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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 473 / 16.5.2003

Zwischen den Punkten hindurch in eine neue Richtung

Transversalität als Aktivismus, Kunst- und Theorieproduktion

"Public Art boomte schon zu Beginn der 90er Jahre in vielfältigen Spielarten: partizipatorische Praxen, Community Arts, New Genre Public Art, Kommunikationsguerilla, konkrete Intervention, Aktivismus etc. brachten eine Verschiebung der künstlerischen Interessen von Erkenntnisfragen auf soziale und politische Aktivitäten. Statt Objekten traten temporäre Projekte in den Vordergrund, statt EinzelkünstlerInnen Communities, statt Kunstkonsum Partizipation.

Ab der Mitte der 90er häuften sich kritische Stimmen, die diesen politischen Kunstpraxen vorwarfen, depolitisierend zu wirken oder reformistisch an der Durchsetzung neuer Formen der neoliberalen Expansion mitzuwirken. Als Argumente angeführt wurden u.a.: die zweifelhafte Funktion der Projekte in Prozessen der Gentrification oder im Verschleiern des Rückbaus sozialstaatlicher Strukturen, die Vereinnahmung als Mittel der Tourismuswerbung zu Gunsten der Aufwertung von Städte-Image, die Instrumentalisierung der Differenz von marginalen Themen und Gruppen, die Rückkehr des ,Künstler-Vaters` durch die Hintertür. Als Teilaspekt und Effekt dieser kritizistischen Welle kam es auch im Kunst-Mainstream zu einem merklichen Backlash, einem Rückzug in die alten Räume, einer Rückkehr zu den Fragen von Erkenntnis und Erfahrung in der Rezeption.

Nun lassen sich Anzeichen eines neuerlichen Umschwungs bemerken. Was den Praxen der 90er gefehlt hat, scheint in einer neuen Situation gegeben: die Einbettung in einen größeren Kontext, die Anknüpfung an soziale Bewegungen. In Zusammenhang mit den heterogenen Formen der Kritik an der ökonomischen Globalisierung scheint sich eine Transformation der alten Formen von Interventionskunst und die Entstehung neuer Praxen anzukündigen. Das Wieder-Öffentlich-Werden von Kunst im Kontext politischer Bewegungen zeichnet sich ab. Um die Themenbereiche und aktivistischen Stränge von Globalisierung, Grenzregimes und Migration entstehen die Bedingungen dafür, dass ,revolutionäre Maschine, Kunst-Maschine und analytische Maschine wechselseitig Bestandteile und Räder voneinander werden` (Gilles Deleuze/Félix Guattari)." http://www.republicart.net/manifesto.htm

Mit diesen hoffnungsvollen Worten schließt das Manifest eines transnationalen Projekts, das seit einigen Monaten versucht, die in den letzten Sätzen des obigen Textes beschriebenen, aktuellen Ansätze von politisierten Kunstpraxen diskursiv zu begleiten. Das in Zusammenarbeit mit Institutionen in verschiedenen Teilen Europas (in Ljubljana, London, Lüneburg, Riga, Wien u.a.) durchgeführte Projekt republicart versucht, auf der Basis von sehr verschiedenartigen Kunstprojekten, Work-Shops, Symposien und Konferenzen die unterschiedlichen Diskurse zu verschränken, die die aktuelle Debatte über künstlerische Beiträge zu politischen Bewegungen prägen. Grundlegende Devise des das Gesamtprojekt koordinierenden European Institute for Progressive Cultural Policies (www.eipcp.net) in Wien ist dabei ein Ansatz, der zumindest temporäre Überlappungen von politischem Aktivismus, kritischer Kunstpraxis und Theorieproduktion als Ausgangspunkt für alle Aktivitäten versteht.

Neben den Veranstaltungen und Kunstprojekten liegt der Fokus vor allem in der methodischen wie inhaltlichen Entwicklung der multilingualen Textproduktion. Wichtigster Bestandteil der Website www.republicart.net ist daher ein Webjournal, dessen erste Issues etwa widerständige Kunstpraxen in den Kontexten von Grenzcamps und der Wiederaneignung öffentlichen Raums (hybrid?resistance), Kommunikationsguerilla und Kunst als Sabotage (art sabotage) oder die verschiedenen Begrifflichkeiten von Globalisierung und Globalisierungskritik vor allem im kulturellen Feld (mundial) thematisieren. In drei bis fünf Sprachen veröffentlichte Texte von AktivistInnen und TheoretikerInnen versuchen, nicht nur die Hermetik linker Diskurse aufzuweichen (Stichwort: Transsektorialität), sondern auch die Basis zu schaffen für eine Verständigung über die nach wie vor diskursbestimmenden und -begrenzenden nationalstaatlichen und sprachlichen Grenzen (Stichwort: Transnationalität).

