Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden: Einige Thesen
gender troubles aktuell
Ist Krieg Männersache? Sind Frauen friedfertiger? Sicher ist: Sexuelle Gewalt ist keine Begleiterscheinung, sondern systematisches Instrument von Kriegen. Diese und andere Fragen diskutiert ein Sammelband zur feministischen Friedensforschung, aus dem die folgenden Thesen entnommen sind.
Militarisierte Männlichkeit
Internationale Politik, besonders in ihren kriegerischen Varianten, scheint allein personell eine überwältigend "männliche" Angelegenheit zu sein. Armeen bestehen überwiegend aus männlichen Soldaten, Verteidigungsminister und Staatspräsidenten sind mehrheitlich Männer, und auch ihre "Feinde", seien es nun "Terroristen" oder Soldaten, sind meistens Männer. Auf der anderen, weniger thematisierten und sichtbaren Seite des Geschehens stehen die Frauen, die regelmäßig Opfer sexualisierter Gewalt in Kriegen werden, die die weltweit größte Gruppe der Flüchtlinge stellen und die überdurchschnittlich häufig von Armut und Ausschluss von Besitz und politischen Rechten betroffen sind. Obwohl Geschlechterfragen im Zentrum der diskursiven Begründung kriegerischer Gewaltausübung beispielsweise "zum Schutz von Frauen und Kindern" oder "zur Verteidigung nationaler Identität und Souveränität" stehen oder besonders wichtig für das Selbstverständnis militarisierter Männlichkeit sind, werden Funktion und Struktur von Geschlechterregimen weitgehend vernachlässigt. Dabei könnte ein geschlechtersensibler Blick auf die rhetorischen und praktischen Kriegsszenarien nach dem 11. September beispielsweise erhellen, warum Krieg als legitimes Mittel der Verbrechensbekämpfung sofort breite internationale Zustimmung fand, da ein solcher Blick den Zusammenhang von politischer Kultur, Konstruktion militarisierter Männlichkeit und bestimmten Auffassungen von staatlicher Souveränität erfassen kann.
Cilja Harders
Biafra, 1967
Im Biafrakrieg wurden Frauen - wie in jedem Krieg - zu Opfern sexueller Ausbeutung, durch längerfristige "Kriegsehen", den Zwang zur Prostitution um das Überleben zu sichern, oder Vergewaltigungen. Njoku schilderte z.B. in ihrer Autobiographie Massenvergewaltigungen in einem von den föderalen Truppen zu Kriegsende besetzten Dorf: "Uns wurde gesagt, dass bekannt gegeben worden war, dass sich alle auf dem Marktplatz versammeln sollten für eine Ansprache der Truppen. Wir wurden aufgefordert: ,Ein Nigeria!' zu rufen. Uns wurde gesagt, dass wir nach Hause gehen könnten, weil der Krieg zu Ende sei und sich unsere biafranischen Truppen ergeben hätten. Die Ansprache dauerte Stunden und das Verhalten der föderalen Soldaten war höchst irritierend. Die meisten liefen in der Mitte der Menge herum und machten Jagd auf junge Mädchen. Vor den hilflosen Eltern wurden junge Mädchen mit Waffengewalt aus der Menge geholt. In der Nacht konnten wir zu unserem großen Entsetzen nicht verhindern, dass die föderalen Soldaten den jungen Mädchen Gewalt antaten. Die Nacht hörte man Schreie von jungen Mädchen aus allen Richtungen."
Gabriele Zdunnek
Kriegstribunale
So begrüßenswert es ist, dass die Verfolgung von sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen Bestandteil der Kriegsverbrechertribunale zu Ruanda und zu Jugoslawien ist - so hat sie doch ein weiteres Mal keine Priorität. Dies ist daran zu erkennen, dass bis heute Vergewaltigung als Kriegsstrategie völkerrechtlich nicht als geschlechtsspezifisches Verbrechen anerkannt worden ist. Anders formuliert: Es gibt nach wie vor kein Bewusstsein darüber, welche Kriegsverbrechen an Frauen nur auf Grund ihres Geschlechts begangen werden. Die Vernachlässigung von Fraueninteressen drückt sich außerdem praktisch im mangelnden Zeuginnenschutz der Tribunale aus. Dies ist insbesondere deshalb scharf zu kritisieren, weil der Erfolg der Gerichte wesentlich davon abhängt, dass die Opfer den Mut zur Aussage und damit potenziell zu einer zweiten Traumatisierung aufbringen. Dabei müssen sie zumindest sicher sein, nicht ein weiteres Mal in ihrer Existenz bedroht zu werden.
