Langsam, aber sicher
Der Widerstand gegen Hartz & Co. formiert sich
Spät, aber hoffentlich nicht zu spät regt sich der Widerstand gegen die Hartz-Gesetze und den Umbau des Arbeitsmarktes. Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen sowie linksgewerkschaftliche Gruppierungen haben sich zu einem bundesweiten Aktionsbündnis zusammengefunden.
Das neu-sozialdemokratische Politikkonzept, Unangenehmes einem Kommissionswesen zu überlassen, scheint aufzugehen. Über Monate hinweg werden unterschiedliche Vorschläge in der Presse diskutiert, aber es sind zunächst alles nur unverbindliche Konzepte. Steht der Zeitpunkt des gesetzgeberischen Verfahrens und damit endlich auch ein Adressat für Proteste fest, ist schnell alles bereits Gesetz und damit (vermeintlich) vorbei. Was nun wieder an der Rürup-Kommission zur "nachhaltigen Finanzierung der Sozialversicherungssysteme" durchgespielt werden soll, ist an der Hartz-Kommission ausprobiert worden - für die Bundesregierung mit großem Erfolg.
Sozialpolitischen Experten war schnell klar: Ohne schnelle Proteste droht mit der Umsetzung der Hartz-Vorschläge der größte sozialpolitische Angriff seit Bestehen der Bundesrepublik. Das Organisieren dieser Proteste erwies sich jedoch als sehr langwierig und mühsam. Zum Teil lag das an dem Kommissionswesen selbst, zum Teil an den Charakteristika der Arbeitsmarktpolitik und zum Teil leider auch an den potenziell Betroffenen.
Das Austesten der Schmerzgrenzen der Bevölkerung und der jeweiligen Lobbys durch angeblich indiskrete Kommissionsmitglieder ist ein wichtiger Punkt, um Proteste im Keim zu ersticken. Einerseits richten diese sich "nur" gegen laut gedachte und unverbindliche Vorschläge. Andererseits hätten die GegnerInnen viel zu tun. Zur Kommissionsstrategie gehört es nämlich, die Öffentlichkeit nicht nur mit Informationen zu überschwemmen ohne wirklich zu informieren, sondern auch in schneller Abfolge unterschiedliche bis widersprüchliche Vorschläge "auf den Markt" zu werfen. Im Falle der Hartz-Kommission hat das für den potenziellen Widerstand fatale Folgen gehabt. Außer den Kommissionsmitgliedern war niemand informiert genug, um fundierten Protest formulieren zu können. Das führte über Monate hinweg zu dem lähmenden Gefühl, nun sei alles zu spät, weil der fehlende Protest als Zustimmung gewertet worden ist.
Die inhaltliche Verwirrungsstrategie wurde sehr wirkungsvoll ergänzt durch die Zusammenstellung der Kommission selbst. Zum Konzept des Kommissionswesens gehört es, alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen einzubinden. Dies ist zwar nicht demokratisch legitimiert, denn keine der vertretenen Lobbys hat ihre Entsender in die Kommission gewählt. Und doch sind den Lobbys später durch die Zustimmung ihrer VertreterInnen die Hände gebunden. Ihre einzige Möglichkeit besteht darin, darauf zu verweisen, dass der in der Kommission erzielte Konsens nicht einszueins umgesetzt werden würde - so mehrfach im Falle "Hartz" beobachtet.
Zum Konzept des Kommissionswesens gehört es nicht, diejenigen zu fragen, die betroffen sind, sondern diejenigen, die wirkungsvollen Widerstand anmelden könnten. Diese erklären sich dann selbst zu den VertreterInnen der Betroffeneninteressen. So wurden die Organisationen der Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen weder von der Kommission noch von den Gewerkschaften gefragt. Die Tatsache, dass GewerkschaftsvertreterInnen dem Konsens der Kommission zugestimmt haben, hat den Protest lange Zeit mindestens erschwert. Viele derjenigen, die heute etwas gegen die Umsetzung der Hartz-Gesetze tun wollen, meinen immer noch, die Gewerkschaften sollten doch "endlich aufwachen und Aufklärung wie Widerstand organisieren".
Hartz-Kommission: Vorbild für
neuen Politikstil
Diese spezielle Situation der Lohnabhängigen, gegen die vermeintlich eigene Interessenvertretung kämpfen zu müssen, wird zusätzlich erschwert durch Charakteristika der Arbeitsmarktpolitik: Sie hat unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Zielgruppen. Kommunen, Länder und Bund haben über Arbeitsämter, PersonalServiceAgenturen (PSA), Sozialämter und Finanzämter den Druck zur Arbeit um jeden Preis in unterschiedlicher Art neu zu organisieren. Betroffen davon sind Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen, aber auch Beschäftigte. Besonders betroffen sind in allen Bevölkerungsgruppen Jugendliche, Frauen und Ältere. Es ist offensichtlich, dass dies einen wirkungsvollen gebündelten Protest erschwert. Zunächst aber erschwert es die Voraussetzung für jeden Protest, nämlich die Information, zumal wenn die bürgerliche Presse bis zum Abwinken zu Gunsten des beliebten Bildes vom "faulen Arbeitslosen" informiert.
