Folter dipolter
Zur schleichenden Aufweichung des Folterverbots in Deutschland
"Ein Skandal ist nicht in Sicht" schrieb die taz am 19.2. zu den Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen folternde PolizistInnen. Und Monika Goetsch empörte sich in derselben Zeitung nicht über das offene Bekenntnis des Polizeivizepräsidenten zur Folter, sondern mokierte sich über "fundamentalistische Moralisten". Im Folgenden analysiert Albert Scharenberg die momentane Folter-Diskussion.
Auslöser der Folter-Debatte in Deutschland ist die Entführung und Ermordung des 11-jährigen Bankierssohns Jakob von Metzler im September 2002. Damals gab die Frankfurter Polizei rasch bekannt, dass der Betreuer des Jungen, Magnus G., im Verdacht stehe, der Entführer zu sein. Magnus G. schwieg beharrlich zu den Vorwürfen. Schließlich aber führte er die Polizei zur Leiche des Vermissten und gestand die Tat. Wir wissen jetzt, warum der Verdächtige sein Schweigen brach: Er wurde gefoltert. Auf Anweisung des Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner wurde ihm im Verhör mehrfach mit massiver Gewaltanwendung gedroht. Magnus G. selbst hatte seinen Anwalt hierüber in Kenntnis gesetzt. Zuerst habe ihm ein Vernehmer gedroht, er werde ihm "die Zähne ausschlagen". Danach habe man ihm angekündigt, die Polizei werde ihn zur Vergewaltigung durch "zwei große Neger" freigeben. Schließlich habe man ihn glauben lassen, per Hubschrauber sei gerade ein "Spezialist" im Anflug, der in der Lage sei, ihm "Schmerzen zuzufügen", wie er sie "noch nie erlebt" habe; er werde sich wünschen, "nie geboren worden zu sein".
Ein Tabu
wird gebrochen
Vermutlich wäre um diese Aussage, wie in anderen vergleichbaren Fällen, kein Aufhebens gemacht worden, hätte nicht ein umgewöhnliches Dokument diesen Vorfall dokumentiert: Daschner hatte eine Aktennotiz über den Vorfall angelegt, in der er seine Aufforderung, den Verdächtigten "nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen", festhielt. Dabei hat sich Daschner offenbar auch über Skrupel von Kollegen hinweggesetzt: "Die von KOR Wenz erhobenen Bedenken wurden in einer weiteren Besprechung ... zurückgestellt", heißt es im Vermerk weiter. Mit anderen Worten: Die Polizei sollte dem Verdächtigen nicht nur Gewalt androhen, sie war auch gewillt, körperliche Gewalt anzuwenden. "Durch das inzwischen abgelegte Geständnis war die Maßnahme entbehrlich," endet der polizeiliche Vermerk (spiegel-online, 21.02.). Ein Sprecher des Frankfurter Polizeipräsidenten billigte noch nach dem Bekanntwerden des Vermerks ausdrücklich die darin angekündigten Praktiken: "Hätte die Drohung nicht gewirkt, hätten wir ihm Schmerzen zufügen müssen."
Nachdem der polizeiliche Vermerk an die Öffentlichkeit gelangt war, gab es zunächst eine breite Welle der Unterstützung für das VernehmerInnen-Team. Nicht nur der "Bund Deutscher Kriminalbeamter" sprang Daschner und seinen KollegInnen bei, sondern auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth. Mackenroth trug vor, die Androhung von Gewalt könne in solchen Fällen unter Umständen gerechtfertigt sein. Als Beispiel nannte er dem "Tagesspiegel" die Möglichkeit, dadurch Terroranschläge wie in New York zu verhindern. Selbst nach Auffassung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) können sich die Frankfurter PolizistInnen auf das Strafgesetzbuch berufen. Den BeamtInnen könne ein so genannter "rechtfertigender Notstand" zugebilligt werden, sagte Zypries. Wenn ein überwiegendes Rechtsgut zu schützen sei, wäre die Tat nicht rechtswidrig. Im Zweifel werde man die PolizistInnen freisprechen, so die Justizministerin gegenüber dem NDR.
Es kann kaum überraschen, dass Daschner auch Rückendeckung vom hessischen Ministerpräsidenten, Roland Koch (CDU), erhielt. Der Bild am Sonntag sagte Koch: "Ich persönlich halte Daschners Verhalten in dieser schlimmen Konfliktsituation, in der er Leben retten wollte, für menschlich sehr verständlich". Rasch waren Umfragen (forsa im Auftrag des Stern) zur Hand, denen zufolge eine deutliche Mehrheit der BRD-BürgerInnen dieses "Verständnis" teilt und das Daschner'sche Vorgehen auf Grund der "Zwangslage" für gerechtfertigt hält.
