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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 475 / 15.8.2003

Reif fürs Museum?

Zur Kontroverse um die RAF-Ausstellung

Nachdem die StudentInnen-Revolte von 1967 eine Ecke im Deutschen Museum in Bonn bekommen hat und in Düsseldorf sogar der Punk in einer Ausstellung museumsreif wurde, scheint nun die Rote Armee Fraktion (RAF) an der Reihe zu sein - wenn auch vorerst als Kunst- und nicht als Geschichtsausstellung. Die Aufregung darüber ist groß - aber was für einen Sinn macht so eine Ausstellung überhaupt?

Da planen also die Berliner Kunst-Werke - laut Eigendarstellung: der Kunstverein für die trendbewusste Szene in Mitte - für den Herbst 2004 eine Schau künstlerischer Darstellungen rund um die RAF. Doch als sich die Familien der RAF-Opfer Hanns-Martin Schleyer und Detlev Rohwedder beim Kanzler beschweren, weil sie eine "Glorifizierung" der RAF befürchten, wird das Ausstellungsprojekt zum Sommerloch-Thema in Feuilleton und Politik. Der Streit entzündete sich vor allem an folgendem Satz aus einem Konzeptpapier zur Ausstellung: "Welche Ideen, Ideale haben ihren Wert durch die Zeit behalten und können nicht als naiv abgetan werden, was haben wir aus der Geschichte über das Verhältnis von Individuum und Staat, von Möglichkeiten der Einflussnahme und über Machtstrukturen gelernt?" Viel Aufregung um nichts, denn dieser Satz stammt aus einem veralteten Konzept für eine Ausstellung, bei der es auch um die StudentInnen-Revolte Ende der 1960er-Jahre gehen sollte. Dazu hatte ein solch verquast-besinnlicher Satz wohl auch gut gepasst.

Nun üben sich die AusstellungsplanerInnen von Kunst-Werke in einer fast vergessenen Kunstform der 1970er-Jahre, die seinerzeit unter Kulturschaffenden en vogue war: Der Distanzierung von linker Militanz im Allgemeinen und der RAF im Besonderen. Vom Staat vor die Wahl gestellt, sich entweder zu distanzieren oder als SympathisantIn des Terrorismus stigmatisiert zu werden, entschied sich das damalige linksliberale Milieu dafür, den Arsch an die Heizung zu bekommen. Oliver Tolmein schrieb 1997 in konkret treffend, im Deutschen Herbst 1977 sei die Deutsche Zivilgesellschaft entstanden.

Eine Streit im Sommerloch

Ganz in dieser Tradition distanziert sich jetzt Klaus Biesenbach, der künstlerische Leiter der Kunst-Werke: "Das ist ein Satz, der so nie hätte veröffentlicht werden dürfen. Solche Sätze entstehen in hitzigen Diskussionen und zeigen kontroverse Ansätze, keineswegs aber unser Konzept." Keineswegs sei eine Mystifikation der RAF geplant, erklärte Beate Barner, die Geschäftsführerin der Kunst-Werke. Die Schau solle gerade der Legendenbildung entgegenwirken. Die Idee dazu sei "aus dem Bedürfnis entstanden, den oberflächlichen und ahistorischen popkulturellen Verarbeitungen der letzten Jahre eine ernsthafte Auseinandersetzung entgegenzustellen".

Letztere Behauptung blamiert sich selbst. Die ganze Aufregung entstand, weil die RAF-Ausstellung der Kunst-Werke aus dem Hauptstadtkulturfonds mit 100.000 Euro gefördert werden soll und die Bundeszentrale für Politische Bildung für ein Rahmenprogramm zur Ausstellung angefragt worden war. Doch kann eine Auseinandersetzung mit der RAF ernsthaft betrieben werden, wenn sie sich von staatlichen Stellen bezuschussen lässt und damit auf eine Unabhängigkeit vom Staat verzichtet? Zur Erinnerung: einem Staat, der mit allen drei Gewalten auf die RAF mit einer militanten Verfolgungswut losgegangen ist, die bis hin zu Todesschüssen bei Straßenkontrollen und Razzien ging. Nicht zu vergessen auch die bis heute ungeklärten Todesfälle im Isolationstrakt des Hochsicherheitsknastes Stuttgart-Stammheim, wo Ulrike Meinhof 1976, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader 1977 angeblich Selbstmord begingen - was die überlebende damalige Mitgefangene Irmgard Möller, die die Todesnacht vom 17. Oktober 1977 schwer verletzt überlebte, bis heute bestreitet.

