ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.4.2003

Besuch bei Herzl

HaDag Nachash: Kritischer HipHop aus Israel

Die politische Stagnation in Israel ist mit den Händen zu greifen. Angst wird zur Gewohnheit, Krieg ist Normalität, Hass eine Droge, der immer mehr Menschen frönen. Es gibt keinerlei Perspektiven in Richtung auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes, und es ist viel zu anstrengend, sich darum noch ernsthaft Gedanken zu machen. Als Begleitmusik von Seiten der Regierung gibt es die üblichen Schuldzuweisungen an die palästinensische Seite, dazu sozialpolitischen Kahlschlag der radikaleren Sorte, Einschnitte in die staatliche Infrastruktur im Bildungssektor und Gesundheitswesen sowie patriotische Durchhalteparolen bis zum Abwinken. Kein Wunder, dass mittlerweile auch viele jüdische Israelis ihrem politischen Establishment mit ausgeprägtem Zynismus begegnen. Dieser bleibt zwar politisch bislang abstinent, bietet aber immerhin eine wirkungsvolle Immunisierung gegen das propagandistische Trommelfeuer aus nationalistischen Phrasen und militärischen Heilsversprechen, das tagtäglich aus den Medien dröhnt.

So hat eine Reihe etablierter KünstlerInnen und MusikerInnen in ihren jüngsten Werken ihrer Desillusionierung von der Politik Sharons und ihrer tiefen Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen pointierten Ausdruck verliehen. Besonders wortgewaltig hat sich hier eine junge Generation arabischer wie jüdischer RapperInnen hervorgetan, welche die israelische Musiklandschaft neuerdings um eine einheimische HipHop-Szene bereichern. Formationen mit Namen wie TNT, DAM, MC Sultan u.a. stehen für eine politische Protestkultur wie kulturelle Neudefinition arabischer Israelis und sind außerhalb subkultureller Zusammenhänge noch kaum bekannt. Anders hingegen sieht es bei hebräischsprachigem HipHop aus. Einige Gruppen aus diesem Umfeld, wie etwa Subliminal und HaDag Nachash (zu deutsch: Der Fisch ist eine Schlange), haben bereits den Sprung in die Charts geschafft. Besonders der achtköpfigen Jerusalemer Band HaDag Nachash gelingt es, ihre fast durchweg politischen Texte mit einem melodischen Groove zu unterlegen, der den Anschluss an den musikalischen Mainstream mühelos schafft und in den Radiostationen gegenwärtig rauf und runter gespielt wird. Vielleicht ist es vermessen, dabei bereits von einem Aufbäumen der israelischen Zivilgesellschaft zu sprechen. Aber immerhin ist ihr Pulsschlag noch messbar.

Achim Rohde

Gabi und Debby (HaDag Nachash, 2003)