Susanne Zwingel
Definitionsmacht vorbehalten
Männer wie Frauen schaffen und unterstützen den Mythos von der Kriegsverhütung durch Kriegsvorbereitung, von der Sühne von Unrecht durch den "gerechten Krieg", von der Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung. Die Beteiligung von Männern und Frauen am Aufbau der sozialen Wirklichkeit, also bestimmter gesellschaftlicher Normen, ist dabei aber eine unterschiedliche. Männern ist die Definitionsmacht vorbehalten, doch Frauen legitimieren und unterstützen diese. Die Gewalt ist ein zentrales Strukturmerkmal der Institution Staat, der Staaten untereinander, der politischen Verbände, des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern: In die Gewaltstruktur und Gewaltkultur passt die Unter- und Überordnung zwischen den Geschlechtern. Der Krieg als Institution verfestigt und verstetigt Geschlechterstereotypen, die bereits in Friedenszeiten geschaffen, akzeptiert und legitimiert wurden. Solange Gewaltanwendung zwischen den Geschlechtern als legitim und "natürlich" erscheint, solange wird es immer wieder Mobilisierung zum Krieg geben; solange es Kriege gibt, wird es ritualisierte Massenvergewaltigungen geben.
Ulrike C. Wasmuht
Friedfertigkeiten
Es stimmt: Frauen sind empirisch viel weniger gewalttätig als Männer. Untersuchungen zeigen, dass es sich bei Gewalt ganz allgemein um ein männliches Phänomen handelt, ohne dass dies im öffentlichen Bewusstsein präsent wäre. Die meisten Verbrecher, etwa 90 Prozent, sind männlich, keineswegs jedoch die Opfer. Gewalt ist nicht nur in quantitativer Hinsicht ein männliches Phänomen. Es gibt auch spezifische Formen von Gewalt, die fast ausschließlich von Männern ausgeübt werden. Dazu gehören Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, fortgesetztes Prügeln von Frauen u.a.m. Objektiv sind Frauen also überproportional häufig die Opfer von Gewalt, und Männer sind die Täter. Weibliche Rollen innerhalb patriarchaler Gewaltverhältnisse und Gesellschaftsstrukturen umfassen jedoch nicht nur das Gewaltopfer, sondern auch die Täterin und die Mittäterin. Die These von dem angeblich historischen Nicht-Beteiligtsein der Frauen an kriegerisch-militärischer Gewalt ist problematisch.
Sibylle Mathis
Mittäterschaften
Wem "Weiblichkeit" zugeschrieben wird, die soll das Geheimnis um die von Männern hervorgebrachte Weltordnung von Krieg und Frieden wahren. Frauen machen Notizen und tippen Tagesordnungen, geben Staatsgeheimnisse in den Papierwolf, arrangieren den Sitzplan für die diplomatischen Konferenzen der Männer und treffen somit Entscheidungen, die auf einfachstem Wege politische Resultate beeinflussen könnten. Sie tragen Holz, Wasser und Waffen zu männlichen Guerilla-Kriegern: Werden diese Aufgaben verpfuscht, gibt es keinen Krieg. Als Frauen von Diplomaten und Soldaten binden sie Schuhe zu und rühren die Suppe um: Durch ihre Tätigkeiten können sich alle in den Hierarchien wohlfühlen, die gleichzeitig die Beistandsleisterinnen ausschließen.