Womit auch schon die wichtigsten Begriffskomponenten jenes Begriffs angesprochen wären, mit dem das Projekt in seinem ersten Symposion gestartet war. Für das Wiener Symposion "TRANSVERSAL. Kunst und Globalisierungskritik", dessen Dokumentation nun in Buchform vorliegt, wurde der Begriff der Transversalität aus den politische Kontexten des Mai 1968 und den theoretischen des französischen Poststrukturalismus entlehnt und auf seine Anwendbarkeit auf aktuelle Aktivismen untersucht.

Félix Guattari und Gilles Deleuze, die den Begriff der Transversalität damals in die Debatte einführten, - und in deren Nachfolge übrigens auch Michael Hardt und Antonio Negri - wird oft recht polemisch und mit unterschiedlichem Ausmaß an Argumentationsschärfe vorgeworfen, bei Fragen der Organisierung in anarchische Formlosigkeit abzudriften. Dabei messen gerade Deleuze/Guattari dieser Frage besondere Bedeutung zu; nur eben in einer spezifischen Sprache, die die Transformationen kollektiver Selbstorganisation in erstarrte Bürokratie möglichst verunmöglichen soll. Das heißt, es geht also erstens um die jeweils geeignete Form der Organisation und zweitens - und aufs engste korrelierend damit - um die geeignete Form der Begrifflichkeiten dafür. Die Begriffe selbst und ihre Kontexte sollen durchzogen sein von derselben Mehrstimmigkeit und Offenheit, die auch für die geeignete Organisationsform von konstituierenden Praxen ausschlaggebend ist, gegen jede harte "Strukturalisierung", Zentralisierung und Parteiförmigkeit.

"Das Problem der revolutionären Organisation ist im Grunde das der Einrichtung einer institutionellen Maschine, die sich durch eine besondere Axiomatik und eine besondere Praxis auszeichnet; gemeint ist die Garantie, dass sie sich nicht in den verschiedenen Sozialstrukturen verschließt, insbesondere nicht in der Staatsstruktur", schreibt Félix Guattari 1969 und setzt mit der dualen Konstruktion Maschine-Struktur auch gleich ein Beispiel für die Politik der Herstellung von Begriffen.

Und was ist mit Organisierung?

Das Zusammendenken der beiden Ebenen Organisationsform/ Begriffserfindung kulminiert in Begriffen wie denen der Kriegsmaschine, der molekulären Masse oder der Transversalität. Letztere - so führt Guattari im 1964 geschriebenen Aufsatz "Transversalität" aus - soll beide Sackgassen überwinden: die Vertikalität der hierarchischen Pyramide genauso wie die Horizontalität des Kommunikationszwangs, die alte Befehlsstruktur im Top-down-Modus genauso wie die später in postfordistischen Zusammenhängen durchgesetzte Logik des horizontalen Kontroll-Netzwerkes. Die räumliche Statik der geometrischen Begriffe horizontal und vertikal wird mit der Einführung der neuen Ebene der Transversalität auf die Zeitachse in Bewegung gebracht und beschleunigt.

Transversale: Flucht- und Bruchlinie

Im Gegensatz zu offen hierarchischen Organisationsformen und pseudo-nichthierarchischen Netzwerken, die einfach als poly-zentrische die Hierarchien zu verdecken suchen, entwickeln transversale Linien Gefüge, die a-zentrisch sind, die sich nicht auf der Grundlage von vorgegebenen Strängen und Kanälen bewegen, von einem Punkt zum anderen, sondern zwischen den Punkten hindurch in eine neue Richtung. Transversalen sind also - um in der Sprache der Geometrie zu bleiben - keineswegs Verbindungen von mehreren Zentren oder Punkten, sie sind Linien, die sich nicht einmal kreuzen müssen, Fluchtlinien, Bruchlinien, die sich den Punktsystemen und ihren Koordinaten kontinuierlich entziehen.

Im Dokumentationsband "TRANSVERSAL. Kunst und Globalisierungskritik" findet sich programmgemäß eine Mischung aus Praxisbeispielen aus den Überlappungszonen von künstlerischem und politischem Aktivismus, kombiniert mit reflexiven und theoretischen Ansätzen zum Thema. Obwohl die Organisationsfrage nicht vorrangiges Thema von Konferenz und Buch waren, zieht sie sich durch die ganze Publikation als unsichtbare Klammer. Offenbar scheint der Begriff der Transversalität also gerade nicht, wie Oliver Marchart in einem polemisch zugespitzten Angriff auf die "Althippies" Deleuze/Guattari und die Superstars der "Selbstausbeutungsjederseineigenerunternehmermonaden" Hardt/ Negri meint, nur so zu tun, als ob er schon die Antwort auf die Frage nach der Organisationsform wäre.

