Verlogene Friedensengel
Einem deutschen Verlagsvertreter ist es dieser Tage passiert, dass er auf einer Konferenz des renommierten britischen Verlagshauses Blackwell in London mit stehenden Ovationen begrüßt wurde. Denn: "Deutschland blockiert den Weg zum Krieg". Nicht nur Briten unterliegen zur Zeit einem grandiosen Irrtum über die rot-grüne Irakpolitik. Auch wenn die Hauptfeinde in der momentanen Irak-Krise in Washington und London sitzen: Über die bundesdeutsche Politik sollte sich die Friedensbewegung keine Illusionen machen. Genauso verbietet sich jedes Kokettieren mit einer deutsch-europäischen Tümelei gegen "den Amerikaner".
Bundestag auf Anti-Kriegskurs" titelt staatstragend und regierungsfreundlich die Berliner tageszeitung und feiert mit kaum verhohlener Begeisterung die Wiederauferstehung von Kanzler und Außenminister als Friedensengel. Wie viele andere auch ertränken die verhinderten rot-grünen PressesprecherInnen aus der Kochstraße das letzte bisschen kritischen Verstandes in blankem Friedenspatriotismus. Dabei machen weder Schröder noch Fischer ein Hehl daraus, dass die Frage von Krieg und Frieden bei ihnen weder eine prinzipielle noch eine irgendwie moralische ist. Krieg und Frieden ist für die Bundesregierung ausschließlich eine Frage der kalkulierten Abwägung von Interessen - der "wohlverstandenen deutschen" natürlich. Und wie es in einem solchen Kalkül Sinn macht, mit "Hurra" und "Nie wieder Auschwitz" auf den Lippen Rest-Jugoslawien zu überfallen oder in Afghanistan die eine Terrorbande durch eine andere zu ersetzen, so macht es eben jetzt Sinn, die eigenen Elitetruppen in den Kasernen zu lassen, statt sie in die arabische Wüste zu schicken. Das ändert nichts daran, dass die "deutschen Interessen" weltweit militärisch verteidigt werden, im Kosovo wie am Hindukusch. Die aktuelle Bundeswehrdoktrin lässt da gar keine Missverständnisse aufkommen.
Der Interessensgegensatz gehört zum Imperialismus wie der Weihrauch zu den Katholiken. Die Kontrolle der Ölreserven, der Ölproduktion und des Ölpreises, die geopolitische Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, die zukünftige Rolle der UNO und nicht zuletzt die zukünftige politische und militärische Rolle Europas - dies sind die eigentlichen Themen hinter der Irak-Kontroverse zwischen den Regierungen in Washington, London, Paris, Berlin und Moskau. Und weil sich Pack genauso schnell verträgt, wie es sich (manchmal) schlägt, mischt Deutschland eben indirekt bei einem Irak-Krieg mit: deutsche Patriots über die Niederlande an die Türkei, deutsche AWACS-Besatzungen über der Türkei, Überflugrechte in Deutschland für die USA, deutsche Soldaten als Ersatz für abgerückte US-Einheiten in hiesigen Stützpunkten. Selbst eine direkte Kriegsbeteiligung ist für Fischer-Schröder nicht ausgeschlossen: Beide akzeptieren einen Krieg als "ultima ratio", beide akzeptieren einen Krieg mit UNO-Segen.
Wenn überhaupt, kann der Krieg nur durch eine starke, weltweite antimilitaristische Bewegung verhindert werden. Diese entsteht, und sicherlich stärkt die propagandistische Position der Bundesregierung dieser Bewegung etwa in den USA oder Britannien ganz realpolitisch den Rücken. Es ist auch richtig, dass in Sachen Irak-Krieg der Hauptfeind in Washington sitzt und George W. Bush heißt. Doch deswegen von europäischer oder gar deutscher Friedensliebe zu halluzinieren, ist sachlich und politisch voll daneben. Nicht jede/r, der/die am 15. Februar weltweit gegen den Irak-Krieg demonstriert hat, ist ein/e Antimilitarist/in. In Deutschland etwa umfasst die Phalanx der KriegsgegnerInnen auch so zweifelhafte FriedensfreundInnen wie evangelische und katholische KirchenfürstInnen, rot-grüne BellizistInnen, CDU/CSU-Hardliner wie Peter Gauweiler und Jürgen Todenhöfer und nicht zuletzt auch bekennende Nazis.
Diese Breite ist eher Ausdruck eines antiamerikanischen als eines antimilitaristischen Grundkonsenses. So verständlich das Ressentiment gegen eine US-Regierung ist, die scheinbar völlig willkürlich und skrupellos ihr eigenes Interesse zum Nadelöhr macht, durch das die Welt springen muss: Eine antimilitaristische Bewegung gegen den Irak-Krieg kann sich nicht darauf gründen, dass "der Amerikaner" Krieg führen will. Genauso wenig kann es um eine schlichte antiimperialistische Solidarität mit "dem irakischen Volk" gehen, womöglich in Gestalt des Tyrannen Saddam Hussein. Wer damit liebäugelt, sollte sich zumindest an den Giftgas-Terror Saddams gegen die irakischen Kurden oder an die Verfolgung der südirakischen Schiiten erinnern. Der drohende Irak-Krieg ist ein Krieg für die Interessen der Mächtigen in der Welt und in der Region. Er ist ein Krieg um Öl und Macht. Er ist ein Krieg von oben gegen die Bevölkerung des Iraks. Alles gute Gründe, um gegen diesen Krieg zu kämpfen. Da braucht man keine schlechten.