Christine Sylvester
Ruanda, 1994
Frauen saßen zwar zu einem geringeren Anteil als Männer in Entscheidungspositionen. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass Frauen in Schlüsselpositionen der Politik und des öffentlichen Dienstes weniger als Männer am Genozid und Mord von oppositionellen Hutu beteiligt waren. Ein Autorenteam von African Rights wirft insbesondere vielen Frauen der Bildungselite eine aktive Beteiligung an den Morden vor. Z.B. partizipierte die Ministerin für Frauen und Familie ganz direkt an dem Genozid. In Lagern oder zentralen Gebäuden, in denen Flüchtlinge eingepfercht waren, beaufsichtigte sie regelmäßig die Selektion Hunderter von Tutsi, die getötet werden sollten. Einige der grausamsten lokalen Verwaltungsangestellten, die für den Mord an Tausenden verantwortlich sind, waren Frauen. Es gab eine Anzahl von Journalistinnen bei Radio Rwanda und der privaten Radiostation Radio Télévision Mille Collines sowie bei Zeitungen, die extremistische Propaganda verbreiteten und zum Genozid aufriefen. Krankenschwestern lieferten Patienten und Flüchtlinge den Milizen aus, Lehrerinnen beteiligten sich am Mord von Schulkindern. Auch Nonnen waren in den Genozid involviert. Sie hielten die Türen für Gemeindemitglieder und andere Flüchtlinge geschlossen und lieferten Schutz Suchende an die Mörder aus.
Gabriele Zdunnek
Psychische Deformationen
Wo müssten wir dann aber ansetzen, um ein anderes Umgehen mit Aggressionen zu erreichen? Denn die bloße Einsicht in die Mittäterschaft bewirkt noch nicht automatisch Veränderung. Zwar sind die Geschlechterrollen und damit auch die Art und Weise, wie Männer und Frauen mit ihren Aggressionen umgehen, nicht mehr so starr und fest verankert wie vor wenigen Jahrzehnten. Dennoch ist es immer noch nur eine Minderheit, die aus ihnen ausbricht. Liegt es nur an den "äußeren" Bedingungen, der Tatsache, dass Frauen aus vielen Bereichen der Macht noch weitgehend ausgeschlossen sind, ebenso wie Männer aus den Bereichen Fürsorge und Kindererziehung? Welche "inneren" Gründe mag es dafür geben, sich mit den bestehenden Rollen zufrieden zu geben? Delegieren etwa Frauen das offene Ausleben von Aggressionen an Männer und kontrollieren sie diese insgeheim, d.h. üben damit Macht aus, ohne angreifbar zu sein? Wenn dies so wäre, welche Vorteile hätte das für beide Geschlechter? Mit welchen psychischen Deformationen zahlen Männer für ihre Macht?
Sybille Mathis
Nachkrieg, Bosnien
Ein Problem, das Frauenorganisationen während und nach dem Krieg beschäftigt, ist Prostitution. Auf diesem Markt bringt der Krieg sowohl Nachfrage als auch Angebotsfaktoren hervor. Es gibt mehr Soldaten und Paramilitaristen, mehr Männergruppen, die von Haus und Gemeinde abgeschnitten sind und die käuflichen Sex suchen. Es gibt mehr Frauen - viele von ihnen sind entwurzelt und haben ihre Anstellung verloren, einige sind für den Unterhalt von Menschen verantwortlich, die von ihnen abhängig sind - die zur Prostitution als Lebensunterhalt getrieben werden. Truppenangehörige sind von den Einschränkungen ihrer Gemeinschaften entbunden und werden in eine zutiefst militarisierte Kultur verpflanzt, die Frauen einen geringeren Wert oder Status zuspricht. Die Frauenorganisationen, mit denen wir gesprochen haben, bestätigen, dass es heutzutage offensichtlicher Prostitution als vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens gibt. Ein Anlass zur Sorge ist insbesondere die Anwesenheit vieler verschleppter Frauen in bosnischen Bordellen, die üblicherweise aus der Ukraine, Moldawien oder Rumänien kommen. Sie werden wie jede andere unrechtmäßig importierte Ware zwischen ausländischen und einheimischen Männern gehandelt und in Bedingungen sexueller Knechtschaft gehalten.
Cynthia Cockburn, Melitha Hubic
Cilja Harders, Bettina Roß (Hrsg.): Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden. Perspektiven der feministischen Analyse internationaler Beziehungen. Leske und Budrich 2003, EUR 22,50.