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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 474 / 20.6.2003

Abwinken und Auslachen

Proteste gegen das jährliche Traditionstreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald

Wie jedes Jahr an Pfingsten versammelten sich Wehrmachtsveteranen und Bundeswehrsoldaten der Gebirgsjägertruppe im bayrischen Mittenwald, um den gefallenen Soldaten zu gedenken. 50 Jahre lang trafen sie sich ungestört, mittlerweile aber regt sich Protest: 300 Menschen besuchten das Hearing zu den Kriegsverbrechen der NS-Gebirgsjäger. Überlebende aus Griechenland und Italien berichteten dort von den Massakern und forderten eine Entschädigung sowie eine offizielle Verurteilung der von Gebirgsjägern begangenen Kriegsverbrechen.

Nahe der österreichischen Grenze, umgeben von steilen Bergen und stillen Gewässern, liegt das Örtchen Mittenwald. Dort treffen sich jedes Jahr an Pfingsten Wehrmachtsveteranen und Bundeswehrsoldaten, um am "Ehrenmal der Gebirgstruppe" auf dem Hohen Brendten der "gefallenen und vermissten Kameraden" zu gedenken. Die Veranstaltung mit Gottesdienst und Gebirgsmusikkorps gilt als größte soldatische Feier in Deutschland.

Angreifbare Traditionspflege

Der Traditionsverband "Kameradenkreis der Gebirgstruppe", der die Versammlungen organisiert, hat rund 8.000 Mitglieder. Zu den Prominenteren zählt Edmund Stoiber. In einem Grußwort an die Kameraden hatte er laut TV-Magazin Monitor auf einem der letzten Treffen gesagt: "Als bayrischer Ministerpräsident, der seinen Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern abgeleistet hat, bin ich natürlich besonders stolz auf diese spezifisch bayerische Truppe und ihre Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart."

Die Leistungen in der Vergangenheit - dazu gehören Massaker, standrechtliche Erschießungen, Raub und das Schänden von Frauenleichen. Schwerste Kriegsverbrechen der Gebirgstruppe sind für rund 50 Orte in Europa belegt. Die Leistungen in der Gegenwart - Edmund Stoiber dachte dabei sicher an die Einsätze der Gebirgsjäger innerhalb der SFOR und KFOR im früheren Jugoslawien und der Isaf in Afghanistan und weniger an die Videoaufnahmen mit gestellten rassistischen Morden, Vergewaltigungen und antisemitischer Gewalt. Soldaten des Gebirgsjägerbataillon 571 aus Schneeberg/Westerzgebirge hatten die Filme gedreht. Auch Offiziere sollen daran beteiligt gewesen sein.

Edmund Stoibers Diktum von der "unangreifbaren Traditionspflege" stimmt nicht mehr. Fünfzig Jahre lang prosteten sich die Gebirgskameraden ungestört auf ihren Treffen mit Schweinebraten, Knödeln, Bier und Blaskapelle zu und gaben sich militaristischer Gefühlsduselei hin. Nun wurde zum ersten Mal kräftig in die bayrisch-deutsche Idylle gepiekst.

Der Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" und die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen" (VVN-BdA) veranstalteten am traditionellen Stationierungsort der 1. Gebirgsdivision ein Hearing mit Überlebenden der Massaker auf Kephalonia, in Kommeno und Distomo. Fast 300, meist junge TeilnehmerInnen des Hearings lauschten ihren Berichten. Sie waren aus dem ganzen Bundesgebiet angereist, viele erreichten die Veranstaltung am 7. Juni wegen umfangreicher Personen- und Gepäckkontrollen der Polizei mit Verspätung. Von wenigen Einzelpersonen abgesehen interessierten sich die MittenwälderInnen nicht für die Vorträge der Überlebenden aus Italien und Griechenland. Einige zogen es vor, der Kranzniederlegung zum 25-jährigen Bestehen des Tragtierdenkmals beizuwohnen.