Zudem: Solange die deutsche Justiz den letzten fünf Gefangenen aus der RAF die Freilassung verwehrt - der am längsten inhaftierte Rolf-Clemens Wagner ist seit 1979 inhaftiert - gibt es einen ganz offenkundigen Grund, die BRD bei der Auseinandersetzung mit der RAF als Konfliktpartei und nicht als möglichen Finanzier von Ausstellungen zu betrachten. Wer dies anders sieht, ist entweder blauäugig oder ignoriert bewusst die lange Geschichte der als Terrorbekämpfung bezeichneten Bekämpfung und Verfolgung der militanten Linken in der BRD.

Dabei würde eine ernsthafte Debatte zur RAF durchaus Sinn machen, denn sie würde zeigen, wozu dieser Staat bereit ist, wenn's gegen Linke geht - angefangen bei den Notstandsgesetzen bis hin zum Kontaktsperregesetz und den Paragrafen zur Verfolgung von SympathisantInnen linker Militanz wie dem §129a. Lohnend wäre auch eine Kritik der Programmatik der RAF: Angefangen bei ihrer teilweise plump den BRD-Imperialismus als Vasallen der USA verharmlosenden Programmatik, ihrer Israelfeindschaft, die darin gipfelte, 1972 den Terroranschlag der PLO-Gruppe Schwarzer September auf die israelische Olympiamannschaft in München zu begrüßen, ihr militaristisches und undialektisch-moralinsaures Schwein-oder-Genosse-Denken. Für die radikale Linke war die Militarisierung von Militanz, wie sie die RAF betrieb, eine Katastrophe: Die Reaktion des Staates traf die legale Linke mit voller Wucht - linksradikale Organisationen ebenso wie die Neuen Sozialen Bewegungen.

Fast vergessene Kunstform: Distanzierung

Neben dem Umgang des Staates mit der RAF und deren Programmatik, deren analytische Fehler übrigens von Teilen der antiimperialistischen, radikalen Linken bis heute gerne wiederholt werden - ein Blick auf die Israel-Berichterstattung der jungen Welt liefert hier leicht zugängliches Anschauungsmaterial -, wäre auch noch etwas anderes in den Blick zu nehmen: Die bereitwillige Gefolgschaft der überwältigenden Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung, als es darum ging, die Reihen gegen die vermeintliche Bedrohung RAF zu schließen. Im Deutschen Herbst 1977 ließen deutsche BürgerInnen bei Straßenbefragungen nicht selten offen ihren Vernichtungsfantasien freien Lauf nach dem Motto: "Man sollte die gefangenen Terroristen als Geisel nehmen und erschießen."

Radikale Linke, die sich kritisch über den von der RAF entführten und erschossenen damaligen Präsidenten der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber, Hanns-Martin Schleyer, äußerten, wurden oft von ihren KollegInnen oder aus der Nachbarschaft als vermeintliche SympathisantInnen des Terrors denunziert. Wie etwa Martin S., damals Auszubildender und Jugendvertreter der Hamburger Firma Bau + Montage, dem gekündigt wurde, weil er in einem Gespräch unter Kollegen Schleyer ein Schwein genannt hatte. Der von der IG Metall dominierte Betriebsrat (BR) hatte der Geschäftsleitung das Gespräch gemeldet, anschließend der Kündigung zugestimmt und ihn von Sitzungen ausgeschlossen. "Im Beisein von Kollegen haben Sie zugleich den Betriebsfrieden gestört und durch Ihre Sympathiebezeugung für die Terroristen sich außerhalb der Gemeinschaft gestellt", hieß es in der Kündigung.

Derartiges Vorgehen wurde nur in den Zeitungen der radikalen Linken kritisiert - in diesem Fall im Rebell, der Jugendzeitung des Kommunistischen Bundes (KB). Mehrere Verantwortliche von Zeitungen des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW) und der KPD wurden zu kurzen Haftstrafen verurteilt, weil dort geschrieben stand, dass in Stammheim der Staat gemordet hätte.

Zum 25. Jahrestag der Entführung von Hanns-Martin Schleyer erschien am 5. September 2002 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Nachruf auf den damals offiziell höchsten Funktionsträger der Bourgeoisie unter der Überschrift: "Und er war doch ein Held". Im Text wird frank und frei, wenn auch verharmlosend zugegeben: "Schleyer war nationalsozialistischer Studentenführer gewesen und hatte der SS angehört." Eben ein deutscher Held. Schleyer war bereits als Schüler in die Hitlerjugend eingetreten, zu Studienbeginn war er Mitglied Nummer 221.714 der SS. Mit den Worten "Auslese bedeutet immer zugleich Ausmerze" trat er für eine stärkere Verfolgung linker Studierender ein. Er wurde Beauftragter des terroristischen Sicherheitsdienstes (SD) der SS für den Universitätsbereich. Ab 1942 unterstand ihm im NS-Besatzungsregime in der Tschechoslowakei die Kontrolle und Ausbeutung der tschechoslowakischen Industrie. Im Mai 1945 war Schleyer der letzte SS-Kommandant von Prag.