Notstandsübung und Überzeugungstäter
Daschner selbst zeigte, dass er sein Handeln vom September 2002 nicht aus einer wie auch immer definierten "Notlage" heraus begründete, sondern dass hier ein Überzeugungstäter am Werke war. Im Magazin Focus forderte er, Gewalt "als letztes Mittel" in Verhören zuzulassen und zu diesem Zweck eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Für Geständnisse müsse der Schmerz nicht stark, aber lang sein, erklärt er, und er sagt auch, wie man foltern kann, ohne Spuren zu hinterlassen.
In der öffentlichen Debatte wurde in den letzten Wochen auch darüber gestritten, ob hier überhaupt ein Fall von Folter vorliegt. Zunächst wurde dabei vereinzelt darauf abgestellt, dass ja gar keine Gewalt angewandt worden sei. Allerdings: Ob Gewalt angewandt oder "nur" angedroht wird, ist für den Tatbestand der Folter nachrangig; hier sind die Erklärung der Menschenrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention unzweideutig (vgl. neben stehenden Kasten). Dem wird mittlerweile auch nicht mehr wirklich widersprochen. Nach wie vor problematisch dürfte jedoch die von Jost Müller-Neuhof im Tagesspiegel (21.02.) treffend beschriebene, ohne Zweifel weit verbreitete Einstellung sein: "Um die Debatte über die Folter zu erleichtern, muss man sich nur von diesem hässlichen Wort verabschieden. Methode Schimanski: Ein paar auf die Augen, dann redet der schon. Was soll daran Folter sein?"
Warum aber, so die politisch-strategisch bedeutsame Frage, wird gerade jetzt wieder über Folter diskutiert? Welche gesellschaftlichen Triebkräfte liegen dem zu Grunde? Eine Antwort hierauf besteht notwendig aus mehreren Teil-Antworten:
1. Vorstöße dieser Art sind nicht neu. 1976 dachte der damalige niedersächsische Ministerpräsident, Ernst Albrecht, öffentlich über eine Einführung der Folter nach. In seinem Buch "Der Staat - Idee und Wirklichkeit" sieht er im Verbot der Folter "kein absolutes Recht". Ein Jahr später, im Herbst 1977, wird sogar über die von F.J. Strauß angeregte Erschießung von RAF-Gefangenen öffentlich verhandelt. Heute fordern Leute wie der fundamentalistische CSU-Abgeordnete Norbert Geis erweiterte Befugnisse für Ermittler, damit "Polizisten den Täter zwingen können, Informationen zu geben, die unmittelbar helfen". Auch der stellvertretende Fraktionschef der CDU/CSU, Wolfgang Bosbach, unterstützt das Recht der Polizei, in extremen Fällen Gewalt anwenden zu können, und Jörg Schönbohm fordert unter Verweis auf die Anschläge vom 11.09.2001 entsprechende Gesetzesänderungen. Die Forderung, das von einem "aufgeklärten Absolutisten" 1740 in Preußen eingeführte Verbot der Folter ("poena extraordinaria") jetzt für die Bundesrepublik aufzuweichen bzw. -heben, steht somit in einer festen Tradition ultra-konservativer Kräfte.
2. Schimanski-mäßiges Vorgehen ist in diesem Land ohnehin an der Tagesordnung. Immer wieder kommt es auf Polizeirevieren, in Strafanstalten, bei Festnahmen und Abschiebungen zu Gewaltanwendung, die mitunter die Grenze zur Folter überschreitet: PolizistInnen, die mit Gegenständen auf Verdächtige einprügeln; BeamtInnen, die am Boden liegende Festgenommene zusammentreten; Abschiebehäftlinge, die im Polizeigriff ersticken. Solche Vorfälle sind aber in aller Regel nur schwer zu belegen. Und: Weil sie illegal sind, werden sie von den Beklagten, anders als im "Fall Daschner", geleugnet.
