Exponierte Visionen
Die Retrospektive der Medienkünstlerin VALIE EXPORT
Der in Versalien geschriebene, durch eine Ellipse gerahmte Name VALIE EXPORT ist ein Logo, das das Herz vieler PR-StrategInnen höher schlagen lässt, erfüllt es doch alle Eigenschaften, die einen gelungenen Markennamen ausmachen: International und dennoch für heimische Dialekte aussprechbar, geheimnisvoll und gleichzeitig einprägsam. 1967 entwickelte die Österreicherin Waltraud Höllinger für sich den Produktnamen VALERIE EXPORT und schuf damit eine Figur, die in sich bereits das Spannungsverhältnis von Kunst und Kommerz, von weiblicher Aneignung und Objektstatus repräsentiert.
Bereits in ihren frühen Arbeiten thematisiert die bekennende Feministin EXPORT die Brüchigkeit von Identität und dies zu einem Zeitpunkt als die zweite Frauenbewegung vorrangig für eine Aneignung des Subjektstatus und nicht für dessen Dekonstruktion kämpft. EXPORT ist Pionierin einer feministischen Aktions- und Medienkunst, bekannt wurde sie in den 60er Jahren im Kontext des Wiener Aktionismus und der Wiener Gruppe. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) hat in Kooperation mit der Akademie der Künste eine umfassende Ausstellung der bedeutenden österreichischen Künstlerin zusammengestellt, die noch bis zum 9. März in Berlin zu sehen ist. Der Titel der Ausstellung "Mediale Anagramme" bezieht sich auf das gleichnamige von der Künstlerin 1990 verfasste Manifest, in dem EXPORT die Prämissen und Vorgehensweisen ihrer Arbeit darstellt. Zentral für ihre Arbeit ist die Auseinandersetzung mit medialen Botschaften und Erwartungen. In ihrer Kunst geht es ihr darum, gängige Repräsentationsmuster zu zerlegen und neu zu arrangieren, um so die Konstruiertheit gesellschaftlicher Realität offen zu legen.
Ein Beispiel für diese Technik der Dekontextualisierung ist die zwischen 1972 und 82 entstandene Fotoreihe "Körperkonfigurationen": Mal sieht man die Künstlerin, wie sie sich an eine Hausecke schmiegt oder wie sie ihren Körper verrenkt, damit er mit einer Treppe korrespondiert; Auf einem anderen Foto krümmt sie sich, um als Ornament die vorgegebene Architektur zu ergänzen oder legt sich in eine Ackerfurche. Die in die Fotos reingemalten Tuschestriche betonen das jeweilige Verhältnis zwischen der Geometrie des Körpers und der Umgebung. Die Fotos erhalten so den Charakter einer Architekturskizze. In den unterschiedlichen Versuchen eins zu werden mit der Umgebung bzw. sich in Ergänzung oder in Opposition zu dieser in Wert zu setzen, zeigt EXPORT eindrucksvoll die weibliche Suche nach einem Platz im System. Die Titel der einzelnen Fotos, wie "Verletzung", "Zuhockung", "Einkreisung", "Zwiespalt" oder "Einschluss" geben Aufschluss über die schmerzhaften Stationen dieser Identitätsfindung.
Berühmt geworden ist EXPORT aber vor allem durch Straßenaktionen, wie das "Tapp- und Tastkino" (1968), als sie sich eine nach vorne offene Kiste um den Oberkörper geschnallt hatte mit der Aufforderung an die PassantInnen, ihre Brüste zu befühlen. Für Furore sorgte auch die Performance, in der EXPORT ihren damaligen Partner Peter Weibel an einer Hundeleine auf allen vieren kriechend durch Wien spazieren führte. Diese als extrem provokant empfundenen Aktionen ließen sie in kürzester Zeit nicht nur in Österreich zu einer verhassten Person werden. Als "unverschämtes Weib", "Luder" oder "Hure" beschimpft wurde EXPORT unterstützt von der heimischen Presse zur Persona non grata deklariert, Belästigungen und Todesdrohungen inklusive. Was das Wiener Spießertum damals so aus dem Konzept brachte war nicht nur die Tatsache, dass EXPORT die Normen, wie sich eine anständige Frau zu benehmen hatte, durchbrach, die besondere Provokation lag vor allem in der implizit oder explizit geäußerten Aufforderung zur Interaktion. So geben die Filmaufnahmen der Männer, die das Tastkino benutzen und nach den Brüsten greifen (bzw. vortäuschen es zu tun, denn wer weiß was in der black box wirklich vorgeht?) den Blick auf eine äußerst fragile Männlichkeit frei; Wo Aktivität und Eroberung identitätsstiftende Insignien darstellen, verwandeln sich hegemoniale Formen von Voyeurismus, wie sie in dunklen Pornoschuppen gesellschaftlich akzeptiert sind, bei Tageslicht zu unsicheren Gesten.
Suche nach Identität/en
Auch ist die Frage nach dem Subjekt bzw. Objekt der Performance nicht eindeutig zu beantworten, da das gängige Geschlechter-Koordinatennetz von aktiv/passiv nicht greift. Die daraus entstehenden Spannungen zwischen der Künstlerin und dem Publikum lassen sich heute mit der zeitlichen Distanz von über 30 Jahren nur schwer erahnen, so bleiben die in der Ausstellung gezeigten Performances im Gegensatz zu den Fotoarbeiten EXPORTs auffällig blass. Auch die Aktionen in denen EXPORT Schmerz und weibliche Identitätsfindung thematisiert, indem sie sich beispielsweise nackt über Glasscherben wälzt, mit Wachs übergießt oder sich ein Strumpfband als "Zeichen einer vergangenen Versklavung" auf den Oberschenkel tätowieren lässt, können in Zeiten, in denen per TV Superstars gesucht und Images konsequent medial produziert werden, nicht mehr schockieren. So hat die Generation der 68er zu Genüge gezeigt, wie sich radikale Impulse absorbieren und marktkonform kanalisieren lassen.
Dies ist sicherlich auch ein Grund für das Ende der Aktionskunst im klassischen Sinne. Auf die Frage, wie man heute provozieren könne, antwortet EXPORT denn auch lapidar: "Die Gesellschaft ist wie ein langes, dehnbares Gummiband." Ihre eigene künstlerische Tätigkeit erschöpft sich nicht - und das zeigt die Berliner Ausstellung - in der Aktionskunst mit der sie berühmt wurde. Konsequent dekonstruiert sie in ihren Texten, Filmen, Installationen und Fotografien die Auswirkung neuer Technologien und zeigt den Einfluss der Medien auf das alltägliche Leben. Dabei verzichtet die heute über 60-Jährige aber nicht - wie so viele andere ihrer Generation - auf politische Intervention: "Eins der wichtigsten Momente von Kunst besteht darin", so EXPORT, "gesellschaftskritische Visionen zu schaffen." Verblüffend, ja fast provozierend an der Werkschau "Mediale Anagramme" ist, dass die Künstlerin Themen, wie die Konstruktion von Geschlecht oder die mediale Inszenierung von Subjektivität, die aus dem feministischen und dem Kunst-Diskurs der 90er Jahre nicht mehr wegzudenken sind, bereits Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre aufgreift.
Nicole Vrenegor
Die Ausstellung "Mediale Anagramme" ist noch bis zum 9. März in der Berliner Akademie der Künste; Hanseatenweg 10 zu sehen (dienstags bis sonntags 11 bis 20 Uhr)