Auf dem Podium des Hearings sitzt eine kleine Frau mit Kopftuch, schwarz gekleidet. Christina Dimou aus Griechenland berichtet, wie deutsche Wehmachtssoldaten im August 1943 das Dorf Kommeno im Schlaf überrascht und mit Granaten angegriffen hatten. Die Gebirgsjäger erschossen 317 Männer, Frauen und Kinder. Sie zündeten Häuser an und zielten auf die flüchtenden Menschen. Mit Bierflaschen schändeten sie Frauenleichen, das Vieh und Wolle nahmen sie mit. Die Gebirgsjäger entdeckten auch Christina Dimous Brüder, die sich im Maisfeld versteckt hatten, und erschossen sie. "Mehr will ich nicht erzählen, aber ich möchte betonen, dass wir gute Menschen waren", sagt die alte Frau, die als 13-Jährige das Massaker überlebte.

Reinhold Klebe, unter dessen Kommando die 12. Kompanie des Gebirgsjägerregiments 98 stand, wies vor der Staatsanwaltschaft München von sich, dass er den Befehl erteilt habe. Die Ermittlungen waren 1972 mit der Begründung des "Beweismangels" eingestellt worden. HistorikerInnen des "Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege" sind sich sicher, dass die Tatverdächtigen 1968, als es Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen gegen ehemalige Angehörige der Gebirgstruppen gab, die Pfingsttreffen nutzten, um ihre Aussagen und ihre Verteidigungsstrategie untereinander abzusprechen. "Unser Interesse ist, dass deutsche Soldaten wegen Kriegsverbrechen endlich vor ein deutsches Gericht gestellt werden - das hat es, so weit wir wissen, noch nie gegeben", sagt der Historiker Ralph Klein, Veranstalter des Hearings und Mitglied im "Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege". Dieser hat im letzten Jahr Anzeige und Antrag auf Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen namentlich bekannte Angehörige der 12. Kompanie des Gebirgsjägerregiment 98 gestellt. Diese Kompanie hat kollektiv das Dorf Kommeno massakriert. "Wir wissen nicht, wie viele von denen noch leben, wir haben bislang nur ein Dutzend ausfindig machen können", sagt Klein. Die Staatsanwaltschaft könne das sehr viel schneller recherchieren, aber die zuständigen Stellen seien personell unterbesetzt, die Ermittlungen verliefen schleppend und bislang sei noch keine Anklage erhoben worden, kritisiert Klein. Im Fall Kommeno wird derzeit nur geklärt, wer von den aufgelisteten Personen noch lebt. "Zur Zeit führt die Polizei noch Vorermittlungen", sagt Joachim Eckert, Oberstaatsanwalt in München. Wann entschieden wird, ob das Ermittlungsverfahren wieder aufgerollt wird, ist unklar: "Es wird dauern", so die Einschätzung des Oberstaatsanwaltes.

Auch Amos Pampaloni war Gast des Hearings. Der 93-Jährige hat die Massenerschießungen auf der griechischen Insel Kephalonia überlebt. Dort hatten im September 1943 Truppen der 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht mindestens 4.000 italienische Kriegsgefangene ermordet, nachdem das einst verbündete Italien einen separaten Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte. "Die Deutschen sind dann singend abgezogen", erzählt der ehemalige Artilleriehauptmann, der sich den griechischen PartisanInnen anschloss, als seine Schusswunden verheilt waren.

Weil HistorikerInnen und JournalistInnen neue ZeugInnen und historische Belege vorlegten, wurden die Ermittlungsverfahren wegen der Erschießungen auf Kephalonia wieder aufgenommen. So konnten bei den Ermittlungen in den Sechziger Jahren keine Tatverdächtigen aus der damaligen DDR vernommen werden.