3. Folter ist zwar in Deutschland grundgesetzlich verboten; die Grundrechteartikel wie auch Art. 104 GG sind hier eindeutig. Indes: Im Ausland wird Folter toleriert oder doch billigend in Kauf genommen. Deutsche RichterInnen, Behörden und Abgeordnete weigern sich beharrlich, Folterpraktiken im Heimatland von Flüchtlingen als politischen Asylgrund anzuerkennen. In den allermeisten Fällen wird Folter als eine besondere kriminaltechnische Maßnahme verhandelt, die in vielen Ländern gegenüber "gewöhnlichen" Kriminellen angewandt werde und daher nicht als politische Verfolgung ausgelegt werden könne. Insofern gilt das Verbot der Folter ohnehin nicht unbeschränkt.
4. Eine eigenständige Rolle in der Zuspitzung der Debatte fällt der medialen Aufbereitung zu. Die Diskussion über Kindesmissbrauch, die in den letzten Jahren (entgegen der rückläufigen Zahl der Fälle) verstärkt medial forciert worden ist ("Todesstrafe für Kinderschänder?"), illustriert, dass es hier keine Tabus mehr zu geben scheint. Dieses Vorgehen ist längst nicht mehr auf die Boulevardpresse beschränkt. Im Berliner Tagesspiegel heißt es am 19.02.: "Die Polizei musste handeln. Das Kind Jakob war verschwunden. War er schon tot? Jede Minute zählte. Die einzige Chance: Der Verdächtige musste zum Reden gebracht werden. Egal, wie." Das Motto derartiger Berichte ist einfach: "Stellen Sie sich vor, ihr Kind ist entführt..." Es zeigt das erschreckende Ausmaß dieser Debatte, dass in der Presse kaum jemand vorschlägt, die Frage stattdessen so zu formulieren: "Stellen Sie sich vor, Sie werden zu Unrecht verdächtigt..."
Die Folgen
des 11. September
5. Der wohl wichtigste Grund für die neu aufflammende Debatte liegt im Kontext der Reaktion auf die Anschläge vom 11.09.2001. Selten hat ein Ereignis die politische Landschaft so rasch und nachhaltig verändert. Die Anschläge sind zur Durchsetzung eines ultra-konservativen Programms genutzt worden, nicht nur in Bezug auf die globale US-amerikanische Militärpolitik, sondern auch und gerade für die Innenpolitik. (1) Nicht zufällig gab es die Folter-Debatte in den USA bereits kurz nach den Anschlägen, und sie hat ein erschreckendes Ergebnis gezeitigt: Die US-Regierung lässt ihre in "illegale Kämpfer" umdefinierten Kriegsgefangenen im Ausland festsetzen, damit diese sich nicht auf US-Gesetze berufen können; sie werden auf Kriegsschiffen wochenlang verhört und auf der Militärbasis Guantanamo jenseits aller menschenrechtlich gebotenen Behandlung festgehalten. Es wurde bereits offen erwogen, Beschuldigte im Ausland zu verhören, um Folter anwenden zu können; wie die Verhöre auf den Kriegsschiffen und Militärbasen aussehen, liegt auf der Hand.
Darüber hinaus sind in den USA, aber auch in Deutschland, wesentliche Grundrechte auch für die eigenen BürgerInnen nachhaltig eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt worden. Von Genua bis Guantanamo: Der Folter rechtfertigende "Notstand", auf den sich die Frankfurter Kripo beruft, kann und wird sich mit dem "Anti-Terror-Notstand" verbinden, der ja ohnehin längst zu einem Orwell'schen Dauernotstand geworden ist.
Das Menschenrecht auf körperliche Unversehrheit, das Verbot der Folter gilt uneingeschränkt, also auch für Mörder, Massenmörder, Vergewaltiger und Kinderschänder. Es gilt übrigens auch für Verdächtige. Deshalb: Daschner muss der Prozess gemacht werden!
Albert Scharenberg (Berlin)
Eine Sammlung von Presseartikeln zum Thema unter: www.stop-torture.de
Anmerkungen:
1) vgl. Peter Marcuse: "Globalisierung nach dem 11. September:
städtische, politische und ökonomische Auswirkungen", in: Albert
Scharenberg/Oliver Schmidtke (Hg.): Das Ende der Politik?
Globalisierung und der Strukturwandel des Politischen, Münster
2003
Ohne Ausnahme:
Was Folter ist, bestimmt das Völkerrecht
Im Völkerrecht - zum Beispiel in der Erklärung der Menschenrechte, der Erklärung der UNO-Vollversammlung und der Europäischen Menschenrechtskonvention - finden sich mehrere Übereinkommen, die den Tatbestand der Folter beschreiben und verbieten. Demnach ist Folter "jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis verursacht werden". Ausnahmen für Folter werden ausdrücklich ausgeschlossen