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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 475 / 15.8.2003

PDS annulliert 8. Parteitag

Das gibt's wohl nur bei einer Partei, deren Mitglieder überwiegend außerhalb des formalen Regelwerks und der ungeschriebenen Gesetze der bürgerlichen Demokratie sozialisiert wurden. Oder gibt es für diesen Vorgang ein Beispiel in der deutschen Parteiengeschichte, das ich vergessen habe? Die PDS hat auf einer "außerordentlichen Tagung" Ende Juni die Ergebnisse ihres 8. Parteitags annulliert.

Dieselben Delegierten, die Mitte Oktober vorigen Jahres in Gera den regierungsgeilen ReformernInnen eine klare Abfuhr erteilt und mit Zwei-Drittel-Mehrheit einen neuen Vorstand gewählt hatten, haben diesen nun in die Wüste geschickt und mit Lothar Bisky einen Mann zum Vorsitzenden gemacht, der sich zwar als Zentrist ausgibt, aber seit Bestehen der PDS einen elitären Herrenzirkel mit den maßgeblichen ReformernInnen pflegt. Bisky stand schon vor dem Sonderparteitag als neuer Vorsitzender fest und stellte ohne erkennbares Schamgefühl öffentlich seinen Vorstand zusammen, der von den Delegierten größtenteils solidarisch abgenickt wurde. Das nennen die Hofpoeten der Partei dann den Aufbruch in eine neue politische Kultur.

Bedingungslos zum Koalieren bereit

Wirklich überraschend kam die Revanche der VerliererInnen von Gera nicht. Gera war weder ein Sieg der Linken noch eine politische Niederlage der ReformerInnen, auch wenn dies, natürlich aus unterschiedlichen Gründen, von allen Seiten so dargestellt worden war. Eine für Außenstehende schwer verständliche Täuschung, denn die von der Delegiertenmehrheit mit Ovationen gefeierte wiedergewählte Vorsitzende Gabi Zimmer war ganz offensichtlich keine Linke. Das hätte denen, die es noch nicht wussten, spätestens klar werden müssen, als sie am 18. August vorigen Jahres die fatale Ankündigung unterschrieb, die PDS wolle im Bundestags die Wahl von Schröder zum Kanzler unterstützen. Diese Schnapsidee war offenbar in Biskys Vordenkerclub ausgeheckt worden. Dass sie zum katastrophalen Wahlergebnis der PDS am 22. September 2002 nicht unerheblich beitrug, ist schwerlich zu übersehen.

Gabi Zimmer wird häufig als "blass", "hölzern" und "führungsschwach" beschrieben. Das verbirgt aber eher ihre tatsächliche Hauptschwäche: einen so eklatanten Mangel an politischem Verständnis, dass man - auf diesem speziellen Gebiet, versteht sich - geradezu von gnadenloser Dummheit sprechen muss. Hinzu kommt absolute Unfähigkeit, sich einen eindeutigen Standpunkt zu erarbeiten und diesen streitbar zu vertreten.

Die letzten Lichter des Geraer Parteitags waren noch nicht abgeschaltet, da weinte und flehte die im Amt bestätigte Vorsitzende schon hinter ihren rechten WidersacherInnen her, die gegen sie monatelang eine Hasskampagne unter dem Motto "Die Frau muss weg!" geführt hatten. Während Gregor Gysi gegen die Geraer Mehrheit den infamen Vorwurf richtete, sie wolle "an der konkreten Lebenssituation der Menschen nichts verbessern", beschwor Gabi Zimmer seine Unverzichtbarkeit für die PDS und bettelte geradezu um die Rückkehr des Schmollenden in die Parteipolitik.

In der zentralen Frage der Regierungsbeteiligung hatte der Geraer Parteitag angstvoll um den heißen Brei herumgeredet und jede konkrete Festlegung vermieden. Für diese Position vollständiger Beliebigkeit stand Gabi Zimmer. Sie bot denjenigen Zucker, die die "eigenständige Oppositionsrolle" der PDS mehr betont sehen wollten, signalisierte jedoch gleichzeitig den Mitregierern in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, dass sie dies bitte nicht als Kritik an ihrer Arbeit missverstehen sollten.

Sachlich sollte das Problem eigentlich klar sein: Wenn die PDS unbedingt mitregieren will, dann kann bei realistischer Betrachtung nicht wesentlich mehr herauskommen als bisher in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Die Vorstellung, in Koalitionen stärker aufzutrumpfen und mehr "eigenes Profil" zu zeigen, ist illusionär. Mitregieren kann beim gegebenen Kräfteverhältnis gar nichts anderes bedeuten als neoliberale Politik mitzutragen und mitzuverantworten. Wenn man das nicht will, muss man die sofortige Beendigung der Koalitionen in den beiden Bundesländern fordern. Vor dieser unausweichlichen Konsequenz schreckte der Geraer Parteitag zurück. Das ist zwar verständlich, denn anderenfalls wäre eine sofortige Spaltung der Partei wohl nicht zu vermeiden gewesen. Gleichzeitig legte die Halbherzigkeit des Geraer Parteitags in dieser zentralen Frage aber schon die Grundlagen für die jetzt erfolgte Revision.

Die Annullierung des Geraer Parteitags macht noch deutlicher, was aber auch schon vorher deutlich zu erkennen war: Die PDS steht für Koalitionen bedingungslos zur Verfügung. Dem Wort "bedingungslos" würden Bisky & Co. vermutlich ganz entschieden widersprechen. Aber sie hätten ebenso entschieden und höchst empört auch protestiert, wenn man ihnen vor zwei Jahren vorausgesagt hätte, welche Maßnahmen sie in der Berliner Senatskoalition mittragen würden.

Selbstmord einer Oppositionspartei

Mitregieren zu wollen, ohne wirklich im Interesse der Menschen mitgestalten zu können, ist eine grundsätzliche Entscheidung, die jeden noch aufrechterhaltenen oppositionellen Anspruch entwertet und mit dem Makel der Verlogenheit imprägniert. Die PDS steht unter dem begründeten Verdacht, dass sie die jetzige Regierungspolitik, die sie scheinbar immer noch scharf kritisiert, liebend gern mittragen würde, wenn und sobald sie nur dürfte. Genau darauf zielt die Annullierung des Geraer Parteitags ab: auf die Gewinnung von "Politikfähigkeit", spricht Koalitionsfähigkeit, mit Blick auf die Bundestagswahl 2006. Die PDS bestätigt damit das weit verbreitete Misstrauen, dass Parteien nur so lange oppositionell sind, wie sie nicht zum Mitregieren zugelassen werden. Das ist für die politische Kultur dieses Landes eine Katastrophe. Vorteile können sich vom Selbstmord der letzten linken Oppositionspartei wohl nur rechte Populisten erhoffen.

Knut Mellenthin