Unser Mordor
Mutmaßungen über Mittelerde, Helden und die Linke
"Kommst du auch mit?" "Super, ich bestell dann mal zehn Karten". "Und dass wir ja pünktlich sind, ich will den auf keinen Fall verpassen." "Kauf du dann schon mal Bier und Popcorn". Szenen der Aufregung und der quasi kindlich-vorweihnachtlichen Freude auf einen kollektiven Kino-Gang in einem linken bis linksradikalen Wohnprojekt. Objekt der Begierde: "Der Herr der Ringe, Teil II - Die zwei Türme"
Vier Stunden später, in der Kneipe: "Ich find' ja immer Legolas am tollsten". "Aber im Buch kommen die Elben nicht nach Helm's Klamm". "Wie war das jetzt: Bleibt Arwen bei Aragorn, oder nicht?" "Na ja, ein bisschen viel Schlachtengetümmel, aber geil gemacht." "Wie hieß nochmal der Bruder von Boromir?" usw.usw. Und so wird bestätigt, was eigentlich seit einem Jahr, seit der Premiere von "Herr der Ringe I - Die Gefährten" bekannt war: Erstaunlich viele Linke haben die Ringe-Trilogie gelesen, oft mehrmals, manchmal gar verschlungen. Den ersten Teil der Film-Version haben auch (fast) alle gesehen. Der (kollektive) Spaßfaktor ist enorm, und hoffentlich sind die 12 Monate bis zum dritten Teil bald um (aber man kann ihn sich ja schon mal aus dem Internet runterladen.)
Linke KinogängerInnen sind manchmal phänomenal. Wo sie Bücher und Zeitungsartikel hyperkritisch analysieren, sezieren und vernichtende Urteile fällen, erheben sie Filme zum Kultstatus, die bei nüchterner Betrachtung oft genug ausgesprochen reaktionär daher kommen. "Herr der Ringe II - Die zwei Türme" ist in der Beziehung wie die Buchvorlage: Eine Märchenwelt, in der es nur Schwarz und Weiß gibt. Eine Geschichte, in der Gut und Böse in einem immer währenden Schicksalskampf um die Geschicke der Erde und der Menschheit verstrickt sind. Die Figuren sind klar stilisiert wie aus einem Karl May-Roman: Aragorn, der Königssohn und Anführer, klug, stark und schön gleichermaßen, der Old Shatterhand von Mittelerde. Legolas, der Elb, schweigsam, anmutig, der edle Wilde, Winnetou (in der Gestalt von Pierre Brice). Gimli der Zwerg, das herzige Raubein, Trottel und Spaßvogel, der Sam Hawkins der Truppe.
Wie das Buch auch ist der Film eine Geschichte männlicher Helden. Es gibt nur zwei nennenswerte eigenständige Frauengestalten: Arwen, die Geliebte Aragorns, deren Rolle sich im zweiten Teil aber auf die eines weichgezeichneten Traumbildes beschränkt, und Eowen, die Königstochter von Rohan, die so gerne zum Bund und in den Krieg will, aber nicht darf (und deswegen auch sterben wird). Ansonsten sind Frauen vor allem namenlose Mütter. Neben den sexistischen reproduziert der Film auch die rassistischen Klischees des Buches: Denn Mordor tut sich mit den "wilden Südländern" zusammen, die als eine Mischung von Tuaregs, Indern und Arabern auf Elefanten durch den Dschungel Mittelerdes toben, mordend und brandschatzend selbstverständlich. Noch übertriebener als das Buch streut der Film jede Menge Auferstehungs- und Erlösermystik ein, wenn der gute Zauberer Gandalf ein ums andere Mal von den Toten zurückkehrt und sich dabei zu "Gandalf dem Weißen" wandelt. So erscheint er seinen Jüngern als gleißende Lichtgestalt, vor der sie ehrfürchtig die Knie beugen und wissen: Alles wird gut. Lediglich der fischige Gollum durchbricht die klare binäre Konstruktion von Story und Figuren. Bei ihm geht der Kampf zwischen Gut und Böse mitten durch die Person, eine darstellerische Aufgabe, die in dem Film durchaus gut gelöst wird (was dem computeranimierten Schleimbeutel gleich eine Oscar-Nominierung einbrachte).
Was treibt auch intelligente und linke ZuschauerInnen in so einen Film? Was erklärt die Zurückhaltung gegenüber offenkundig reaktionärem Müll? Mehrere Antworten bieten sich an. Zum einen ist der Film einfach besser als vergleichbare Konstruktionen aus dem Fantasy-Bereich (etwa die "Star Wars"-Episoden). Die bisherigen Folgen der Ring-Trilogie sind hervorragend fotografiert. Allein durch seine gewaltigen Bilder gewinnt der Film eine Dichte und Intensität, die schon atemberaubend ist (Mit einigem Recht hat der Rezensent der taz Neuseeland auch als den eigentlichen Hauptdarsteller ausgemacht). Die Schnitte und der letzte Schrei der Tricktechnik tun ein übriges, um dem "Herrn der Ringe" eine teilweise fesselnde Dynamik zu verschaffen. Die dreieinhalb Stunden vergehen auf jeden Fall wie im Flug. An keiner Stelle wird es in irgendeiner Weise langatmig.
Es deutet einiges darauf hin, dass es das spezifische Medium Film ist, das hier seine Macht entfaltet: Während Texte weitgehend einsam und nur intellektuell vermittelt rezipiert werden, bietet der Film das Faszinosum des bewegten Bildes, des bequemen Konsums und eben manchmal auch des kollektiven Erlebnisses. Kino-Abende sind in erster Linie sinnliche Erlebnisse, Filme wirken nicht nur über die Ansprache an die (kritische) Rationalität. Ansonsten ist es schwer zu erklären, wie zutiefst hierarchische und reaktionäre Bilder wie die eines erlösenden Heilsbringers auf so wenig kritische Distanz stoßen. Es ist ja nicht nur der "Herr der Ringe", der damit operiert, sondern z.B. auch ein postmoderner Kultfilm wie "Die Matrix".
Die Popularität des "Herrn der Ringe", sowohl des Buches wie des Films, rührt aber wohl auch daher, dass er Sehnsüchte anspricht, von denen auch kritische Linke nicht frei sind: Auch Linke hätten die Welt gerne etwas überschaubarer, mit klaren Fronten zwischen Freund und Feind, schwarz und weiß. Und kämpfen wir nicht auch seit Menschengedenken gegen das anonyme Böse? Ist nicht "das Kapital" unser Mordor? Ein Blick in die linke Geschichtsschreibung zeigt darüber hinaus nicht nur einen permanenten Titanenkampf um "Sozialismus oder Barbarei". Es wimmelt auch von strahlenden (oder tragischen) Heldinnen und Helden, die oft genug weniger Gegenstand kritischer Solidarität, sondern eher plumpe Identifikationsfläche waren und sind. Sicherlich wird der "Herr der Ringe" von kritischen Geistern niemals in den Status eines Kultfilms gehoben werden. Aber war da nicht so ein Zucken? So ein Griff zu einem imaginären Bogen, ähnlich wie damals, als wir jede Bonanza-Folge unmittelbar danach auf der Straße nachgespielt haben? Aber diesmal bin ich der Legolas.
dk