"Ich ermittele mit Hochdruck und arbeite jeden Tag zehn Stunden", sagt der Staatsanwalt Ulrich Maaß. Er ist Leiter der nordrheinischen Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Dortmund und ermittelt im Fall Kephalonia. Über 4.000 Personen aus Kanada, Belgien, den USA, Österreich, Italien und anderen Ländern müsse er ausfindig machen und befragen. In der früheren DDR habe er mittlerweile 25 Zeugen ermittelt und vernommen. "Es erscheint möglich, dass es in etwa fünf Fällen zu einer Anklage kommen könnte," formuliert der Staatsanwalt vorsichtig. Das juristische Problem: Totschlag ist längst verjährt, jetzt muss den Tätern Mord nachgewiesen werden.

Singend zogen
die Deutschen ab

Argyris Sfountouris, der als kleiner Junge das SS-Massaker in dem griechischen Dorf Distomo überlebte, mahnte auf dem Hearing nicht nur die Bestrafung der Täter an, sondern auch die öffentliche Verurteilung der Verbrechen und die Entschädigung der Opfer. "Es schmerzt das Schweigen hier, es schmerzt das kalte Herz", sagt Sfountouris. Er und seine Schwester, deren Eltern und 30 weitere Verwandte erschossen wurden, klagen derzeit gegen die Bundesrepublik Deutschland. Diese verweigert bislang jegliche Entschädigungszahlungen. Die Überlebenden sind mit gesellschaftlicher Gleichgültigkeit konfrontiert und es wird nichts unternommen, um das Leid der Opfer zu mindern.

Die Trauer der Täter und ihrer Familien, nicht nur um die eigenen Opfer, sei der erste Schritt zur Reue. "Es ist auch nach 60 Jahren nicht zu spät, sondern notwendig", so Sfountouris. Mit dem Verschweigen der Untaten und der Flucht in Unglauben werde auch die Würde der Hinterbliebenen zerstört. Eine "ethische Prophylaxe" sei nötig, zu der es beispielsweise auch gehöre, in Schulen "die moralische Pflicht zur Desertion" zu unterrichten. Nur weil sich an jenem apokalyptischen Abend in Distomo bei einem Soldaten eine "ur-menschliche Regung" erhalten und er zwei fliehenden Kinder in ein Versteck gewunken hatte, seien er und seine Schwester noch am Leben, erzählt er.

Parolen auf
dem Ehrenmal

Während der Feier und des Gottesdienstes der Gebirgsjäger auf dem Hohen Brendten am Pfingstsonntag kam Sfountouris' Anliegen nicht zur Sprache. Die 1.500 Gebirgsjäger und ihre Familien gedachten den "gefallenen und vermissten Kameraden". Man dankte der Polizei, die im Hubschrauber, mit Hunden und auf Pferden die Proteste überwachte. Am "Ehrenmal der Gebirgsjäger", das mit grünen Planen verhüllt war, um die Tage zuvor gesprühten Parolen gegen die Traditionspflege zu verdecken, wurde der Kranz des Verteidigungsministeriums niedergelegt. Eine Blaskapelle spielte auf - ab und an ertönte ein Partisanenlied, das von der Protest-Mahnwache hinaufwehte.

Dort hatten sich über 300 DemonstrantInnen, darunter auch der Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann und der Widerstandskämpfer Peter Gingold, versammelt, um an die Massaker der NS-Gebirgsjäger zu erinnern. Als die Kameraden in der grauen Gebirgsjägeruniform mit ihren Ehefrauen im Dirndl die Feier verlassen, müssen sie die Transparente und Sprechchöre der ProtestiererInnen passieren. Die meisten schütteln den Kopf, lächeln verachtend. Als sie in ihren Autos langsam an der Mahnwache vorbeirollen, ertönen die Namen von Wehrmachtssoldaten der 12. Kompanie des Gebirgsjägerregiments 98, die das Massaker in dem Dorf Kommeno anrichtete.

Anke Schwarzer