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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.4.2003

Mord in Belgrad

Nach dem Attentat auf Zoran Djindjic folgt eine autoritäre Wende

Der Mord am serbischen Premierminister Zoran Djindjic zeigt die ungebrochene Macht des "kriminell-institutionellen Komplexes", der sich im Krieg herausgebildet hat. Mit Polizeiaktionen geht die Regierung nun brachial gegen die mutmaßlichen Drahtzieher des Attentats vor. Doch je länger der Ausnahmezustand währt, desto mehr mutet er wie die Aufrichtung eines neuen politischen Autoritarismus an.

Als am Mittag des 12. März der serbische Premierminister Zoran Djindjic von einem Scharfschützen erschossen wurde, lief die Nachricht vom Attentat wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Mobiltelefone klingelten, im Fernsehen liefen Eilmeldungen, die Radioprogramme wurden unterbrochen. Alle Finger zeigten sofort auf die mit Teilen der Sicherheitsorgane verquickte "patriotische Mafia" als mutmaßlicher Drahtzieher. Allein dieses Konglomerat aus in Kriegsverbrechen verwickelte Paramilitärs, die sich heute dem profitablen Drogen-, Frauen- und Waffenhandel widmen, und ihren Mitarbeitern in Polizei, Armee, Justiz und Politik, schienen die Macht und das Interesse zu haben, den ungeliebten Premier auszuschalten.

In der größten Polizeiaktion der serbischen Geschichte nahmen die Sicherheitskräfte seither über 5.000 "Verdächtige" fest, von denen über 2.000 in Haft bleiben. Der noch am Abend des Mordes verhängte unbefristete Ausnahmezustand räumt Polizei und Militär zahlreiche Sondervollmachten ein, darunter das Recht auf verdachtsunabhängige Verhaftungen. Der mutmaßliche Schütze, der 38-jährige Zvezdan Jovanovic und sein 32-jähriger Komplize Sasa Pejakovic, wurden gefasst. Zwei weiter Hauptverdächtige wurden "auf der Flucht erschossen".

Industriell-institutioneller Komplex

Die ersten Vermutungen über den Hintergrund des Mordes scheinen sich mit den Fahndungserfolgen zu bestätigen. Jovanovic war nämlich kein Auftragskiller sondern Vizekommandant der dem Innenministerium unterstehenden Einheit für Spezialoperationen (JSO), in der auch Pejakovic diente. Die auch unter dem Namen Rote Barette bekannte Truppe zählt zu den kampferprobtesten Sondereinheiten, die der serbische Staatsapparat zu bieten hat und ist direkt mit der Mafia verbunden. Der 2001 abgelöste langjähriger Anführer der Roten Barette, Milorad Lukovic alias Legija, ist der Chef des Zemun-Clans, einer Mafiabande, die einen Großteil des Drogenhandels auf dem Balkan kontrolliert. In ihr arbeiten zahlreiche JSO-Mitglieder mit. Als mutmaßlicher Drahtzieher des Attentates ist Legija mit einer Reihe weiterer Zemun-Clan Mitglieder noch flüchtig.

Das Attentat machte damit deutlich, wie stark der "kriminell-institutionelle Komplex" in Serbien noch immer ist. Die im Krieg geformten Allianzen aus staatlichen Sicherheitsapparaten, Kriminellen und paramilitärischen "Kriegshelden" verfügt nach wie vor über bedeutenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss. Ihren Ursprung hat das Amalgam in der Rekrutierung von Kriminellen für paramilitärische Gruppen, die am Beginn des Krieges 1991 von Geheimdiensten und Polizei formiert wurden, um an den Fronten in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und später Kosovo die Drecksarbeit der "ethnischen Säuberungen" zu erledigen. Dabei konnten die Paramilitärs einen wahren Plünderungsfeldzug unternehmen und alles zu Geld machen, was sie erbeuteten. Gleichzeitig wurden die entstehenden Netzwerke zur Umgehung des UN-Wirtschaftsembargos eingesetzt und kontrollierten den profitablen Schwarzmarkt. Nach dem Ende der bewaffneten Konflikte blieben die organisatorischen Strukturen und Netzwerke bestehen und suchten im Drogen-, Waffen und Frauenhandel nach neuen Einkommensquellen.

Die Zemun-Truppe ist ein illustratives Beispiel für diese Struktur. Seinen Spitznamen "Legionär" erwarb sich Milorad Lukovic durch den Dienst bei der französischen Fremdenlegion, für die er Mitte der 80er Jahre kämpfte. Anfang der 90er Jahre trat er in die paramilitärische Serbische Freiwilligen Garde von Zeljko Raznatovic alias Arkan ein. Mit seiner Vergangenheit bei den so genannten Arkan Tigers als Empfehlung wechselte Legija 1997 als Kommandant zu den Roten Baretten. Diese für ihre Brutalität berüchtigte Truppe war von Legijas Freund und Tiger-Gefährten Franko Simatovic alias Frenki gegründet worden und galt als die Prätorianergarde des Milosevic-Regimes.

