"Immer noch zu wenig"
Das musste endlich mal gesagt werden. Und gerade am Internationalen Tag der Frauen. Denn genau da liegt doch das Problem. Weil, im Grunde ist ja dieser Frauentag bestenfalls ein Anachronismus. Oder immer schon Ausdruck eines historischen Irrtums gewesen. Frauen diskriminiert? Benachteiligt? Oder Schlimmeres? Ach, wenn die Welt so einfach wäre. Am deutlichsten wird das Problem der feministischen Realitätsklitterung, wenn man sich mal genauer eines der bevorzugten Aktionsfelder des Feminismus vorknöpft: Gewalt. Genauer: Gewalt gegen Frauen.
Denn es sind gar nicht immer Frauen oder Mädchen, die Opfer von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt werden. Nein. Auch Männer sind betroffen. Und wie. So sehr, dass die taz diesem Thema am 8. März eine ganze Seite widmet und den Soziologen und Anwalt Jürgen Germünden (42) befragt über "Frauen, die Gewalt ausüben, und Männer, die sich nicht wehren können". Gemünden trägt, so ist zu vermuten, schwer an der Last, ein Tabu zu brechen. Vielleicht guckt er deshalb so ernst, so nachdenklich den LeserInnen entgegen. Denn dass er ein Tabubrecher ist, steht mal fest; er, der über "Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften" forscht. Tabubrüche sind, wir wissen es, schwierige, aber notwendige gesellschaftliche Arbeit. Gemünden ist sich dessen bewusst. Aber er muss tun, was er zu tun hat. Denn er weiß, was andere leugnen: " Frauen wenden ähnlich viel Gewalt gegen Männer an wie umgekehrt." Da liegt die Frage nahe, warum mensch von diesen Opfern weiblicher Gewalt so wenig sieht und hört, auch niemanden persönlich kennt, dem oder der schon mal ein solcher Fall zu Ohren kam, noch nie von ernstzunehmender Seite Forderungen nach Männerhäusern, Männernotruftelefonen oder einfach nur Männerbeauftragten zu vernehmen waren etc. Gemünden hat dafür natürlich eine Erklärung: "Es scheint so zu sein", so der Fachmann, "dass Frauen erlittene Gewalt als schwerwiegender bewerten als das Männer tun." Einleuchtend. Das Einfache liegt doch so nah: Männer weinen nicht, beißen die Zähne zusammen, sind irgendwie immer so hart gegen sich selbst. Anders die Frauen, die wegen jeder Schramme in Geheul ausbrechen und öffentlich getröstet sein wollen.
Während dieses Klischee offenbar also zu hundert Prozent die Realität abbildet, verhält es sich mit einem anderen, ähnlich gelagerten, exakt anders herum: Männer, so der Soziologe, hätten viel mehr Hemmungen, Frauen zu schlagen, als umgekehrt. Oh ja. Nun ist es aber auch wiederum nicht so, dass der Forscher bestreitet, dass es das Phänomen Männergewalt gibt. Nein - es gibt eben "alle Arten" von Gewalt, sagt er, glücklicherweise aber (das macht die Analyse leichter) nur eine Ursache von "Gewalt in der Partnerschaft". Die nämlich nimmt zu, so Germünden, "wenn die Frau berufstätig wird. Dann steigt der Stress in der Partnerschaft. Oft gibt es auch mehr Streit um die Aufgabenteilung."
Worum es dem Vorkämpfer in Sachen Frauengewalt geht, ist klar: dafür zu sorgen, dass (männliche) Täter nicht länger "dämonisiert" werden. Das scheint ja auch zu klappen; immerhin lässt der Titel des gesamten taz-Dossiers zum diesjährigen internationalen Frauentag darauf schließen: "Böse Mädchen - Arme Jungs: Manchmal sind die Männer Opfer." Doch mit diesem Opferdasein könnte bald Schluss sein, wenn nur noch mehr Journalistinnen den Mut aufbringen, Männer wie Germünden so einfühlsam zu befragen, wie Heide Oestreich in der taz das tut.
So ist es nur konsequent, dass die Kabarettistin Lisa Politt auf der Hamburger Kundgebung zum 8. März ebenfalls mit Nachdruck auf dieses Problem hinwies. "Ja, es stimmt", rief sie, offenbar grimmig entschlossen, diesem grundlegenden feministischen Tabu die Stirn zu bieten, "es gibt Frauen, die ihre Männer schlagen." Unwilliges Geraune auf dem Platz. Hunderte ewig Gestriger runzelten hörbar die Stirn, skeptisch in Bezug auf das Satzende. "Fest steht", fährt Politt fort, "es sind immer noch zu wenige."
Stefanie Graefe