Hört Euch diese Geschichte an, sie ist kurz und vielleicht etwas lustig
Von dem Tag an dem ich Gabi und Debby mit dem Zauberstab traf (1)
Eines Abends spazierte ich so vor mich hin
Und schaute mich um nach da und nach dort
Als plötzlich alle um mich herum Englisch sprachen
Und das Farbbild in Schwarz-weiß umschlug
Alle waren sie da: Miss Ding Dong, Scooterman und dieser Cowboy wie hieß er noch
Dr. Halfbaked, Mr. Cashton Yirmi Kaplan und sein Vater
Auch Gabi und Debby waren da, sie standen abseits
Debby sah etwas fertig aus und bedrückt
Sie sprachen von irgendeinem Zauberstab, den sie verloren hätten
Und fragten mich, ob ich ihnen vielleicht bei der Suche helfen wolle
Gibt es denn einen Preis zu gewinnen?
Sie antworteten mir
Dass wenn ich den Stab finde
Sie mich an jeden Ort bringen, wohin ich nur will
Den Stab fand ich in Sekundenschnelle
Gabi hatte ihn in seine Hosentasche gesteckt was'n Idiot
Wow! schrie ich wie Homer Simpson in Ekstase
Los auf nach Paris ins Sheraton Plaza
Dort ist das Bureau La Pute
Ein Wahnsinnspuff
Da will ich hin
Debby räusperte sich und sagte
Bitte versteh wir würden Dir ja gerne
Aber es gibt da ein paar Beschränkungen
Erstmal, dies ist jugendfreies Fernsehen
Und außerdem brauchen wir eine positive Botschaft
Hast Du nicht einen etwas zionistischeren Ort im Kopf?
Was zionistisch? Wie jetzt? Etwa wie Herzl?
Und Hoops! Wir landeten in Basel (2)
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
Da stand Herzl so rum ganz entspannt und locker
So wie ich ihn sah kam mir der Anti
Schämt der sich nicht hier so rumzuprotzen als ob nichts wär
In Israel geht alles in Flammen auf was ist der so vernagelt?
Ich sah ihm tief in die Augen, ganz nah
Die Iris vergrößert und die Augen ganz rot
Pssst, flüsterte ich, ich glaub der ist bekifft
Gabi antwortete sei still, bleib cool
Doch ich konnte mich nicht halten und breitete vor dem Visionär des Staates ohne Scham
alle Einzelheiten der schweren verbogenen israelischen Realität aus
Ich erzählte von den Verkehrsunfällen (3)
Und ich erzählte vom Streik der Behinderten (4)
Ich erzählte von einer viertel Million Arbeitslosen (5)
Und ich erzählte von korrupten Politikern
Doch Herzl reagierte nicht, grinste nur breit
Und versenkte seine rechte Hand in die Hosentasche
Ich versuchte zu betonen dass es keinen Frieden gibt und keine Sicherheit
Dass wir es satt haben in Angst zu leben
Da legte Herzl mir einen Streifen Pappe auf die Zunge und sagte:
"Wenn Ihr dies nehmt, wird es kein Traum bleiben". (6)
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
Keine Ahnung wie mir geschah, ehrlich
Doch plötzlich hatte ich einen Karabiner in der Hand
Und fand mich wieder mitten in der Schlacht um Tel Chai (7)
Hoho! Ich will keine Waffe, ich hab keine Lust
Ich hab Profil 21 (8)
Doch Gabi meinte nur, die Geschichte von Tel Chai ist
Äußerst bedeutsam und pädagogisch wertvoll
Trumpeldor erkannte ich auf Anhieb, was für ein Anblick
Na das ist der mit der Hand, oder besser ohne
Wie geht's Dir so Joseph?, fragte ich höflich
Aber Trumpeldor war genervt und wütend
Plötzlich wirbelte der Wind Staub auf
Trumpeldor gurgelt und würgt und sondert gleich neben uns einen Grünen ab
Dann hustet er und sagt:
"Gut ist es aufs Vaterland zu rotzen." (9)
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
Langsam wuchs mir das alles über den Kopf
Meine Beine stolperten ich fiel zu Boden und schrie: Aufhören!!!
Dieser Ausflug hätte eine Belohnung sein sollen
Mit Euch macht es überhaupt keinen Spaß
Betrogen habt Ihr mich, betrogen habt Ihr mich
Debby war zuerst wieder gefasst und wandte sich an mich in mütterlichem Ton
Du hast recht, sagte sie, jetzt fliegen wir
Wohin Du willst, wohin Du sagst
Oh!, na endlich
Ich sagte, bloß nicht nach Jerusalem ins Jahr 2002
Aber offenbar haben sie mich wieder falsch verstanden
Denn genau hierhin
Wohin?
Genau hierhin
Wohin?
Genau hierhin bin ich zurückgekehrt
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
HaDag Nachash machen zionistischen HipHop
(Übersetzung: Achim Rohde)

1) Gabi und Debby sowie die übrigen in dieser Strophe genannten Figuren sind einer Reihe bekannter TV-Serien aus dem israelischen Schulfernsehen der 80er Jahre entnommen. Mit Hilfe eines Zauberstabs versetzten Gabi und Debby die ZuschauerInnen in immer neue Situationen, die dem Englischunterricht dienten und stets in Schwarz-weiß gefilmt wurden.

2) In Basel fand 1897 der 1. Zionistische Kongress unter dem Vorsitz Theodor Herzls statt.

3) Im letzten Jahr kamen in Israel 600 Menschen durch Verkehrsunfälle ums Leben. Die rabiate Fahrweise israelischer AutofahrerInnen ist sprichwörtlich.

4) Im vergangenen Jahr wurde die staatliche Unterstützung körperlich behinderter Menschen drastisch gekürzt, so dass viele von ihnen unter die offizielle Armutsgrenze gedrückt werden. Monatelange erfolglose Proteste der Betroffenen im Jerusalemer Regierungsviertel, inklusive Hungerstreik, zogen große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich.

5) Gegenwärtig etwa 11%, Tendenz steigend

6) Dieser berühmt gewordene Ausspruch Herzls wurde zum Motto der frühen zionistischen Bewegung.

7) Die Schlacht von Tel Chai zwischen jüdischen Freischärlern unter der Führung des einarmigen ehemaligen Offiziers der russischen Armee Joseph Trumpeldor ("Der Löwe von Tel Chai") und arabischen Milizen im Jahr 1920, ist ein wichtiges Datum in der zionistischen Geschichtsschreibung.

wehrdienstuntauglich

9) In Abwandlung des angeblichen letzten Satzes von Trumpeldor in Tel Chai, bevor er von einer Kugel tödlich getroffen verschied: "Es ist gut fürs Vaterland zu sterben."