Doch wer denkt, dass die Erfolgsgeschichte von Legija und Konsorten mit dem Sturz Milosevics zu Ende ging, liegt völlig falsch. Denn als der Belgrader Kriegsherr nach dem Kosovo-Krieg zunehmend die Zügel aus der Hand verlor, wechselten die Roten Barette unter Legijas Führung ganz unideologisch die Seiten. Nach bestätigten Informationen hat sich Djindjic am Vorabend des Sturms der von ihm angeführten Opposition auf das Parlament am 5. Oktober 2000 auch mit Legija getroffen und ein Abkommen geschlossen. Die Roten Barette schossen nicht auf die Demonstranten, blieben dafür aber nach dem Regierungswechsel unantastbar.

Dies war freilich nicht der einzige Deal, den die vom Westen politisch, finanziell und logistisch unterstützte Opposition mit den mafiösen Sicherheitsapparaten des alten Regime getroffen hat. Im nachhinein stellt sich eher die Frage, ob es nicht Kreise der paramilitärischen Mafia waren, die die Opposition instrumentalisierten, um selbst an der Macht zu bleiben. Denn auch die zwei grauen Eminenzen der serbischen Paramilitärs, der ehemalige Chef der Geheimpolizei Jovica Stanisic und der Gründer der Roten Barette, Franko Simatovic, waren mit von der Oktober-Partie.

Stanisic war bereits 1998 von Milosevics geschasst worden, weil er mit der Kosovo-Politik nicht übereinstimmte. Simatovic brach sogar schon 1996 nach dem Abschluss des Dayton-Abkommens über einen Friedensvertrag für Bosnien-Herzegowina mit Milosevic. Beide verfügten aber auch nach ihren Konflikten mit Milosevic über steuernden Einfluss auf die kriminelle Unterwelt. Der frühere Belgrader Polizeichef, Marko Nicovic, meint: "Der Oktober 2000 war eine Möglichkeit für Leute, ihre Biografien weiß zu waschen und sich selbst unverzichtbar zu machen."

Ausschaltung nicht nur der Attentäter

Wie der Mord an Djindjic allerdings zeigt, war die Oktoberallianz äußerst brüchig. Der in Deutschland promovierte Premier musste verschiedenen Herren gehorchen. Die "Internationale Gemeinschaft", vor allem die USA, machten Druck auf die Auslieferung der Kriegsverbrecher, die sie möglichst bald in Den Haag sitzen sehen wollte. Mit immer neuen Ultimaten und der Kreditschraube wurde Djindjic dazu gezwungen, diesem Begehren nachzukommen, das das militärische Eingreifen im Kosovo-Konflikt nachträglich noch einmal legitimieren sollte.

Doch dabei musste der prowestliche Premier wie bei der Auslieferung Milosevics im Juni 2001 nicht nur den Rechtsstaat außer Kraft setzen, sondern sich auch mit seinen Bündnispartnern vom Oktober 2000 anlegen, die ebenfalls zu einem erheblichen Teil ein Verfahren in Den Haag fürchten müssen. Djindjic hat sich letztlich im Machtkampf gegen seinen rechtskonservativen Oppositionsrivalen Vojislav Kostunica, der gegen eine Kooperation mit Den Haag trommelte, durchgesetzt. Als Kostunica mit der offiziellen Auflösung Jugoslawiens im Februar schließlich sein Amt als Präsident des Staates verlor, stand Djindjic für einige Tage als einsamer Gewinner da. Dann fielen die Schüsse des 12. März.

Wie regierungsamtliche Quellen erklären, soll die Zemun-Bande mit dem Mord versucht haben, eine mögliche Strafverfolgung ihrer Mitglieder zu verhindern. Djindjic habe Haftbefehle gegen den Gangboss Milorad Lukovic alias Legija und andere Mitglieder der 200 Mann starken Truppe erlassen wollen, heißt es. Mittlerweile ist bekannt, dass das Attentat der fünfte Versuch der Bande war, den Premier zu töten. Die ersten vier waren immer knapp gescheitert. Stimmen die Angaben der Ermittlungsbehörden, hätten die Schüsse auf Djindjic nicht weniger als einen Putsch auslösen können. So soll der Scharfschütze gestanden haben, dass Djindjic nur der erste auf einer Liste weiterer Politiker gewesen sei, die ermordet werden sollten. Dadurch hätte eine Situation des Chaos entfacht werden sollen, in der die Roten Barette nach der Macht greifen wollten.