Offenbar eignet dem Begriff genau jene Eigenschaft der Offenheit, die Organisierungsfrage immer wieder aufzuwerfen und insistierend zum Thema zu machen: Zur Sprache gebracht wird das vor allem in Gini Müllers Argumentation, die den begrifflichen "Groove" gegen die "Intellektuellenstreitrhetorik" verteidigt: "Gute Musik/Analyse ist noch keine Anleitung zur Handlung, aber sie verändert den Ton und macht das Spiel bewusster." Müllers Beschreibung der VolxTheaterKarawane, die neben Kommunikationsguerilla, Yes Men und kein mensch ist illegal ein konkretes Reflexionsobjekt künstlerischen Aktivismus im Band darstellt, schlägt aber nicht um in euphorische Bejubelung der Multitude. Sie reflektiert auch das Zerriebenwerden durch die Verhaftung in Genua und die gewaltsame Bilderproduktion der Medien, die Gegensätze zwischen dem idealistischen Slogan "no border, no nation" und der Schwierigkeit der Beteiligung von MigrantInnen an nomadischen Unternehmungen, und macht nicht halt vor der Thematisierung der banalen Sackgassen des Aktivismus: "Wer will noch stundenlang auf Plena sitzen?"

Verkettung statt Volksfrontästhetik

In einem anderen Beitrag wird aber prompt auch aus dieser Sackgasse ein Ausweg gesucht: Der Antirassismus-Aktivist Andreas Görg verhandelt in seinem Text "Alle Macht den vernetzten Plena!" nicht nur die Parteiform, sondern auch Großkundgebungen, Volksbegehren, aktivistische Praxen, Plena und Netzwerke und vergisst dabei auch nicht, aus reichem praktischen Fundus scheinbar alltägliche Fragen wie die Erstellung von Tagesordnungen als verdeckte Vorbedingungen und Akte der Setzung von Hierarchie zu thematisieren.

Gegen ein allzu einfach vorgestelltes Prinzip der Transversalität als Modell der internen Zusammensetzung von Protestbewegungen eignet sich vor allem der Beitrag der Autorin und Filmemacherin Hito Steyerl. In "Die Artikulation des Protestes" stellt sie einerseits die Frage nach dieser Zusammensetzung als bloße Verkettung von Beliebigem, andererseits problematisiert sie auf einer Metaebene die alternative Medien-Produktion als Verdopplung dieser kontingenten Verkettung. Steyerl kritisiert die Aneinanderreihung von Bildern und Tönen bei Indymedia anhand des Bewegungsvideo-Klassikers "Showdown in Seattle": "Die Form ist somit ... analog der Formensprache der kritisierten Corporate Media, nur der Inhalt ist anders, nämlich eine additive Kompilation von Stimmen, die zusammengenommen 'the voice of the people', die 'Stimme des Volkes' ergeben. Wenn alle diese Artikulationen addiert werden, kommt nach dieser Rechnung hinten 'die Stimme des Volkes' heraus - ungeachtet der Tatsache, dass die verschiedenen Forderungen einander politisch teilweise radikal widersprechen, etwa die von Umweltschützern und Gewerkschaftern, verschiedenen Minderheiten, feministischen Gruppen, etc., und überhaupt nicht klar ist, wie diese Forderungen denn miteinander vermittelt werden." Wie ein passendes Gegenmodell aussehen könnte, das derartige Volksfrontästhetik überwindet, bleibt zwar offen, denn Hito Steyerl stellt dem einen Godard/Mieville-Film gegenüber, der die Artikulation des Protestes zwar radikal selbstkritisch reflektiert, dafür aber wohl auf die Rezeption von CineastInnen beschränkt bleiben dürfte.

Allgemeiner und wieder zurück auf der Ebene der realen Zusammensetzung der Bewegungen ist an Steyerls Argumentation zu lernen, dass Transversalität nicht als wahlloses und widerspruchsverdeckendes Aneinanderreihen von Zufälligem zu verstehen sein kann oder als politisch-propagandistisches Aufrollen verschiedener sozialer Felder, sondern als Vielfalt temporärer Allianzen, als produktive Verkettung von nie glatt Zusammenpassendem, ständig sich Reibendem, durch diese Reibung Vorangetriebenem oder auch sich wieder Auflösendem.

Gerald Raunig


TRANSVERSAL. Kunst und Globalisierungskritik, Turia+Kant: Wien 2003, 20,- Euro, Der erste Band aus der republicart Publikationsreihe u.a. mit Beiträgen von Autonome A.f.r.i.k.a. Gruppe, L. Bratic, L. Caixeta, K. Diefenbach, A. Görg, T. Leisch, O. Marchart, E. Mayerhofer, S. Nowotny, The Yes Men