Schröders Schlachtfest
14. März, morgens im Bundestag: Showtime. Der Kanzler spricht zu den Abgeordneten. Aber natürlich spricht er eigentlich zu den Medien, auf dass diese das Kanzlerwort dem Volk erklären. "Mut" wolle er machen, sagte Schröder, "Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung". Und so war es denn auch: Keine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede, wie vielfach beschworen, sondern eine staatsmännisch vorgetragene Einladung zum Schlachtfest.
Staatliche Leistungen kürzen, Eigenverantwortung und Eigenleistung fordern. Der rot-grüne Plan für eine autoritäre Verarmungspolitik wurde nicht dramatisch und aufgeregt, sondern ernsthaft-freundlich vorgetragen. Die Drohung "Niemand wird sich entziehen dürfen" blieb fast unbemerkt. Die konkreten Vorhaben sind nicht neu: Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe "auf eine Höhe, die in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entspricht". Also Abschaffung der Arbeitslosenhilfe; Beschränkung des Arbeitslosengeldes; noch schärferer Druck auf Erwerbslose ("Pflicht, zumutbare Arbeit auch anzunehmen"), Aufweichung des Kündigungsschutzes ("Sozialauswahl so umgestalten, dass ... die Leistungsträger ... gehalten werden" - mit anderen Worten: Alte raus); Aufweichung der Flächentarifverträge durch Betriebsvereinbarungen und Öffnungsklauseln (hier drohte Schröder den Gewerkschaften unverhohlen mit dem Gesetzgeber); Privatisierung von Renten- und Krankenversicherung.
Den Gewerkschaften wirft er ein paar Krümel hin - schließlich will er ihnen ein durch und durch antigewerkschaftliches Programm schmackhaft machen. "Dogmatische Unbeweglichkeit" ist in seiner "Agenda 2010" fehl am Platz. Die Zeiten, in denen die SPD auf den DGB Rücksicht nehmen musste, sind vorbei. Selten zuvor ist den Gewerkschaften ihre Rolle in Krisenzeiten so deutlich vorgeführt worden: Sie sollen die Deregulierung des Arbeitsmarktes mitgestalten, Lohnsenkungen tarifieren und Sozialabbau nach innen verkaufen. Ob sie sich widerstandslos zum Transmissionsriemen des neoliberal-autoritären Umbaus von Staat und Gesellschaft machen lassen, ist aber noch nicht ausgemacht. Gerade angesichts globaler Protestbewegungen sollte man die Hoffnung auf Risse im gewerkschaftlichen Milieu nicht aufgeben.
Adressiert an die Kapitalisten hat Schröder eher beiläufig, doch unmissverständlich klar gemacht, in wessen Interesse er auch weiterhin zu handeln gedenkt: "Machen Sie Gebrauch von den neuen Möglichkeiten. Setzen Sie die Angebote endlich um, die Sie selbst gefordert haben". Gleichzeitig watscht er die "Egoisten", "Lobbyisten" und VertreterInnen von "Sonderinteressen" ab: diejenigen, denen die Senkung der Lohnnebenkosten egal ist; diejenigen, die soziale Sicherungsansprüche diesem Dogma nicht unterwerfen wollen; diejenigen, die an Arbeit, Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Sicherung Ansprüche stellen.
Gerhard Schröders Rede ist verbindlich im Ton, nicht zuletzt aus Rücksicht auf die eigene Parteibasis. Vor kurzem noch hatte Generalsekretär Olaf Scholz die SPD-Mitglieder beschimpft: Sie verstünden die Politik der Regierung nicht und verweigerten dem Kanzler die Gefolgschaft. Die vernichtenden Wahlniederlagen der letzten Wochen sind ein deutliches Signal, dass auch traditionell sozialdemokratische Milieus dieser Regierung nicht zutrauen, "soziale Gerechtigkeit" glaubhaft zu repräsentieren.
Zur Schröderschen Besänftigungstaktik gehört auch das Bonmot vom "Mut zum Frieden" und das Geraune vom Beharren auf der eigenen außenpolitischen Unabhängigkeit (ein populistischer Bezug auf die Ressentiments gegenüber dem Führungsanspruch der USA), mit dem er die Regierungserklärung einleitete. Auch das vage Versprechen eines Investitionsprogramms zur Verbesserung der kommunalen Handlungsfähigkeit soll besänftigen. Von der grundsätzlichen Linie der Haushaltskonsolidierung und der Steuergeschenke für Unternehmen und Vermögensbesitzer will er jedoch nicht abweichen.
Unterm Strich bleibt eine in der Sache eisenharte Aussage: Die Regierung (und die Opposition) haben all denjenigen den sozialen Krieg erklärt, die sich den herrschenden Flexibilisierunganforderungen nicht unterwerfen wollen oder können. Sie droht ihnen direkt mit Verarmung und Repression, um "Höchstleistungen" zu erpressen. Man wird diese Drohungen ernst nehmen müssen. Die politische Klasse und die Kapitalistenverbände in diesem Land sind finster entschlossen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen grundlegend über den Haufen zu werfen und den Verwertungsanforderungen der Standortlogik anzupassen.