Revolution Lady Style, Now!
Das Ladyfest Hamburg und das Erbe von Riot Grrrl
Wenn vom 21. bis zum 24. August das Hamburger Ladyfest vom Stapel läuft, hat es eine über zehnjährige feministische Tradition im Schlepptau, die als Riot-Grrrl-Bewegung ihren Anfang nahm. Und die hat bekanntlich ihre Wurzeln im Punk. Erinnern wir uns zurück und werfen einen Blick auf das Manifest der Riot Grrrls:
WEIL es für uns Mädchen einfacher werden soll, unsere Arbeiten zu hören/sehen, damit wir unsere Strategien teilen und uns gegenseitig kritisieren/applaudieren können. WEIL wir die Produktionsmittel übernehmen müssen, um unsere eigenen Bedeutungen zu kreieren. WEIL wir Wege finden wollen, wie wir antihierarchisch sein und Musik machen, Freundschaften und Szenen entwickeln können, die auf Kommunikation und Verständnis basieren und nicht auf Konkurrenz und Kategorisierungen von Gut und Böse.
WEIL wir Kapitalismus in all seinen Formen hassen und weil es unser zentrales Ziel ist, Informationen zu teilen und wir nicht den herrschenden Standards entsprechend nur Geld machen oder cool sein wollen.
Das Besondere an Riot Grrrl war, dass die Bewegung genau an der Schnittstelle von Popkultur und Feminismus andockte: Anfang der 90er Jahre formierten sich Frauen aus der Punk- und Grunge-Szene in Olympia, Washington und Washington D.C., produzierten eigene Zines und gründeten Bands wie Bratmobile, Bikini Kill, Team Dresch oder Sleater Kinney. Das waren nur einige der Maßnahmen angesichts einer männlich dominierten, weißen Musikszene, in der Frauen die Nebenrollen spielten - als Groupies oder Girlfriends. Außerdem trafen sich junge Frauen, um über Sexismus, sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung, Essstörungen und Pornografie zu diskutieren und Gegenstrategien zu entwickeln. Eines der wesentlichsten Ziele dabei war die Selbstermächtigung, z.B. durch Selbstverteidigung. Klar, dass auch Schönheitsidealen und gängigen Geschlechterkonstruktionen der Kampf angesagt wurde. Die Kritik an kapitalistischen Verwertungszwängen führte dazu, dass der Do-it-yourself-Gedanke sich ausbreitete, wobei es galt Hierarchien abzubauen und die Grenzen zwischen Publikum und Performerinnen aufzuheben, indem die Zuschauerinnen aufgefordert wurden, sich aktiv einzubringen.
So weit, so gut. Wenn da nicht die Medien gewesen wären, die das Riot-Grrrl-movement komplett entpolitisierten und zu einem Modephänomen degradierten. Vor allem in Deutschland wurden Riot Grrrls auf freche Früchtchen und Lolitas im Schlampenlook reduziert. Nicht erst seit diesen bitteren Erfahrungen ist vielen Riot Grrrls die gängige Medienlandschaft ein Dorn im Auge. Daher spielte von Anfang an die Vernetzung und der Aufbau eigener Vertriebsstrukturen, Labels, Fanzines eine zentrale Rolle.
Aufsehen erregte seinerzeit der Fall des Samplers "Home Alive". Home Alive war 1993 in Seattle von Feministinnen als Non-Profit-Organisation für Selbstverteidigungskurse gegründet worden. Die Entscheidung des Kollektivs einen Sampler, dessen Erlös dem Projekt zugute kommen sollte, bei Sony zu veröffentlichen, führte zu heftigen Debatten. Würden sie den Balanceakt bewältigen, eine breite Zielgruppe anzusprechen ohne die eigene Integrität aufs Spiel zu setzen? Home Alive gelang es, einen Vertrag auszuhandeln, der ihnen volle Kontrolle über Inhalt, Marketing und Werbung überließ. Statt der erwarteten 40.000 Alben verkauften sich 150.000, und die Home-Alive-Frauen hatten nun genug Geld um ihre feministische Arbeit zu finanzieren. "Sich durch die Medien manövrieren, so gut wir konnten", war die Taktik des Kollektivs, eine andere, im Riot-Grrrl-Kontext gängigere, ist die totale Verweigerung gegenüber herkömmlichen Medien. Wer aber sind "die Medien" und wer definiert, welche Medien okay sind und welche nicht?
Als Reaktion auf den unsäglich vereinnahmenden Medienhype eigneten sich ehemalige Riot Grrrls den Begriff "Lady" an und zelebrierten das erste Ladyfest im Jahre 2000 in Olympia, Washington. Wie "Girl" ist auch "Lady" als Rückeroberung zu verstehen - so wie man sich zuvor "bitch" oder "slut" subversiv angeeignet hatte oder "gay" oder "nigga". Eine Lady ist eine Frau, die Respekt einfordert, sich ihrer Fähigkeiten bewusst ist und nicht mehr um Anerkennung kämpfen muss. Dabei wird "Lady" keineswegs biologistisch verstanden, sondern bezieht gezielt queere und transgender Personen mit ein, denn schließlich ist eines der Ziele des Ladyfests die Aufhebung von Zwangsheterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit.
