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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 471 / 21.3.2003

Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge?

Dokumentation

Alain Greshs hier dokumentierte Überlegungen zum Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge sind Teil eines längeren Artikels mit dem Titel "Palästina und die Bewegung gegen die Globalisierung. Ein Versuch die Grundlagen der Solidarität zu definieren." (1)

Das ist die komplexeste und sensibelste Frage. Es geht um das Schicksal von fast 4 Millionen Menschen - und nicht um ein reines politisches Problem -, wobei die Entscheidung über deren Zukunft die Entwicklung in Libanon, Syrien und Jordanien beeinflussen wird. Bei den Taba-Verhandlungen wurden wirkliche Fortschritte erzielt. Das israelische Dokument, das der Justizminister Jossi Beilin verfasst hatte, erkennt an, "dass das Problem der palästinensischen Flüchtlinge von zentraler Bedeutung in den israelisch-palästinensischen Beziehungen ist. Eine umfassende und gerechte Lösung dieser Frage wird entscheidend sein für die Schaffung eines dauerhaften und moralisch vertretbaren Friedens. Der Staat Israel erklärt feierlich sein Bedauern über die Tragödie der palästinensischen Flüchtlinge, ihr Leiden und ihre Verluste; er wird sich bei dem Bemühen, dieses vor 53 Jahren begonnene schreckliche Kapitel der Geschichte zu schließen, als aktiver Partner erweisen." Zum ersten Mal akzeptierte Israel seine Mitverantwortung an der Entstehung des Flüchtlingsproblems: "Obwohl der im Entstehen begriffene Staat Israel die Resolution 181 der UN-Vollversammlung vom November 1947 (die die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat empfiehl) akzeptiert hatte, wurde er in den Krieg und das Blutvergießen von 1948/49 verwickelt. Für beide Seiten brachte es Opfer und Leiden, darunter die Vertreibung und die Enteignung der zu Flüchtlingen gewordenen palästinensischen Zivilbevölkerung."

"Konsequenz einer gerechten Regelung des Flüchtlingsproblems, in Übereinstimmung mit der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats, muss die Umsetzung der Resolution 194 der UN-Generalversammlung sein." Es sei daran erinnert, dass diese von der UN-Generalversammlung am 11. Dezember 1948 verabschiedete Resolution vorschreibt, "dass denjenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll und dass für das Eigentum derjenigen, die sich entscheiden, nicht zurückzukehren, sowie für den Verlust oder die Beschädigung von Eigentum Entschädigung gezahlt werden soll".

Die israelische Delegation in Taba hat also zwei wesentliche Prinzipien der PalästinenserInnen akzeptiert, die Barak beim Gipfel auf Camp David im Juli 2000 abgelehnt hatte: Das Eingeständnis der Ungerechtigkeit gegenüber den PalästinenserInnen in den Jahren 1948-1950 und die Anerkennung der Resolution 194 als Lösungsgrundlage.

Von diesen Prinzipien ausgehend wurden konkrete Lösungen entwickelt. Den Flüchtlingen wurden fünf Möglichkeiten angeboten: a) Rückkehr nach Israel, b) Rückkehr in von Israel im Austausch abgetretene Gebiete, c) Rückkehr in den Staat Palästina, d) Integration in die derzeitigen Gastländer (Jordanien, Syrien u.a.), e) Umsiedlung in Drittländer (mehrere Staaten, u.a. Kanada, hatten sich bereit erklärt, größere palästinensische Flüchtlingskontingente aufzunehmen).

Die palästinensischen Vertreter haben das Recht der Flüchtlinge auf eine freie Entscheidung unterstrichen, zugleich aber wiederholt betont, dass sie den jüdischen Charakter des Staates Israel, den der Nationalrat schon 1988 bei der Unabhängigkeitserklärung des Palästinastaates anerkannt hatte, nicht in Frage stellen wollten. So gestattete es die palästinensische Seite in Taba, dass die letzte Entscheidung zur Rückkehr jeglichen Flüchtlings nach Israel in Israels Händen liegt. Israel stimmte der Rückkehr von 40.000 Flüchtlingen in einem Zeitraum von fünf Jahren zu, wobei die Palästinenser die Meinung vertreten, dass ein Angebot unter 100.000 es nicht erlauben würde, voranzukommen. Viele PalästinenserInnen verwerfen dieses Angebot von fünf Möglichkeiten und fordern das bedingungslose Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr nach Israel. Man kann lange über die Rechtmäßigkeit einer solchen Position und über die Interpretation der Resolution 194 diskutieren, aber offensichtlich sind weder die israelische Meinung noch die internationale Gemeinschaft zur Unterstützung einer solchen Lösung bereit. Einige setzen auf Veränderungen in den kommenden 50 Jahren oder mehr. Man kann sich jedoch gut vorstellen, dass bis dahin nichts mehr von Palästina übrig bleibt. Die in Taba entworfene umfassende Lösung ist ein Kompromiss zwischen dem internationalen Recht und der Realität der Machtverhältnisse - vor allem der Macht der israelisch- amerikanischen Allianz. Außerhalb dieser Wirklichkeit Überlegungen anzustellen - das tun einige nationalistische arabische bzw. islamische Gruppen, die sich für die Zerstörung des Staates Israels aussprechen, selbst wenn sie damit nicht meinen, dass die Juden "nach Hause" geschickt werden - zeugt von einer messianischen Vorstellung der Geschichte. Es sollte auch unterstrichen werden, dass das Unrecht gegenüber den PalästinenserInnen nicht durch ein anderes Unrecht gegenüber den Israelis wieder gutgemacht werden kann.

Einige Intellektuelle schlagen die Schaffung eines einheitlichen Staates, eines Bürgerstaats oder eines Staates zweier Nationen vor. Mit solchen Vorstellungen möchten sie die nationalistische und identifikatorische Kluft überwinden. Damit werden anregende und notwendige Debatten entfacht, bei denen alle, die an der Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung teilnehmen, sich einbringen können und sollen. Solche Vorstellungen sind jedoch sicher kein politisches Aktionsprogramm. Darüber hinaus erscheint die Perspektive eines Zusammenlebens von Juden und Arabern in einem einzigen Staat kurz- und mittelfristig vollkommen illusorisch angesichts des Grabens, der sich in den letzten Monaten zwischen beiden Völkern weiter aufgetan hat.

Alain Gresh

Anmerkung:

1) Aus: Courriel Nr. 367, 1.10.2002; deutsch in: Sozialistische Hefte 3, Februar 2003. Übersetzung: Attac-Deutschland. Laut redaktioneller Anmerkung in den Sozialistischen Heften wurde Greshs Artikel von Attac-Frankreich "zum offiziellen Attac-Positionstext zum Nahost-Konflikt gemacht".