mächtigen der westlichen Welt zielstrebig den Krieg gegen den Irak vor. Vermutlich schon in wenigen Wochen soll der Feldzug beginnen.
Dessen Ziel ist, anders als 1991, der Sturz des Saddam-Regimes und die Einsetzung einer den imperialistischen Interessen aufgeschlosseneren Regierung. Das wird ohne die Eroberung Bagdads und eine dauerhafte Besetzung des ganzen Landes nicht möglich sein - und Opfer in einer Zahl mit sich bringen, die jene des ersten Irak-Kriegs (mindestens 150.000 Tote) um ein Mehrfaches übersteigen wird. Und das auch, wenn der in US-Regierungskreisen offen erwogene Einsatz von Atomwaffen gegen "Schurkenstaaten" in diesem Fall verworfen werden sollte.
Protest und Widerstand gegen diese wahnwitzigen Pläne regen sich nicht nur in Europa, wo die mehr als 500.000 DemonstrantInnen von Florenz ein deutliches Zeichen gesetzt haben. Auch in den USA formiert sich eine unerwartet breite Friedensbewegung: In Washington, San Francisco und zahlreichen kleineren Städten demonstrierten Ende Oktober Hunderttausende gegen die Kriegspläne der Bush-Regierung, beflügelt durch den Slogan "Regime change begins at home". Auch innerhalb der US-Gesamtbevölkerung wächst die Ablehnung eines Angriffs, der unabsehbare Folgen, nicht nur für den Nahen und Mittleren Osten, mit sich bringen würde. Während selbst CIA-Chef George Tenet vom Irak keine unmittelbare Gefahr ausgehen sieht, arbeiten die maßgeblichen Strategen mit aller Macht auf eine Eskalation hin.
Zur selben Zeit führen Teile der deutschen Linken eine geradezu aberwitzige Debatte über Vor- und Nachteile des bevorstehenden Krieges. So hat sich die Berliner Wochenzeitung Jungle World darauf spezialisiert, antimilitaristische Linke als Handlanger Saddams und Bin Ladens zu denunzieren. Auch das nach dem 11. September 2001 von den Jungle-KämpferInnen angestimmte Loblied auf den "zivilisatorischen Vorsprung" des westlichen Kapitalismus wird um neue Strophen ergänzt. Besonderen Schutz gegen "antiamerikanische" Kritik erfahren die USA, das "Symbol der kapitalistischen Modernisierung" schlechthin. "Wo`s eine solche Linke gibt, braucht's keine Rechte mehr", schreibt Robert Kurz über den "Scheindiskurs", den die Jungle-World-Redaktion zum Thema "War and peace" veranstaltet. Den LeserInnen der Zeitung blieb diese Kritik ebenso vorenthalten wie das ähnlich argumentierende Schreiben, mit dem unser Autor Bernhard Schmid seine langjährige Mitarbeit an der Jungle World für beendet erklärte.
In der Redaktion der wichtigsten Zeitung des antideutschen Lagers, konkret, sorgte derweil der Herausgeber für klare Verhältnisse: Er feuerte seinen Politikredakteur Jürgen Elsässer, der deutlich gegen den drohenden "Präventivkrieg" und den "faktenresistenten Meinungsterror" der US-Propaganda Stellung bezogen hatte. Nach seinem Rauswurf polemisierte Elsässer in der Berliner Tageszeitung junge Welt gegen seine bisherigen antideutschen Weggefährten: "Mitmacher sind`s. Einheizer, Antreiber - Lumpenintelligentsia eben, Fishermen." Späte Einsichten! Der antideutsche Blickwinkel kann nur zu schlimmen Verzerrungen der Wirklichkeit führen: Da wird Saddam zum "Wiedergänger Hitlers", der palästinensische Selbstmordattentäter zum verkleideten "SS-Mann" und der "islamische Faschismus" zur Fortsetzung des Nazismus, der die von den Deutschen begonnene Ausrottung der Juden vollenden würde, wenn man ihm nicht mit allen Mitteln entgegenträte.
Bei allem zur Schau gestellten Radikalismus finden sich die Antideutschen damit an der Seite der CDU/CSU wieder: Gemeinsam kritisiert man den "Antiamerikanismus" und die "Nachlässigkeit" der rotgrünen Regierung im weltweiten Anti-Terror-Kampf - und das in einer Situation, in der Schröder und Fischer längst auf die Unterstützung der USA auch im Krieg gegen den Irak umgeschwenkt sind. Anti-Deutschtum und Internationalismus schließen sich gegenseitig aus. Die antimilitaristische Mobilisierung wird nur ohne und gegen die Antideutschen möglich sein. Seite 4-10