Dabei hätten die Barette auf ein erhebliches back up aus allen Ebenen des Staatsapparates zählen können, wie langsam bekannt wird. So wurde mittlerweile der stellvertretende Generalstaatsanwalt Milan Sarajlic verhaftet. Er gab zu, für Geld Insiderinformationen der Ermittlungsbehörden und der Geheimdienste an den Zemun-Clan weitergegeben und Strafverfahren gegen seine Mitglieder verhindert zu haben. Auch der Chef des militärischen Geheimdienstes, Aco Tomic, wurde in den Ruhestand geschickt. Er soll sich vor dem Attentat zu Konspirationsgesprächen mit den Chefs des Zemun-Clans getroffen haben. Mit dabei soll Rade Bulatovic gewesen sein, der brisanter Weise Sicherheitsberater von Vojislav Kostunica ist. Mitglieder von dessen nationalkonservativer Demokratischer Partei Serbiens (DSS), genauso wie von Milosevics SPS und den Ultranationalisten der Serbischen Radikalen Partei (SRS) von Vojislav Seselj werden immer öfter als mögliche politische Hintermänner des Attentates erwähnt.

Handelte es sich beim Attentat also tatsächlich um einen gescheiterten Coup d'Etat? Ausgeschlossen ist das nicht. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, was der Ausnahmezustand nun eigentlich bedeutet. Tatsächlich ist es nämlich so, dass der Djindjic-Nachfolger Zoran Zivkovic und sein Kabinett den Mord dazu nutzen, eine Hetzjagd auf die gesamte Opposition zu veranstalten. So haben führende Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Verbote der SPS und SRS in die Diskussion gebracht. Die dem "patriotischen Block" nahe stehende Tageszeitung Nacional wurde verboten, genauso wie eine Reihe anderer Presseerzeugnisse. Der Ausnahmezustand verbietet nämlich jeden kritischen Kommentar zum Ausnahmezustand selbst. Kritische Beobachter, die sich trotzdem zu äußern wagen, wie Slobodan Antonic von der Universität in Novi Sad, erklären, dass es, "schwierig wird, die Schlussfolgerung zu vermeiden, dass (der Ausnahmezustand) den Interessen einer bestimmten Clique nutzt, die in die Lage versetzt wird, in einem Showdown Terror und Gewalt gegen ihre Rivalen durchzusetzen."

Ein gescheiterter Putsch?

Stutzig macht viele auch, dass der Chef der uniformierten Polizei, Sreten Lukic, und Goran Gurij Radosavljevic, der Befehlshaber der Spezialtruppe Zandarmerija, die momentan in Belgrad maskiert Straßenkontrollen durchführen, mehr als zwielichtige Figuren sind. Wie die jetzt gesuchten oder festgesetzten Paramilitärs Legija, Frenki und Stanisic, waren auch sie führende Köpfe des Sicherheitsapparates von Milosevic. Lukic kommandierte 1998 und 1999, zum Zeitpunkt der eskalierenden Kämpfe, die Polizeitruppen im Kosovo. Radosavljevic war dort ebenfalls in führender Funktion im Einsatz. Nach Angaben des für gewöhnlich gut mit Den-Haag-Insiderwissen versorgten Think Tanks International Crisis Group (ICG) sollen Lukic und Radosavljevic auf der geheimen Kriegsverbrecher-Auslieferungsliste von Carla del Ponte stehen. Mit dem harten Durchgreifen gegen ihre ehemaligen Mitkämpfer scheinen sie ihren eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen zu wollen, ganz ähnlich wie bereits mit dem Seitenwechsel beim Sturz Milosevics.

Ungelöst bleibt indes das grundsätzliche Problem der serbischen Gesellschaft. Nach den neoliberalen Wirtschaftsreformen der 80er Jahre und dem zehnjährigen Kriegszustand der 90er Jahre ist die warenproduzierende Ökonomie so gut wie kollabiert. Die von der "Internationalen Gemeinschaft" als Medizin verschriebene Privatisierungspolitik und Handelsliberalisierung sorgt in dieser Situation lediglich für einen Anstieg der ohnehin grassierenden Arbeitslosigkeit. Auf Grund der fortwährenden politischen Instabilität bleiben Auslandsinvestitionen weitgehend aus. In dieser Situation ist es gerade die informelle Schattenökonomie, die eine Überlebensperspektive bietet. In deren Sumpf kann sich allerdings die Mafia mit ihren profitablen Geschäften ständig von neuem reorganisieren. Die grassierende Korruption im staatlichen Sicherheitsapparat bietet zudem einen strukturellen Schutz, der durch ein sich zunehmend autoritär werdendes Regime nicht verschwindet, sondern eher verstärkt werden kann.

Alexander Jovanovic