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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 472 / 18.4.2003

Auf die UNO keinen Pfifferling

Immanuel Wallerstein über die Folgen des Irak-Krieges

Im folgenden Interview äußert sich Immanuel Wallerstein, US-amerikanischer Politologe und "Weltsystem"-Theoretiker, zum Krieg gegen den Irak und seinen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den USA und Europa, auf die Rolle der UNO und die Koreakrise. Das Interview wurde am 24. März 2003 von Boris Stremlin in Binghamton geführt. Wir veröffentlichen es in einer übersetzten und gekürzten Fassung.

Wallerstein: Natürlich sind die USA unglücklich über die Möglichkeit der Euro-Abrechnung. Aber das ist nicht Grund genug für den Krieg. In jedem Fall ist es nur ein kleiner Teil von einem größeren Problem: dem Erstarken eines unabhängigen Europas. In Bezug auf Öl habe ich auf zweierlei hingewiesen: Erstens ist die US-Position schon ziemlich gut, was die Kontrolle des Welt-Erdöls angeht im Hinblick auf Profite, Preisniveaus und Zugang; und die leichte Verbesserung, die ein Sieg im Irak bringen könnte, ist kaum der Rede wert. Und zweitens gefährdet der Krieg die US-Kontrolle des Welt-Erdöls. Denn mit dem Krieg wird ein größerer Bruch mit Saudi-Arabien riskiert, Hauptakteur der USA in Sachen Ölpreiskontrolle.

Selbstverständlich wird die Bush-Administration das versuchen. Aber im Allgemeinen sind die USA heutzutage ökonomisch mehr von Europa abhängig als umgekehrt. Sie brauchen Europa, um weiterhin so tun zu können, als wären die USA ein guter Investitionsstandort und der Dollar eine gute Währung. Ansonsten könnte es wirklich bergab gehen mit der US-Wirtschaft.

Wenn die USA gewinnen, werden sie mit Sicherheit den Irak besetzen, zumindest zu Beginn und zumindest, so weit sie ihn kontrollieren können. Ich würde keinen Cent auf die UNO geben. Die USA werden versuchen, so unilateral wie möglich zu agieren. Möglicherweise werden nicht einmal die Briten eine nennenswerte Rolle spielen.

Die EU ist schon längst von einem tiefen Riss durchzogen - nur, dass das nie an die Oberfläche kommen sollte: ein Riss zwischen denen, die Europa als autonomen politischen Akteur auf der Weltbühne sehen wollen, und den "Atlantikern". Auch schon ohne den Irak-Konflikt steckte Europa in einer schwierigen Zeit, was die Schaffung von eigenen Institutionen angeht. Es könnte sehr wohl sein, dass ein Ergebnis des Irak-Krieges der (formale oder tatsächliche) Kollaps der NATO und der EU ist. Wenn das passieren sollte, ist das jedoch nicht das Ende der Europäischen Union. Sie würde um den harten Kern herum wieder aufgebaut. Russland den Riss kitten? Weit gefehlt. Die Rolle Russlands ist Teil der Ursache für den Riss. Die "autonome" europäische Fraktion möchte Russland nämlich in Richtung Europa schubsen. Die "atlantische" Fraktion möchte es ausschließen.

Tatsächlich hat Chirac eine starke Position. Der Grund dafür, warum die ost- und zentraleuropäischen Länder sich auf die Seite der USA gestellt haben, ist der, dass sie nach wie vor Angst vor Russland haben. Diese Angst ist zwar verständlich, heutzutage aber auch ein bisschen irrational. Zumal die USA ihnen kaum mehr anbieten als ein bisschen ideologisches Aufgehobensein. Die wirtschaftlichen Beziehungen der USA sind grundlegend mit Westeuropa verknüpft. Für die anderen Länder werden die USA so zuverlässig sein wie für die Kurden - und das werden diese Länder schon bald merken.

Wie wahrscheinlich ist es - angesichts des Irak-Krieges - , dass es China und Russland gelingt, die Krise mit Korea zu "managen"? Sind die USA jetzt mehr oder weniger bereit, der Forderung von Kim Jong Il nach bilateralen Verhandlungen nachzukommen?

Das hängt vom Verlauf des Irakkrieges ab. Je leichter der Sieg, umso mehr werden die USA unnachgiebig in Bezug auf Nordkorea sein, und umso mehr wird Nordkorea provozieren. Wir sollten einen Nuklearkrieg auf der koreanischen Halbinsel nicht aus dem Bereich des Möglichen verbannen. Natürlich, Japan, China und Südkorea sind von dieser Aussicht zu Tode erschrocken und in Panik, weil sie spüren, dass sie sich entscheiden müssen zwischen einer US-Rolle als Verteidiger gegen Kim Jong Il und einer US-Rolle als Kriegstreiber - in einen Krieg, den niemand gewinnen kann.

Dass das Veto ein Fehler war (das gilt für Frankreich ebenso wie für China), ist Nonsens. Ein Verzicht hätte ja nicht mehr bedeutet, als dass Frankreich und China öfter Gelegenheiten gehabt hätten, im Sicherheitsrat für US-Resolutionen zu votieren. Die Veto-Macht ist nur dann eine solche, wenn sie von Zeit zu Zeit genutzt wird. Und die USA werden in den Sicherheitsrat zurückkehren, wenn sie es brauchen, und sie werden nicht zurückkehren, wenn sie es nicht brauchen. Sicher haben weder China noch Frankreich internationales Standing verloren. Ganz im Gegenteil. Genau deshalb sind die USA ja auch so erbost.

Wenn es nach den "Falken" gegangen wäre, hätten die USA schon vor 30 Jahren die UNO verlassen. Die UNO kann nicht reformiert werden, weil das Vetorecht auf jegliche Reform anwendbar ist. Zwar haben die USA in der Vollversammlung noch weniger die Mehrheit als im Sicherheitsrat. Aber die Vollversammlung hat überhaupt keine Autorität.

Das komplette Interview unter: www.fbc.binghamton.edu/iwstrem.htm