Innerhalb der Linken haben sich schnell sozialpolitische ExpertInnen gefunden, die die Vorschläge der Hartz-Kommission zusammenfassen und bewerten konnten. Rasch folgten aus sozialpolitisch sensiblen Gruppierungen, Vertrauenskörperleitungen und Betriebsgruppen erste Proteste. Wo bekannt wurde, was hinter den Plänen steckt, war die Empörung immer groß. Mittlerweile gehen fast täglich Proteste aus den Betrieben ein. Nur: Es sind meist Ein-Thema-Proteste aus der jeweiligen Sicht der Zielgruppe, und sie sind sehr stark davon abhängig, wie engagiert Betriebsräte oder Vertrauensleute auf Belegschaftsversammlungen, in Vertrauensstunden oder mit Flugblättern aufklären.
Eines ist bisher weder den sozialpolitischen noch den gewerkschaftlichen Experten gelungen: eine allgemein verständliche und zugleich alle Aspekte der Hartz-Gesetze umfassende Gegeninformation zu formulieren. Daran besteht immer noch Bedarf, denn erschreckend viele glauben, von Hartz nicht betroffen zu sein (Beschäftigte) oder dass es eh nicht mehr schlimmer werden kann (Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen). Nach einem Vierteljahr Diskussion um die Hartz-Vorschläge drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass frustrierend viele Lohnabhängige sich nur noch für sich selbst interessieren und in Fragen der Sozialpolitik ein Desinteresse bewusst pflegen. Vielleicht, um anschließend am Stammtisch noch besser und mehr schimpfen zu können.
Die Mühen
der Ebene
Angesichts dieser Erschwernisse ist es ein Erfolg, dass es inzwischen gelungen ist, bundesweit Protesttage zu koordinieren und dies über alle Betroffenengruppen hinweg. Ähnlich der Struktur regionaler Sozialforen bilden sich immer mehr regionale Bündnisse gegen Hartz und werden vor Ort aktiv. Darüber hinaus hat sich aus den VertreterInnen dieser Bündnisse und weiterer Gruppierungen ein bundesweites Aktionsbündnis gegen die Hartz-Folgen gegründet. Auf Grund der unterschiedlichen Ziel- wie Betroffenengruppen ruft dieses Bündnis zu thematischen Protesttagen auf und verzichtet zunächst auf einen zentralen Aktionstag.
Der 29. Januar 2003 war der "Tag der Gewerkschaften". Per email oder vor Ort wurde gegen die Beteiligung der Gewerkschaften an diesem Sozialabbau und gegen die Absegnung von Niedriglöhnen in den Tarifverhandlungen mit der Zeitarbeitswirtschaft protestiert. Viele haben in Hannover - und bei späteren Verhandlungen in Frankfurt - am Verhandlungsort für Unruhe gesorgt. Der "Tag der Gewerkschaften" wird fortgeführt, solange die PSA-Tarifverhandlungen andauern.
Am 5. Februar 2003, dem traditionellen "St. Florianstag" der Verkündung der Erwerbslosenzahlen, war der "Tag der Erwerbslosen". Vor und in Arbeitsämtern wurde gegen die unzumutbare Behandlung erwerbsloser Menschen protestiert. Am 1. April 2003 - zur bundesweit flächendeckenden Einführung der PersonalServiceAgenturen - ist der "Tag der PSA". Das Thema dieses Protesttages sind der Zwang zur Leiharbeit, Lohndumping und Niedriglöhne. PSA-Gründungen in den verschiedenen Städten sollen aber auch durch Proteste begleitet werden. Am 1. Juli 2003 ist schließlich der "Tag der SozialhilfeempfängerInnen" - ein vorläufiger Höhepunkt der Proteste. Erst nach den Erfahrungen mit Informationskampagnen und den dezentralen Protesttagen soll entschieden werden, ob die Bewegung stark genug ist für einen zentralen bundesweiten Protesttag. Es bleibt jeder/m selbst überlassen, sich in regionalen Bündnissen gegen Hartz, gegen Sozialabbau oder gar für soziale Grundrechte zu engagieren. Aber jede/r zählt!
Mag Wompel (www.labournet.de)
Infos zu Aktionen und Protesten gegen Hartz:
http://www.labournet.de/diskussion/
arbeit/realpolitik/modelle/hartz/