Don't be in love with the guitarist...
Ladyfeste sind eine Plattform für feministische, queere und transgender Kultur. Bereits ein Jahr nach Olympia, Washington organisierten Frauen Ladyfeste in anderen Städten und die Welle schwappte kurz darauf nach Europa über. Das Ladyfest Hamburg, das nunmehr ca. Fünfzigste seiner Art, steht also in einer langen Tradition und ist Teil eines internationalen Netzwerks. Besonders wichtig - und hier wird die Riot-Grrrl-Idee wieder aufgegriffen - ist der Do-it-yourself-Gedanke. In bester Punk-Manier bietet das Ladyfest offene Bühnen für Künstlerinnen, die noch keine oder wenig Bühnenerfahrung haben und ihre Arbeiten nun vor solidarischem Publikum präsentieren können. Dies gilt für Kunstausstellungen ebenso wie für Konzerte junger Bands und Lesungen noch unveröffentlichter Autorinnen. In Work-Shops geben Frauen ihr Wissen weiter, lernen gemeinsam, wie man Fanzines gestaltet oder Comics zeichnet. Stockkampf und Klettern stehen dabei ebenso auf dem Programm wie Radical Cheerleading, das so gar nicht dem Bild braver College-Girls entspricht, die das männliche Team supporten, sondern wo sexistische Inszenierungen ironisch gebrochen werden. Noch mehr gender trouble wird es beim Work-Shop zu Boygroups geben, der sich mit cross dressing, drag kings und queer politics befasst.
Trotz der Verankerung in der Riot-Grrrl-Tradition hat jedes Ladyfest seinen ganz eigenen Charakter. Es gibt keine Corporate Identity, kein einheitliches Format, sondern jedes Ladyfest ist Produkt der Frauen, die in der Vorbereitungsgruppe ihr Engagement, ihre Interessen und Erfahrungen aus diversen politischen und kulturellen Kontexten einbringen. Die Heterogenität, die sich in der Vorbereitung und im Programm wiederfindet, basiert auf der Koexistenz unterschiedlichster feministischer Ansätze - von Separatismus und strategischem Essentialismus bis zu postfeministischen oder dekonstruktiven Praktiken.
Große Diskussion gab es im vergangenen Jahr in London, weil viele Ladys das Festival als viel zu kommerziell ansahen: mit überhöhten Eintrittspreisen und dem Schwerpunkt auf "großen Namen" anstatt - wie z.B. in Amsterdam - auf Networking und Riot-Tradition. Diese Debatten bleiben auch unter den rund 60 Organisatorinnen des Hamburger Ladyfests nicht aus, von denen einige wegen "mangelndem Konsens" oder "zu viel Pragmatismus" bereits wieder ausgestiegen sind.
Konträre Auffassungen von Feminismus treffen aufeinander und zeigen, dass es nicht "den" Feminismus gibt, sondern unzählige verschiedene feministische Strategien. Von "Auf alle Fälle die Stadt rocken" bis "Sich um keinen Preis anbiedern wollen" reichen da die Ansätze. Und der Balanceakt bleibt schwierig, auch wenn sich die Organisatorinnen darauf verständigt haben, dass beide Strategien ihre Berechtigung haben: die Tendenz, eigene Strukturen zu nutzen, zu verstärken, auszubauen (die als Gettoisierung kritisiert wird) bzw. der Wunsch möglichst breit und fett präsent zu sein und auch solche Medien zu nutzen, die kapitalistischen Verwertungszwängen unterliegen (was als Ausverkauf verstanden wird). Oder wie es die New Yorker Fotokünstlerin Shell Sheddy in Lips, Tits, Hits, Power sagt: "Schwierigkeiten ergeben sich immer dann, wenn eine Gruppe von Frauen zu dominant wird, ihre Definition von den ,richtigen` Riot Grrrls dem Rest aufdrängt und dabei Andersdenkende ausschließt, also genau das tut, was Riot Grrrl eigentlich bekämpfen will - Hierarchien etablieren, Konkurrenz und Abwertung statt Unterstützung schaffen."
... b e t h e
G u i t a r i s t !
Auch wenn um die Umsetzung gestritten wird, einig sind sich alle Ladyfest-Organisatorinnen in ihrer Zielsetzung! Denn seit Schwarz-Schill sind die Orte für feministische/queere Kultur in Hamburg weniger geworden. Ein Grund mehr für die Ladyfest-Organisatorinnen öffentliche Freiräume zu schaffen, die weitestgehend frei sind von Sexismus, Kapitalismus, Rassismus und Antisemitismus, aber gerade auch frei von normierten Vorstellungen, Konkurrenzdenken, Schönheitsidealen und anderen (Alltags-) Zwängen und Konstruktionen.
Pressegruppe des Ladyfests Hamburg
Literatur:
Riot-Grrrl-Manifest, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Baldauf, Anette, Katharina Weingartner (Hg.), Lips, Tits, Hits, Power? Popkultur und Feminismus. Folio, Wien/Bozen, 1998
Kailer, Katja/ Anja Bierbaum: Girlism, Feminismus zwischen Subversion und Ausverkauf. (Berliner Arbeiten zur Erziehungs- und Kulturwissenschaft, Bd. 10), Logos Verlag, Berlin 2002