Konfliktpartei

1977 wurde noch massiv dagegen vorgegangen, wenn die Nazivergangenheit von Schleyer zur Sprache kam. So schritt der Hamburger Schulsenator Günter Apel (SPD) ein, als im Oktober 1977 ein Lehrer Auszüge aus Bernt Engelmanns Buch "Großes Bundesverdienstkreuz" über Schleyers NS-Funktionen im Unterricht benutzte. In einem Rundschreiben an alle LehrerInnen erklärte Apel am 27. Oktober 1977: "Das Aufspüren von dunklen Punkten in der politischen Vergangenheit von Opfern des Terrorismus ist menschlich gesehen geschmacklos, politisch aber abwegig. An Hamburgs Schulen darf es deshalb in Sachen Terrorismus keine Kompromisse, keine Halbherzigkeiten und keine Rechtfertigung geben."

Heute wird das Wirken Schleyers als Nazi und SS-Funktionär nicht mehr einfach verschwiegen, sondern gegen den gesellschaftlichen Gegner gewendet, wie etwa im dem FAZ-Nachruf aus dem Jahr 2002. Indem dort behauptet wird, die RAF-MilitantInnen hätten ihren Nazi-Vätern mehr oder weniger nachgeeifert, wird die Nazi-Vergangenheit von Schleyer bagatellisiert und die RAF zugleich entpolitisiert: "Zu lange hat man geglaubt, dass die Abrechnung mit den nationalsozialistischen Vätern das psychologische Motiv der RAF war. In Wirklichkeit dürfte es sich umgekehrt verhalten: Es ging darum, den Vätern ebenbürtig zu werden. Der Vater von Peter-Jürgen Boock war Berufssoldat, der Vater von Grams, dem mutmaßlichen Herrhausen-Attentäter, war Mitglied der Waffen-SS."

Diese demagogische Behauptung lässt sich leicht aufstellen; sie besagt aber wenig und erklärt nichts. Die RAF wurde gegründet, als sich die Kinder der deutschen Nazigeneration politisiert hatten. Da sich die Mehrheit der Deutschen am Nationalsozialismus aktiv beteiligt hat, wird es in keinem deutschen Verein, der um 1970 gegründet wurde - wie z.B. die RAF - viele Mitglieder gegeben haben, die keine Nazi-TäterInnen in der Elterngeneration hatten. Etwas anders sieht es bei vielen der Terrorismusbekämpfer der 1970er-Jahre aus. Sie waren selbst aktiv am NS-Regime beteiligt. So bestand der Krisenstab der Bundesregierung zur Zeit der Schleyer-Entführung im Deutschen Herbst 1977 mehrheitlich aus ehemaligen Soldaten der Wehrmacht.

Kritische Anneigung geht anders

Aber auch die ApologetInnen der Deutschen Zivilgesellschaft, die unentwegt an einer Verschönerung des Staates BRD mitwirken möchten, muss mensch für eine kritische Aufarbeitung und Aneignung linksradikaler Geschichte rechts liegen lassen. Nicht so die AusstellungsmacherInnen der Kunst-Werke. Sie wollen mit Wolfgang Kraushaar zusammenarbeiten, der am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig ist. Kraushaar rief im April 1998 in der taz der RAF hinterher, die soeben ihre Auflösung erklärt hatte: "Die RAF ist in ihren Grundzügen autistisch und deshalb weitgehend unpolitisch gewesen ... Wie in einem zwangsneurotischen System blieb die RAF auf ihre Logistik reduziert." Die staatliche Diktion der Stammheimer "Selbstmorde" übernimmt Kraushaar selbstredend unhinterfragt, um sich dann darüber zu echauffieren, dass "es offenbar Elemente einer wechselseitigen Funktionalisierung" gab zwischen "poststalinistischen Regimen" und der RAF. Seinen Antikommunismus hervorkehrend empörte er sich: "Die RAF-Leute waren ,Leninisten mit Knarre`, grundsätzliche Gegner der Demokratie."

Über LeninistInnen mit Knarre hat Wladimir Majakowski Erhellenderes gesagt - "Sprich du, Genosse Mauser" - und darüber zu urteilen, warum die Rote Armee Fraktion - meines Erachtens eben auch im ideellen Sinne als Fraktion gedacht - der sowjetischen Roten Armee nicht das Wasser reichen kann, spreche ich AntikommunistInnen und ZivilgesellschaftlerInnen jedes Recht ab.

Gaston Kirsche
(gruppe demontage)